Arnab Das

„Um Dinge radikal zu ändern, braucht man eine Krise“

Arnab Das erwartet nicht, dass es für britische Assets dramatisch abwärtsgehen wird. Für die Probleme des Landes gebe es aber keine schnelle Lösung, sagt der Global Market Strategist EMEA von Invesco.

„Um Dinge radikal zu ändern, braucht man eine Krise“

Andreas Hippin.

Herr Das, wie interpretieren Sie die Situation in den USA?

Für gewöhnlich kommen die Märkte mit einer festgefahrenen Situation dieser Art gut zurecht, weil niemand etwas allzu Radikales tun kann. Wir haben gerade in Großbritannien gesehen, wie gefährlich es sein kann, wenn man versucht, in einem Umfeld mit steigenden Zinsen und hoher Inflation etwas Radikales zu tun. Das ist wohl etwas Gutes. Im internationalen Kontext ist die Frage, wie sehr das die Ukraine-Politik der Vereinigten Staaten beeinflussen wird. Da wird es möglicherweise Beschränkungen geben.

Wie wirkt sich das Patt im Kongress auf die Schuldenobergrenze aus?

Da wird wohl hart verhandelt werden und es ist nicht auszuschließen, dass es zu einem erneuten Shutdown kommt.

Wird es einen großen Unterschied machen, was die Inflation angeht?

Möglicherweise nicht. Es ist wirklich zu spät für die Fiskalpolitik, etwas in dieser Sache zu unternehmen. Selbst eine etwas restriktivere Fiskalpolitik könnte nicht ausreichen, um den Inflationsdruck, der sich bereits in der Wirtschaft be­merkbar macht, vollständig auszugleichen.

Sie hat schon genug für die Inflation getan.

Genau. Sie hat viel zu viel getan. Das bedeutet vermutlich, dass die Fed mit der Straffung der Geldpolitik weitermachen wird. Die Debatte, ob wir uns in eine Rezession bewegen, und darüber, wie schnell die Fed bei den Zinserhöhungen das Tempo verringern wird, dürfte sich fortsetzen. Wenn es zu einem Shutdown käme, könnte das für eine Verlangsamung des Wachstums und der Inflation sorgen. Kurzfristig würde es aber keinen großen Unterschied machen. Die wirkliche Frage ist, wohin sich die USA langfristig entwickeln werden, und was das für die Präsidentschaftswahl 2024 bedeutet.

Was bedeutet es für das Verhältnis der USA zum Rest der Welt?

Auf beiden Seiten des politischen Spektrums ist man sich offenbar einig, was China angeht, Rivalität und Wettbewerb, selbst wenn es eine gewisse Zusammenarbeit in Bereichen von gemeinsamem Interesse wie dem Klimawandel geben wird. Vielleicht gibt es ein bisschen weniger Übereinstimmung, eine etwas weniger aggressive Haltung gegenüber Russland. Und man kann bereits Anzeichen dafür erkennen, dass die Herangehensweise, der Ukraine einen Blankoscheck auszustellen, Einschränkungen unterworfen wird. Vielleicht wird es am Rande etwas Druck auf Selenskyj geben, um die verfeindeten Parteien an den Verhandlungstisch zu bringen.

Wirklich?

Ich denke nicht, dass es starken Druck in diese Richtung geben wird. Aber ich glaube, dass es zu einer Verschiebung kommen wird, weil die Rechte in der Republikanischen Partei mehr daran interessiert ist, Dinge im eigenen Land zu tun als etwas für die Ukraine zu tun.

Was war eigentlich so radikal an Liz Truss und ihrem Schatzkanzler Kwasi Kwarteng?

Zum einen haben sie eine Reihe von Institutionen attackiert. Das macht dieser Teil der Tories schon eine ganze Weile. Sie haben im Kampf um die Parteiführung die Unabhängigkeit der Bank of England in Frage gestellt. Nachdem sie gewonnen haben, haben sie die Unabhängigkeit der Zentralbank dann doch betont.

Was war daran schlecht?

Viele Leute am Markt haben das so interpretiert, dass es aus Sicht der neuen Regierung das Problem der Zentralbank wäre, wenn es durch eine expansive Fiskalpolitik zu mehr Inflation käme. Schließlich ist sie ja unabhängig, wie die Regierung bestätigt hat, und damit für die Inflation zuständig. Damit träfe die Regierung keine Schuld, wenn sie zu hoch ist. Das trug zum großen Schock an den Märkten bei.

Wer wurde noch attackiert?

Die zweite Angriffslinie war die Kritik an der Orthodoxie des Schatzamts, wie sie es nannten, an der „Abakus-Wirtschaft“. Sie haben Tom Scholar, den ranghöchsten Beamten im Schatzamt, gefeuert, bevor sie den Haushaltsentwurf vorgelegt haben. Zudem haben sie offenbar dem Office for Fiscal Responsibility einen Maulkorb verpasst, was die Untersuchung der Kosten der fiskalischen Expansion angeht. Das hat für viel Besorgnis am Markt gesorgt. Hinzu kam die Abschaffung des Spitzensteuer­satzes.

War es eine große Überraschung?

