Zentralbanken in der Bredouille
Von Stefanie Holtze-Jen*)
Die sprunghafte Ausbreitung der Delta-Variante des Coronavirus hat die Zentralbanken in eine Zwickmühle gebracht. Sie müssen jetzt abwägen, welches Risiko sie höher gewichten: die Abflachung des Aufschwungs durch die neuerliche massive Ausbreitung von Covid-19 oder die sich deutlich mehrenden Zeichen, dass die Finanzmarktstabilität in Gefahr sein könnte.
Die neuseeländische Zentralbank gab in der vergangenen Woche schon einen ersten Hinweis, dass die Notenbanken in der kommenden Zeit angesichts der aktuellen Entwicklungen eher etwas vorsichtiger und abwartender reagieren könnten. Der avisierte erste Schritt, die Zinsen um 25 Basispunkte auf 0,50% anzuheben, fand nicht statt. Der Grund dafür: Am Vortag wurde ein Covid-19-Fall in Neuseeland registriert, der erste seit Februar. Die Notenbank machte deutlich, dass die ausgefallene Zinserhöhung vor dem Hintergrund der aktuellen Maßnahmen im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus gefallen sei. Aufgrund der Zero-Covid-Strategie, die wegen der sehr niedrigen Impfrate im Land – nur 18% sind doppelt geimpft – noch nicht aufgegeben werden kann, legt ein landesweiter Lockdown die heimische Wirtschaft nun wieder lahm.
Planung erschwert
Die neuseeländische Notenbank hatte bereits im Juli überrascht, als sie trotz der jüngsten Entwicklung der Coronakrise das Ende der Anleihekäufe zur Stützung der Wirtschaft verkündet hatte. Sie war damit eine der ersten, die den Ausstieg aus der extrem lockeren Geldpolitik in Angriff nahm. Die Notenbanker ließen vergangene Woche in ihrer Stellungnahme zwar keinen Zweifel daran, dass die Zinserhöhung bald kommen werde. Es zeigt sich aber einmal mehr, dass die Dinge in Zeiten von Covid-19 schwer planbar sind und sich Einschätzungen über Nacht ändern können – der neuseeländische Dollar wertete seither fast 2,5% gegenüber dem Euro ab.
Wie volatil die Lage derzeit ist, zeigt sich auch an der norwegischen Krone. Eine veränderte Risikowahrnehmung und der schwächere Ölpreis führten dazu, dass die Währung trotz der Beteuerung der Zentralbank am letzten Donnerstag, die Zinsen höchstwahrscheinlich im September anzuheben, nicht zulegen konnte. Die wirtschaftliche Entwicklung verläuft gut, wie die Zahlen für das zweite Quartal am Freitag belegten. Das Bruttoinlandsprodukt erreichte im Juni das Niveau vom Februar 2020, bevor die Pandemie Norwegen traf. Jedoch haben sich die Finanzrisiken aus Sicht der norwegischen Notenbank zuletzt deutlich erhöht. Angesichts der rekordniedrigen Zinsen ist das Kreditwachstum rege. Die Immobilienpreise sind stärker gestiegen als erwartet, weshalb die Zentralbank zusammen mit dem Komitee für Finanzstabilität dem Finanzministerium vorgeschlagen hat, den antizyklischen Kapitalpuffer anzuheben.
Das Thema Finanzstabilität fand sich auch in den Minutes der US-Notenbank Fed. In der Zentralbank-Reaktionsfunktion stehen die Risiken aus den Effekten der noch andauernden Pandemie den Risiken gegenüber, die sich für die Finanzmarktstabilität ergeben. „Unter dem Strich sind die finanziellen Schwachstellen des US-Finanzsystems bemerkenswert“, kommentierten die US-Notenbanker. Besonders kritisch seien vier Punkte: die erhöhten Vermögenspreise, historisch gesehen extrem hohe Aktienbewertungen, äußerst niedrige Zinsaufschläge bei Unternehmensanleihen und erhöhte Eigenheimpreise. Erstmals äußerte sich die Fed auch kritisch zu den noch unregulierten Kryptowährungen, die sich seit Beginn der Pandemie großer Beliebtheit erfreuen und teilweise als „digitales Gold“ wahrgenommen würden. Deren erweiterter Einsatz berge potenzielle Risiken für die Finanzstabilität.
