Devisen

Wie weit trägt die Erholung des Dollar?

Die US-Devise präsentierte sich in den vergangenen Wochen von ihrer starken Seite, auf breiter Front ging es gegen die wichtigsten Valuten der Welt nach oben. Ein Trend der länger anhalten wird?

Wie weit trägt die Erholung des Dollar?

Von Eugen Keller*)

Totgesagte leben länger! Plötzlich scheint dem Greenback neues Leben eingehaucht worden zu sein. Die US-Devise präsentierte sich in den vergangenen Wochen von ihrer starken Seite, auf breiter Front ging es gegen die wichtigsten Valuten der Welt nach oben. In der Liste der G10-Währungen liegt seit dem 25. Mai – dem Tag, an dem der Dollar-Index zur Kehrtwende angesetzt hat, – keine andere Devise im Plus. Hauptverlierer waren zuletzt der Euro und der Schweizer Franken mit einem Minus von je 2,7%.

Die neuesten Daten der Fed der effektiv gehandelten Fed Funds Rate zeigen, dass diese sich von 0,05% in den Bereich von 0,10% nach oben bewegt hat. Die Fed möchte die Raten von der Nulllinie wegbekommen, um den Geldmarktfonds etwas mehr Luft zum Atmen zu geben. Somit agiert die Fed erstmals restriktiver als die EZB. Ein erstes Signal, das der eine oder andere Marktteilnehmer be­reits als Vorbote einer schnellen QE-Reduzierung wahrnimmt, auch wenn die stimmberechtigten FOMC-Mitglieder inflationäres Po­tenzial und veränderte Dot Plots gebetsmühlenhaft herunterspielen. Das Momentum der unterstützenden US-Zentralbankpolitik hat sich unseres Erachtens gedreht. Auf „peak growth“ folgt „peak stimulus“, da an der Inflationsfront noch keine Entwarnung gegeben werden kann und die Fed Gefahr läuft, bei Nichtbeachtung an Glaubwürdigkeit zu verlieren.

Renditen gesunken

Obwohl die Erwartung einer Erhöhung der kurzfristigen Zinsen nach dem FOMC-Meeting gestiegen ist, haben sich beim Blick auf das lange Ende der US-Treasury-Kurve sicherlich viele Marktbeobachter gewundert. Denn die US-Renditen sind weiter gesunken und haben zu Beginn der letzten Woche ein neues Verlaufstief markiert, wobei die zehn- und 30-jährigen US-Renditen kurzfristig bei 1,352% und 1,926% gehandelt wurden, dies bei einer Inflation von 5%, die möglicherweise auch nicht allzu schnell und deutlich sinkt, und einem BIP-Wachstum, das laut Bloomberg-Konsens dieses Jahr mit 6,6% erwartet wird. Wer hätte das gedacht? Eine einseitige Short-Positionierung hat vermutlich mit zu dieser scharfen Bewegung beigetragen, in der sich auch die Zinsstrukturkurve verflacht und sich die Break-evens massiv zurückgebildet haben.

Die Reaktion am Devisenmarkt war da schon nachvollziehbarer. Der doch unterschiedliche geldpolitische Ansatz der beiden größten Zentralbanken der Welt hat dazu geführt, dass der Euro wieder stärker den Rückzug angetreten hat. Während die EZB nach wie vor alles dafür tut, die günstigen Refinanzierungsbedingungen zu erhalten, lässt die Fed hier mehr Pragmatismus walten und kommt am Ende doch dem gestiegenen Inflationsdruck stärker nach. Denn die Erfahrung der 1970er Jahre lehrt, dass ein zu spätes Agieren durchaus das Risiko einer unliebsamen Stag­flation nach sich ziehen kann. Generell sehen sich die US-Geldpolitiker mit einem ähnlichen Dilemma konfrontiert wie Mitte der 1970er Jahre. Damals stiegen die Großhandelspreise für Industriegüter bereits um mehr als 10% p.a. bei praktisch voll ausgelasteten Industrieanlagen; viele wichtige Industriematerialien waren extrem knapp. Der Konsens unter den politischen Entscheidungsträgern war damals, dass die Cost-Push-Inflation nicht von der Geldpolitik beeinflusst werden könne. Heute hat die Fed die Märkte anscheinend überzeugt, dass der aktuelle Inflationsanstieg temporär ist. Nichtsdestotrotz kann man die stark gestiegenen Preise auch nicht gänzlich außen vor lassen. So wurden im Gegensatz zum Meeting im März in der vergangenen Woche nun für 2023 zwei Zinserhöhungen in den Dot Plots in Aussicht gestellt; sieben FOMC-Mitglieder sehen sogar einen Zinsschritt bereits im kommenden Jahr voraus. Dennoch bleiben wir bei unserer Auffassung, dass konkrete Aussagen zu einem möglichen Tapering erst auf dem mittlerweile schon legendären Jackson-Hole-Treffen getroffen wer­den, da bis dahin deutlich mehr (Konjunktur-)Daten verfügbar sind. Die Kunst besteht darin, dem Markt das Gefühl zu geben, dass man „ahead of the curve“ ist, ihm aber keine Angst einzujagen.

