Lira

Türkische Währung verharrt nahe dem Rekordtief

Die türkische Lira dürfte auch 2022 einen schweren Stand haben. Denn der Inflationsdruck dürfte nur zögerlich nachlassen, während der politische Druck auf die Währungshüter Bestand haben dürfte.

Türkische Währung verharrt nahe dem Rekordtief

Von Sandra Striffler*)

Das Jahr 2021 neigt sich langsam, aber sicher dem Ende zu. Zeit, auch für die türkische Lira allmählich Bilanz zu ziehen. Wenngleich uns noch acht Wochen vom Jahreswechsel trennen, so dürfte das Fazit der Lira letztendlich ernüchternd ausfallen, gehen wir doch nicht davon aus, dass es ihr bis dahin noch gelingen wird, das Ruder herumzureißen. Vielmehr sollte Investoren mit Blick auf das Jahr 2021 in unguter Erinnerung bleiben, dass die türkische Valuta im Jahresverlauf gegenüber dem Euro und dem Dollar in der Spitze Verluste von rund 30% hat hinnehmen müssen.

Dollar-Stärke belastet

Die Ursache für die ausgeprägte Talfahrt der türkischen Landeswährung ist das Zusammenspiel mehrerer Faktoren. Einerseits trägt das massiv eingetrübte Sentiment gegenüber risikosensitiven Schwellenländerwährungen seit längerem zu der Abwertung der Lira bei. Dieser Trend wurde phasenweise zusätzlich dadurch verstärkt, dass der Dollar als sicherer Hafen nachgefragt wurde. Dass die US-Notenbank zudem bald beginnen wird, ihren geldpolitischen Stimulus nach und nach zu reduzieren, dürfte ebenfalls seinen Anteil an der Verunsicherung der Lira haben. Andererseits erschweren ihr aber auch immer wieder geopolitische Risiken das Leben.

Den Löwenanteil an der seit langem zu beobachtenden Unsicherheit der Lira trägt jedoch ohne Zweifel die türkische Geldpolitik bei. Diesbezüglich liegt für die Landeswährung die Schwierigkeit in der immer offensichtlicher werdenden politischen Einflussnahme. Damit verbunden sind marktseitige Sorgen, wonach die dortige Geldpolitik selbst unter den Vorzeichen eines perspektivisch nachlassenden Preisdrucks weiterhin zu locker ausgestaltet sein könnte.

Lässt man das Jahr 2021 diesbezüglich Revue passieren, so nahm das Ungemach bereits im Frühjahr seinen Lauf, als die türkische Notenbank (TCMB), noch unter dem Vorsitz von Naci Agbal, die Leitzinsen aufgrund deutlicher Preisrisiken stärker als marktseitig erwartet um 200 Basispunkte (BP) auf 19% angehoben hat. Aus ökonomischer bzw. geldpolitischer Sicht stand die Angemessenheit dieses Schrittes außer Frage, vom Markt wurde er positiv aufgenommen. Bereits von einer Rehabilitierung der Glaubwürdigkeit der Zentralbank war die Rede.

Erdogan macht Druck

Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, ein Verfechter niedriger Zinsen, missfiel die deutliche Straffung der geldpolitischen Zügel jedoch. Kurz darauf entließ er Notenbankchef Agbal und ersetzte ihn durch Sahap Kavcioglu, wohl in der Hoffnung, mit ihm nun endlich den Mann an der Spitze der TCMB zu haben, der seine geldpolitischen Vorstellungen konsequent umsetzt. Allerdings ließ der neue Zentralbankgouverneur die Leitzinsen in den ersten Monaten seiner Amtszeit unverändert und lockerte die geldpolitischen Zügel erst im Herbst spürbar.

Das türkische Staatsoberhaupt dürfte sich dies sicherlich anders vorgestellt haben. Spekulationen über ein sich anbahnendes Zerwürfnis zwischen Erdogan und seinem Zentralbankenchef ließen dann auch nicht lange auf sich warten. So berichtete die Nachrichtenagentur Reuters Anfang Oktober unter Berufung auf vertrauliche Quellen, dass Staatspräsident Erdogan angeblich das Vertrauen in den erst seit wenigen Monaten amtierenden Notenbankchef Kavcioglu verloren hat.

Wenngleich diese Meldungen von offizieller türkischer Seite umgehend als „Fake News“ zurückgewiesen wurden, so bleibt für die Lira dennoch ein schaler Beigeschmack, legte die Notenbank doch kurz darauf geldpolitisch noch eine Lockerungsschippe drauf und senkte die Leitzinsen im Oktober erneut spürbar – dieses Mal sogar um unglaubliche 200 BP auf nun 16%. Und dies, obwohl die Inflation in der Türkei im vergangenen Monat weiter angestiegen ist und mit 19,89% gegenüber dem Vorjahresmonat in der Gesamtrate nun an der Marke von 20 % kratzt.

Fokus auf Kerninflation

In diesem Umfeld wird es für den amtierenden TCMB-Vorsitzenden Kavcioglu auch zunehmend schwierig, das zu Beginn seiner Amtszeit gegebene Versprechen, den realen Leitzins im positiven Terrain zu verankern, zu halten. Nachdem der reale Leitzins, gemessen an der Gesamtrate der Inflation, bereits seit August immer weiter in den negativen Bereich abtaucht, ließ Kavcioglu vor kurzem wissen, dass sich die türkische Zentralbank bei ihren geldpolitischen Bemühungen fortan stärker auf die Kernrate der Teuerung fokussieren wird. Damit verschaffte sich der Notenbankgouverneur zumindest rein rechnerisch Spielraum für einen Teil der um­fangreichen, im September vorgenommenen Senkung. Doch nun ist das Eis auch an dieser Front brüchiger geworden, wies die reale Leitzinsberechnung unter Berücksichtigung der Kernrate im Oktober doch erstmals seit einem Jahr ebenfalls wieder einen leicht negativen Wert auf.

Verhaltene Aussichten

Unserer Einschätzung zufolge dürfte die türkische Lira auch 2022 einen schweren Stand haben. Anlass zu dieser Prognose gibt uns in erster Linie unsere Erwartung, wonach der Inflationsdruck in der Türkei nur zögerlich nachlassen, der politische Druck auf die Währungshüter, die geldpolitischen Zügel weiter deutlich zu lockern, hingegen Bestand haben sollte. Zugleich stellt sich zunehmend die Frage, wie es für die Lira weitergehen soll. Immer niedrigere Zinsen bei gleichzeitig immer höherer Inflation sind Gift für die türkische Landeswährung. Und die Zentralbank verfügt nicht über die Feuerkraft, sich einer spekulativen Attacke auf ihre Währung lange entgegenzustellen. Überlegungen in Richtung von Kapitalverkehrskontrollen, die extrem schadhaft für den Wirtschaftsstandort wären, würden dann wohl nicht lange auf sich warten lassen.

Dass zudem marktseitig davon ausgegangen wird, dass die US-Notenbank auf Jahressicht die Leitzinsen anheben und perspektivisch weitere geldpolitische Straffungsschritte in Aussicht stellen dürfte, sollte die Situation zusammen mit der nachlassenden Wachstumsdynamik der türkischen Wirtschaft für die ohnehin massiv angeschlagene Lira in den nächsten Monaten ebenfalls nicht einfacher machen. Marktteilnehmer wären daher gut beraten, sich perspektivisch darauf einzustellen, dass die türkische Landeswährung erneut Rekordtiefs markiert.

*) Sandra Striffler ist Senior-Devisenanalystin bei der DZBank.