Auf der anderen Seite der Waagschale sieht die Fed die Entwicklung der Pandemierisiken in den USA. Landesweit liegt die Anzahl der Covid-19-Patienten auf amerikanischen Intensivstationen bereits bei 75% vom höchsten Stand im Januar dieses Jahres. Bei der aktuellen Geschwindigkeit, mit der sich die Delta-Variante ausbreitet, könnte der bisherige Höchststand bereits in 14 Tagen erreicht werden. Derzeit diskutierte Restriktionen begrenzen sich zwar momentan nur auf den erneuten Einsatz von Masken, aber dafür soll der Delta-Variante bereits im September mit Auffrischungsimpfungen entgegengetreten werden.
In der Zwischenzeit profitierte der Dollar vor allem von dem Eindruck, dass sich die Fed einig ist, dass das Tapering kommt – und von seiner Eigenschaft als sicherer Hafen. Unser Kursziel von 1,15 Dollar pro Euro rückt in greifbare Nähe.
Ob das Symposium von Jackson Hole diese Woche tatsächlich Spielraum für bahnbrechende Neuigkeiten zum Timing der Anleiherückkäufe gibt, bleibt abzuwarten. Erwartet werden können aber zumindest bessere Einblicke, wie die Fed ihre Ziele der maximalen Beschäftigung und des Erreichens eines durchschnittlichen Inflationsziels künftig definiert. Ebenfalls auf der Agenda der Notenbanker: Kryptowährungen, die Regulierung von Stablecoins und das Thema digitale Zentralbankwährungen.
Eine andere Zentralbank, von der frühe Schritte erwartet werden, ist die kanadische Notenbank, deren nächste Sitzung für den 8. September terminiert ist. Aufgrund der im Juli stärker gestiegenen Inflationszahlen wird sie sich zwar bestätigt sehen, die Anleihekäufe weiter zu reduzieren, und eventuell für Leitzinsanhebungen vor der bisher avisierten zweiten Jahreshälfte 2022 plädieren. Jedoch wurden bisher Beschlüsse, den Kauf von Anleihen zu reduzieren, nur auf Sitzungen gefasst, die auch einen neuen geldpolitischen Bericht beinhalteten. Und dieser wird erst wieder im Oktober veröffentlicht.
Auch die Bank of England hat noch Zeit, die Lage zu sondieren, – die nächste Zinssitzung findet am 23. September statt. Noch in ihrem August-Meeting avisierten die Währungshüter, dass ein Anstieg der Zinsen in den nächsten zwölf Monaten zu erwarten sei. Die Regierung führt ihre Öffnungsstrategie trotz steigender Covid-Zahlen bisher unbeirrt weiter, kündigte nun aber an, ab Dienstag kostenfreie Antikörper-Testungen für Covid-19-Infizierte anzubieten. Diese sollen eine landeseigene Studie im Kampf gegen die Delta-Variante unterstützen.
EZB lässt sich Zeit
Die EZB nimmt sich am meisten Zeit. Sie scheint sich als einzige Notenbank von der Debatte und dem Wettrennen um eine Normalisierung der Geldpolitik verabschiedet zu haben. Die rekordtiefen Zinsen sind zementiert und flankiert von milliardenschweren Anleihekäufen. Liegt sie mit ihrer vorsichtigen Haltung eventuell als einzige der großen Notenbanken richtig? Das ist durchaus denkbar. Die Veröffentlichung des Juli-Protokolls an diesem Donnerstag könnte das Bild einer robusten Aktivität im Euroraum und einer Inflationserholung zeichnen. Es könnte aber durchaus sein, dass Europas wirtschaftliche Erholung länger braucht als in anderen G10-Staaten, was die abwartende Haltung der EZB in Sachen geldpolitischer Lockerungen erklären könnte.
*) Stefanie Holtze-Jen ist Chief Currency Strategist der DWS.
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