Dies ist allerdings herausfordernd, denn neben weiter steigenden Energiepreisen wirken noch eine ganze Reihe anderer Faktoren inflationstreibend. Dazu zählen Angebotsengpässe aufgrund von Arbeitskräftemangel und Materialknappheit. Unserer Meinung nach wird die Fed jedoch an ihrer vorsichtigen Exit-Strategie festhalten, auch wenn die Headline-Inflation in den nächsten Monaten unerwartet weiter anzieht. Richten wir den Blick auf die Erwartungen für den weiteren Zinsverlauf, fällt auf, dass die Finanzmarktakteure derzeit das Ende des kommenden Anhebungszyklus bereits bei 1,25% erwarten. Zum Vergleich: Im Jahr 2000 erreichte die Fed Funds Target Rate noch ein Niveau von 6,5% und im Jahr 2006 5,25%.

In einem Umfeld rekordhoher Staatsschulden kann der Leitzins nur begrenzt steigen, ohne eine Schuldenkrise auszulösen. Er­schwerend kommt die enorme Mittelaufnahme und mithin das hohe Haushaltsdefizit hinzu. Vor allem die vergangenen vier Jahre waren keine Zeit für den Dollar, da einerseits Präsident Trump stets einem schwächeren Greenback das Wort geredet und andererseits die Fed permanent zu weiteren expansiven Aktionen aufgefordert hat. Die protektionistische Politik der USA hat zudem dazu geführt, dass Marktexperten erstmals von einem regelrechten Strukturbruch gesprochen und sogar die Vormachtstellung des Dollar als Reservewährung in Frage gestellt haben. Das war unseres Erachtens zwar etwas weit hergeholt, doch scheinen auch uns einige Kratzer am Image der bisherigen Leitwährung der Welt durchaus tiefer zu gehen. So entwickelt sich auch die amerikanische Handels-, aber insbesondere die Leistungsbilanz in die völlig falsche Richtung. Statt zu sinken, ist das Leistungsbilanzdefizit der USA seit Ende 2016 um knapp 55% auf aktuell 697 Mrd. Dollar (erstes Quartal 2021) angewachsen – genau das, was Präsident Trump auf jeden Fall verhindern wollte. Keine Kleinigkeit und eine potenzielle Achillesferse des US-Dollar­. Und schließlich gibt es ja noch den Blick auf die Kaufkraftparität: Danach ist der Dollar gegenüber dem Euro (je nach Art der Berechnung) um bis zu 10% überbewertet.

1,25 Dollar zum Jahresende

Zusammenfassend ergibt sich für uns ein Bild, das den Euro zukünftig im Vorteil sieht, auch wenn die Bäume nicht in den Himmel wachsen sollten. Unsere Prognose für das Jahresende lautet 1,25. Ein Punkt, der die jüngste Dollar-Erholung allerdings noch etwas länger anhalten lassen dürfte, ist die Positionierung der Anleger. Gegenüber dem Euro sind die spekulativen Marktteilnehmer noch immer in hohem Maße netto long positioniert. Aus dieser Konstellation könnte sich vor allem für den Euro kurzfristig weiteres Abwärtspotenzial ergeben, sollten sich die ersten Investoren genötigt sehen, ihre Positionen – oder zumindest Teile davon – aufzulösen.

*) Eugen Keller arbeitet als Leiter der Devisen- und Rentenmarkt-strategie beim Bankhaus Metzler in Frankfurt.