Ausblick

Zinsen als Risikofaktor

Die Zinsentwicklung hat den europäischen Aktienmarkt bislang stärker belastet als die Folgen des Ukraine-Kriegs. Allerdings könnte ein EU-Embargo gegen russisches Öl auf Aktien durchschlagen.

Zinsen als Risikofaktor

Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt

Im Gleichschritt mit anderen europäischen Aktienmärkten und der Wall Street war das Börsenjahr 2022 bislang wenig erfreulich. Der Dax hat im Jahresverlauf bislang 11% eingebüßt, beim amerikanischen Benchmark-Index S&P500 sind es 10%.

Dabei spielt der Ukraine-Krieg eine Rolle, nach Einschätzung von Sven Streibel, Analyst bei der DZ Bank, fürchtet der Aktienmarkt die Zinsen aber mehr als den Krieg. Die Kriegsangst hätten die Anleger ein gutes Stück abgelegt, sie konzentrierten sich nun auf die realwirtschaftlichen Auswirkungen. Die Berichtssaison für das erste Quartal sei in vollem Gange und im Fokus stünden die Auswirkungen der Inflation auf die Gewinnmarge. Die großen Aktiengesellschaften in Europa und in den USA hätten sich dabei bislang im Schnitt recht gut behauptet. Im Stoxx600 hätten bisher 67% der veröffentlichten Quartalsgewinne positiv überrascht. „Ein Indiz dafür, dass der Aktienmarkt aufgrund der Nachrichtenlage und der Rezessionsängste doch übertrieben pessimistische Erwartungen hegt“, so Streibel. Entsprechend gut seien die bisherigen Kursreaktionen ausgefallen. Bei weiteren positiven Gewinnüberraschungen sieht die DZ Bank denn auch zusätzliches Kurspotenzial.

Unglücklicherweise werde dies derzeit jedoch durch die hawkishe Notenbankpolitik komplett überschattet. „Die massiv gestiegenen Anleiherenditen in den USA und in Europa üben weiterhin Druck auf die Aktienbewertungen aus und eliminieren regions- und sektorenübergreifend die anfänglichen Kursgewinne“, beklagt Streibel. Defensive Aktiensektoren litten ironischerweise in diesem krisengeschüttelten Umfeld aufgrund ihrer höheren Bewertung stärker als konjunktursensible Aktien. Das Kriegsgeschehen in der Ukraine sei zwar weiterhin ein sehr großes Risiko, insbesondere für den europäischen Aktienmarkt. Es sei jedoch eine Tatsache, dass seit Jahresbeginn in Europa oder den USA die marktübergreifenden Gewinnerwartungen für die nächsten drei Jahre nicht eingebrochen seien.

Neben der Zinsentwicklung gibt es noch einen weiteren Risikofaktor. Nach Einschätzung der Rohstoffanalysten von J.P. Morgan könnte der Ölpreis von derzeit rund 109 Dollar je Barrel bis auf 185 Dollar steigen, sollte sich die EU doch noch zu einem Boykott russischen Erdöls durchringen. Dies würde die Gewinnaussichten der europäischen Unternehmen und damit auch die Kursniveaus am Aktienmarkt gefährden.

In der neuen Handelswoche steht am Mittwoch die Zinssitzung der US-Notenbank im Mittelpunkt des Geschehens. Erwartet wird eine Anhebung des Leitzinses um einen halben Prozentpunkt. Am Donnerstag berät dann die Bank von England über ihre Geldpolitik. Erwartet wird eine Anhebung um einen Viertelprozentpunkt.

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