Ukraine-Krieg

Sanktionen treiben Energiemarkt um

Energierohstoffe setzen ihre Rally im Zuge des Ukraine-Kriegs unter starken Schwankungen fort. Die USA erwägen wohl eine Freigabe strategischer Ölreserven, um der drohenden Unterversorgung zu begegnen.

Sanktionen treiben Energiemarkt um

Von Alex Wehnert, Frankfurt

Der Krieg in der Ukraine sorgt am Energiemarkt für anhaltende Volatilität. Insbesondere der Erdgaspreis zeigt sich weiterhin enorm schwankungsanfällig: War der Mo­natskontrakt zur Lieferung im März an der Intercontinental Ex­change am vergangenen Donnerstag bis auf 142 Euro je Megawattstunde in die Höhe geschnellt und am Freitag zeitweise nur noch zu 89,85 Euro gehandelt worden, zog er zu Wochenbeginn in der Spitze auf 125 Euro an. Am Abend lag der Erdgaspreis am niederländischen Knotenpunkt TTF dann noch bei 104,75 Euro, ein Plus von 13,2% gegenüber dem Schlusskurs vom vorherigen Handelstag. Zugleich setzten Händler ihre Orders für russisches Flüssigerdgas (LNG) angesichts der Unklarheit bezüglich möglicher Re­striktionen vorübergehend aus. Einige europäische Großbanken, da­runter die Société Générale und die Credit Suisse, stoppten die Handelsfinanzierung für russische Rohstoffflüsse.

Vergeltung befürchtet

Die westlichen Sanktionen gegen Russland, die am Wochenende unter anderem durch den Ausschluss einzelner russischer Finanzinstitute vom globalen Zahlungsabwicklungssystem Swift noch einmal erheblich verschärft wurden, wecken zunehmend Sorgen vor einem wirtschaftlichen Vergeltungsschlag Moskaus. So spekulieren Marktteilnehmer darüber, dass Russland die Energielieferungen nach Europa reduzieren oder ganz einstellen könnte. Dies verlieh auch den Rohöl-Notierungen Auftrieb: Der Monatskontrakt auf die führende Nordseesorte Brent Crude mit Fälligkeit April, der am Montag nach Handelsschluss auslief, lag zwischenzeitlich mit einem Plus von 7,3% bei 105,07 Dollar. Auch der liquidere Mai-Kontrakt übersprang die Marke von 100 Dollar pro Barrel und notierte vorübergehend zu 101,28 Dollar. US-Leichtöl der Sorte West Texas Intermediate wurde gegenüber der vorherigen Sitzung zeitweise um 8,2% fester zu 99,10 Dollar gehandelt.

Atomabkommen im Fokus

Im Verlauf des Nachmittags kam es dann zu einer leichten Abkühlung. Händler verwiesen auf einen wachsenden Optimismus bezüglich einer Wiederaufnahme des internationalen Atomabkommens mit dem Iran. Der Verhandlungsführer Teherans ist zu neuen Gesprächsrunden nach Wien gereist – Ziel ist es, zur Vereinbarung aus dem Jahr 2015 zurückzukehren. Gemäß dieser sollen Sanktionen gegen die Islamische Republik, auch die Ölverkäufe des Landes betreffend, abgebaut werden. Im Gegenzug soll der Iran seine nuklearen Aktivitäten einschränken. Die USA hatten das Abkommen im Jahr 2018 einseitig aufgekündigt. Vertreter Washingtons zeigten sich optimistisch, dass eine Einigung in Kürze erreicht werden könnte – russische Diplomaten, die ebenfalls an den Verhandlungen teilnehmen, stellten sogar einen Deal in der laufenden Woche in Aussicht. Sollte es dazu kommen und Sanktionen gegen Teheran wegfallen, könnte der Weltmarkt laut Analysten binnen weniger Monate mit iranischem Öl geflutet werden. Allerdings ist noch unklar, inwiefern die russische Invasion der Ukraine die Gespräche beeinflusst.

Zudem hatten Berichte die Runde gemacht, gemäß denen die USA und ihre Verbündeten die Freigabe von ungefähr 60 bis 70 Mill. Barrel Öl aus ihren Notbeständen in Erwägung zögen. Bereits Ende November hatten die Vereinigten Staaten infolge der schleppenden Produktionsausweitung des erweiterten Ölkartells Opec plus zu einem solchen Schritt gegriffen und auch weitere wichtige Verbrauchsländer dazu bewogen – mit stark begrenzten Auswirkungen auf den Markt. Analysten beurteilen Freigaben strategischer Ölreserven zwiegespalten. Denn diese eigneten sich in der Regel nur, um eine kurzfristige Unterversorgung zu lindern und könnten im Zweifel sogar kontraproduktiv wirken. Schließlich signalisierten derartige Maßnahmen den Investoren, dass aus Sicht politischer Entscheidungsträger eine massive Unterversorgung bevorstehe.

Laut der Commerzbank gibt es bisher allerdings keinen Anhaltspunkt dafür, dass Russland über den Energiemarkt Vergeltung für die umfangreichen Sanktionen der Europäischen Union und verbündeter Staaten übe. Noch zum Ende der alten Woche seien die russischen Gaslieferungen nach Europa auf das höchste Niveau seit Dezember gestiegen, und auch die vorläufigen Daten für Montag zeigten kein grundsätzlich anderes Bild. „Die Sanktionen und der Exodus westlicher Ölgesellschaften dürften mittel- bis langfristig zu einer niedrigeren russischen Öl- und Gasproduktion führen, da Investitionen in die Aufrechterhaltung der Produktion bzw. die Erschließung neuer Quellen deutlich schwieriger werden“, betont Commerzbank-Analyst Carsten Fritsch allerdings.

Um Deutschland unabhängiger von Rohstofflieferungen aus Russland zu machen, plant Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) den Bau von zwei Flüssigerdgas-Terminals. Angesichts der Furcht vor einem Lieferstopp aus Russland ist zudem eine Debatte um eine Verschiebung des geplanten Kohleausstiegs sowie eine Laufzeitverlängerung der letzten noch nicht abgeschalteten Atomkraftwerke entbrannt. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hält solche Maßnahmen nach eigenen Angaben nicht für sinnvoll, gleichwohl prüfe sein Ressort derartige Schritte.

Zugleich will die Bundesregierung die Stromversorgung bis 2035 vollständig auf erneuerbare Energien umstellen. Bislang hatte sie eine solche Vollversorgung erst bis spätestens 2050 geplant. Der zunehmende Druck, über den Ausbau von Wind- und Solarkraft unabhängiger von fossilen Brennstoffen zu werden, treibt auch Aktien aus dem Segment der erneuerbaren Energien stark an.

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