Vieles wurde bereits Wochen vor dem Haushaltsentwurf signalisiert. Dann legten sie ihn vor und man erkannte den Umfang der fiskalischen Expansion. Die Deckelung der Energierechnungen der pri­vaten Haushalte für zwei Jahre wurde auf 150 Mrd. Pfund veranschlagt. Vor allem war es eine unbegrenzte Expansion, denn die Energiepreise hätten ja weiter steigen können. Dann sah man auf die andere Seite der Bilanz. Und da standen Steuersenkungen. Alles zusammen­genommen wirkte das ziemlich radikal.

Und das erhoffte Wachstum?

Ja, man sagte, dass man künftig ein viel höheres Wachstum erzielen werde, weil man deregulieren wolle. Man erwartete also, dass die Märkte auf so ein Versprechen hin, eine derartige fiskalische Expansion hinnehmen würden. Wenn man sich einmal ansieht, was sie wirklich gemacht haben, die Aufhebung des Fracking-Moratoriums, dann hat nur eine Lokalverwaltung grünes Licht für Fracking gegeben, und das war Blackpool.

Es war also ein Schlag ins Gesicht.

Das hat gezeigt, dass Deregulierung vielleicht gar nicht so viel Anklang finden und das Wachstum sich dadurch nicht so stark verbessern würde. Vielleicht stünde am Ende nur ein größeres Haushaltsdefizit. Das Image, der kranke Mann Europas zu sein, das Großbritannien seit der Finanzkrise und insbesondere seit dem Brexit anhaftet, würde fortbestehen. Und wofür wolle man das Haushaltsdefizit ausweiten? Nicht für Investitionen, sondern für die Aufrechterhaltung des privaten Konsums. Die Ironie dabei ist, dass Kwarteng der erste britische Schatzkanzler war, der Wirtschaftsgeschichte studierte – und sogar über Währungen promoviert hat!

Vielleicht hatten sie einfach nicht bemerkt, dass die Zeit des billigen Geldes schon vorbei war.

Für uns in Großbritannien ist es ein Problem, aber für den Rest der Welt war es eine nützliche Lektion. Wir befinden uns jetzt in einer Zeit der hohen Inflation, der sich die Zentralbanken entgegenstemmen müssen. Die Bond-Vigilanten sind wieder da. Verschwendung wird nicht mehr geduldet. Das Geld wächst nicht mehr auf den Bäumen, die Modern Monetary Theory hat ausgedient. Man muss eine viel ernsthaftere Fiskalpolitik machen. Wenn es dann zu Turbulenzen oder einer Krise kommt, befindet sich die Notenbank in einer viel schwierigeren Situation. Sie muss einerseits der Inflation entgegenwirken. Andererseits muss sie für Finanzstabilität sorgen.

Nun hat sich die Bank of England lange geweigert, der Inflation entgegenzuwirken.

Für das Wachstumsproblem von Großbritannien gibt es keine einfache Lösung. Es gibt insbesondere keine schnelle Lösung, die bis zu den nächsten Wahlen greift. Die gute Nachricht für die Tories ist, dass Keir Starmer und die Opposition bislang keine Ideen vorgelegt haben, die komplett anders gewesen wären. Das bisherige Wachstumsmodell funktioniert immer noch ziemlich gut für London und den Südosten.

Warum ist das so?

Es ist immer noch eine sehr auf Dienstleistungen zugeschnittene, sehr globale Wirtschaft. Aber in den vernachlässigten Regionen, für deren Entwicklung nicht viel getan wurde, wären umfangreiche Investitionen in Bildung und Infrastruktur nötig, auch wenn es nicht überall so schlimm ist, wie man denken würde. Das ist ein langfristiges Problem, das schon seit einiger Zeit unter den Teppich gekehrt wird. Es ist kein spezifisch britisches Problem, aber es scheint in Großbritannien schwerwiegender zu sein als in anderen Teilen der Welt. Finanzielle und wirtschaftliche Stabilität sind eine bessere Grundlage, um es zu lösen, als Maßnahmen, die diese Stabilität aufs Spiel setzen. Das macht es nur schwieriger und zerstört den für Investitionen zur Verfügung stehenden Wohlstand.

Aber bekommt man so finanzielle Stabilität? Die Beinahe-Implosion der Pensionsfonds ging schließlich auf riskante Derivategeschäfte zurück.

Wir hatten anderthalb Jahrzehnte niedrige Inflation und eine sehr lockere Geldpolitik. Es gab eine Menge Konjunkturstimuli. Es war die richtige Vorgehensweise, weil die Wirtschaft nach der Finanzkrise auf Schuldenabbau abzielte. In Großbritannien hat es ein Deleveraging der Finanzbranche gegeben, aber keinen richtigen Crash am Häusermarkt. Die Hauspreise sind weiter gestiegen.

Warum?

Während der Pandemie waren Kredite günstig zu haben. Man wollte ein größeres Eigenheim weiter draußen. Das perverse Resultat war, dass in der tiefsten und steilsten Rezession, die es je gegeben hat, das Vermögen der privaten Haushalte durch die Decke ging. Viele Menschen standen trotz des tiefen Abschwungs besser da.

