Was Anleger im zweiten Halbjahr erwarten können
Fast alle Anleger werden mit den Ergebnissen ihrer Aktienanlage im ersten Halbjahr 2021 zufrieden sein. Beflügelt von starken Wirtschaftsdaten hat sich die positive Kursentwicklung fortgesetzt. Dabei schlugen sich europäische und US-Aktienindizes ähnlich gut, während Aktien aus den Schwellenländern nicht ganz mit der Performance in den Industrieländern mithalten konnten. Auf Branchenebene schnitten Value-Sektoren besonders erfolgreich ab. In Europa wiesen die Automobil- und Bauunternehmen sowie Banken die beste Wertentwicklung auf, in den USA Energieunternehmen und Firmen aus dem Finanzsektor.
Die globale Wirtschaft wird sowohl in diesem als auch im nächsten Jahr überdurchschnittlich stark wachsen. Die expansive Geld- und Fiskalpolitik ist dabei Garant der wirtschaftlichen Erholung. Im Unterschied zur Finanz- und Wirtschaftskrise der Jahre 2008 und 2009, von der sich die Weltwirtschaft nur langsam erholte, verläuft der Aufholprozess diesmal wesentlich dynamischer. Hierbei spielen vor allem die Konjunkturpakete in den Industrieländern eine wesentliche Rolle. Insbesondere die USA übernehmen die Rolle des globalen Konjunkturmotors, von dem viele andere Volkswirtschaften profitieren.
Die Kehrseite der Medaille der schnellen wirtschaftlichen Erholung ist ein deutlicher Anstieg der Inflationsraten. Viele Haushalte und Unternehmen verfügen dank des guten Krisenmanagements von Regierungen und Zentralbanken über hohe finanzielle Reserven. Die aufgestaute Nachfrage führt angesichts noch nicht wieder komplett hergestellter Lieferketten und Kapazitäten auf der Angebotsseite zu fehlenden Vorleistungsgütern sowie hohen Transport- und Rohstoffkosten. Derzeit können viele Unternehmen ihre höheren Kosten auf die Preise überwälzen, doch sollte dies nur von temporärer Natur sein. So wird sich die US-Inflationsrate von mittlerweile 5% in den nächsten Monaten wieder zurückbilden. In Deutschland und in der Eurozone ist dagegen im zweiten Halbjahr mit einer Beschleunigung des Preisauftriebs zu rechnen. Doch auch hier sinkt die Inflationsrate zu Beginn des Jahres 2022 wieder auf Werte von unter 2%.
Fed-Zinserhöhung erst 2023
Trotz der fulminanten konjunkturellen Erholung und der gestiegenen Inflationsraten nehmen die Notenbanken nur langsam den Fuß vom Gas. In den USA hat unter den Mitgliedern der Federal Reserve bereits eine Diskussion begonnen, wann die Anleiheaufkaufprogramme reduziert oder sogar eingestellt werden könnten. Dieses sogenannte „Tapering“ der Anleihekäufe könnte im vierten Quartal 2021 oder spätestens zu Beginn des Jahres 2022 beginnen. Eine Erhöhung des Leitzinses halten wir dagegen nicht vor dem Jahr 2023 für wahrscheinlich.
In der Eurozone dürfte es sogar noch länger dauern, bis die Europäische Zentralbank ihre Geldpolitik zu normalisieren beginnt. Das „PEPP“ genannte Notfallprogramm, das im März vergangenen Jahres aufgelegt wurde, wird planmäßig im März 2022 beendet. Allerdings gibt es darüber hinaus auch noch andere Anleihekaufprogramme, die wahrscheinlich fortgeführt werden. Zudem wird die EZB sowohl die auslaufenden Anleihen als auch die erhaltenen Zinszahlungen noch lange Zeit reinvestieren, so dass die Notenbank ein wichtiger Marktakteur bleiben wird. Zinserhöhungen erwarten wir – auch aufgrund der fragilen Staatsfinanzen in vielen Ländern der Eurozone, die auf anhaltend niedrige Zinsen angewiesen sind, – in absehbarer Zeit nicht.
Angesichts der anhaltenden wirtschaftlichen Erholung, nachlassender Inflationsängste und unverändert niedriger Zinsen gehen wir davon aus, dass sich die positive Tendenz an den Aktienmärkten im zweiten Halbjahr fortsetzt. Allerdings dürfte die Entwicklung weniger geradlinig verlaufen als im ersten Halbjahr. Das liegt zum einen daran, dass die Anzahl der positiven Konjunkturüberraschungen abnimmt, zum anderen besteht das Risiko, dass durch die rasche Verbreitung der Deltavariante des Coronavirus neue wirtschaftliche Beschränkungen notwendig werden. Die Wahrscheinlichkeit einer vierten Infektionswelle ist zwar aufgrund des Impffortschrittes gesunken, dennoch bleibt dies ein nicht nur für den Kapitalmarkt wichtiges Thema.
Von der nun beginnenden Berichtssaison für das abgelaufene zweite Quartal erwarten wir positive Impulse für den Aktienmarkt, da die Gewinnerwartungen der Unternehmensanalysten zu vorsichtig sind. So wird für die Unternehmen im S&P 500 ein Gewinnrückgang von fast 10% gegenüber dem Vorquartal prognostiziert. Mit Ausnahme des Pandemie-Jahres 2020 legten die Gewinne dagegen in den vergangenen Jahren im zweiten Quartal immer gegenüber dem ersten Quartal zu, wobei der Zuwachs angesichts der guten Konjunktur in diesem Jahr sogar überdurchschnittlich stark ausfallen könnte. Von daher dürfte die Berichtssaison sehr gut ausfallen und dazu beitragen, dass der Diskussion über die zu hohe Bewertung von Aktien etwas der Wind aus den Segeln genommen wird.
Aktien schlagen Renten
Wir gehen davon aus, dass auch im zweiten Halbjahr die These gilt: Aktien schlagen Renten. Auch wenn die Kursschwankungen zunehmen dürften, scheinen weitere Rekorde am Aktienmarkt nur eine Frage der Zeit zu sein. Somit empfiehlt es sich derzeit noch, an einer hohen Aktienquote festzuhalten. Möglicherweise wird im Laufe des zweiten Halbjahres der Moment kommen, wieder etwas vorsichtiger zu agieren, doch lässt sich dies für den Moment noch nicht absehen. Zumal für Anleger ein großes Problem besteht: Es gibt weiterhin kaum eine sinnvolle Anlagealternative zu Aktien.
Zuletzt erschienen:
Ist die aktuelle Value-Renaissance eine Belastung für Innovationsaktien? (176), Pictet Asset Management
Luft in Dosen: Über Kryptowährungen (175), Metzler Capital Markets
Wo Warren Buffett und Ray Dalio mit Blick auf Anleihen irren (174), Twenty Four Asset Management