War das falsch?

Ich glaube nicht. Denn ohne all die Stimuli und Kurzarbeitsprogramme während der Pandemie hätten wir eine Depression erlebt. Wir haben dadurch die von Ökonomen befürchteten Narbeneffekte vermieden. Jetzt haben wir diesen Putin-Effekt. Weil wir den Konsum am Laufen gehalten haben und Geld verteilt haben, ist die Teuerungsrate hoch, was durch den Preis- und Angebotsschock bei Rohstoffen noch verstärkt wird.

Was also tun?

Die Geldpolitik muss ganz klar die Zügel anziehen. Wenn man mehr tun will, um die Auswirkungen des Energiepreisanstiegs abzumildern, muss man anderenorts mehr Zurückhaltung bei den Ausgaben zeigen. Für Keynesianer: Man sollte nicht über die Angebotskapazität der Wirtschaft hinausschießen. Für Monetaristen: Die Geldmenge sollte nicht über die Maßen wachsen.

Wird das die Inflation schnell senken?

Vielleicht nicht. Aber es wird verhindern, dass sie explodiert. Wenn sie explodiert, steigen die Zinsen, die Zinskurve wird viel steiler. Dann zeigt sich, wer den Schuldenhebel eingesetzt hat. Dann wird man, um mit Warren Buffett zu sprechen, sehen, wer nackt geschwommen ist.

So wie die britischen Pensionsfonds?

Alle konzentrierten sich auf die Probleme der sogenannten LDI-Strategien (Leverage-Driven Investment). In den Niederlanden gibt es so etwas Ähnliches. Für mich war sehr interessant, dass US-Finanzministerin Janet Yellen und Handelsministerin Gina Raimondo Großbritannien kritisierten und zu fürchten schienen, dass die neue Regierung verrücktspielt. Ich glaube, sie waren wirklich beunruhigt, dass daraus große finanzielle Turbulenzen entstehen könnten. Denn das wäre ein Problem für die Weltwirtschaft und das globale Finanzsystem gewesen und hätte die Lage für die Fed und die US-Regierung insgesamt komplizierter gemacht. Die Fed hätte einerseits an der Zinserhöhungspolitik festhalten, andererseits aber vielleicht mehr Liquidität zur Verfügung stellen müssen – genauso wie die BoE, aber vielleicht auf globaler Ebene.

Wie geht es also weiter?

In ganz Westeuropa wird es Hilfsmaßnahmen geben, um durch die Energiekrise zu kommen. Selbst wenn sich die Situation bessert, ist schon viel Schaden eingetreten. Möglicherweise ist der Schaden in Großbritannien am schlimmsten, aber er ist auch in Kontinentaleuropa signifikant. Die meisten wohlhabenden Länder setzen auf fiskalische Unterstützung. Sie lockern auf der einen Seite, indem sie Energie subventionieren, und ziehen auf der anderen Seite durch Steuer- oder Zinserhöhungen die Zügel wieder an.

Was wäre der richtige Weg für Anleger?

Es gibt die große Sorge, dass die Preise für britische Gewerbe- und Wohnimmobilien stark fallen werden. Ich denke, dass sie sinken werden, aber nicht in dem Umfang, den manche Leute erwarten. Hier war schon von 30 % die Rede.

Warum so optimistisch?

Die Fiskalpolitik ist wesentlich weniger großzügig als erwartet, da muss die Geldpolitik nicht ganz so stark die Zügel anziehen. Großbritannien bietet eine Menge Chancen (Value), sowohl in Sterling als auch in Assets. Ob die Anleger jetzt anbeißen, ist eine offene Frage. Es gibt keine schnelle Lösung der Probleme. Vielleicht wird es keine große Rally geben. Es wird aber auch nicht dramatisch weiter abwärtsgehen.

Wieso?

Wir haben in den Abgrund geblickt und uns entschieden, dass wir da nicht hinwollen. Die Bewertungen sind attraktiv, wenn man als Investor eine langfristige Orientierung verfolgen kann. Der Markt ist realistisch. Wenn man sich die Inflationserwartungen ansieht, glauben Anleger nicht, was der Notenbankchef Andrew Bailey oder die Bank of England sagen. Der Federal Reserve wird mehr Glauben geschenkt.

Wie drückt sich das aus?

In den USA geht man davon aus, dass die Notenbank die Inflation in den kommenden Jahren wieder in Richtung Zielwert drücken wird. In Deutschland ist es ähnlich. In Großbritannien geht man dagegen da­von aus, dass der Energiepreisdeckel kurzfristig erfolgreich sein kann, langfristig aber nicht so sehr – hier wird auf Jahrzehnte hinaus mit einer hohen Inflation gerechnet. Vor allem hat das Land eine Reihe schwerwiegender Probleme, die nicht aus der Geldpolitik herrühren. Das Problem ist die niedrige Produktivität.

Keine Chance, dass es zu tiefgreifenden Veränderungen kommt?

Um Dinge radikal zu ändern, braucht man eine Krise. Wir wollen keine. Das haben wir gerade gelernt.

Das Interview führte

BZ+
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