„2022 hat Kion sehr hart getroffen“
Karolin Rothbart.
Herr Wassenberg, nach Heidelberger Druckmaschinen heißt Ihr nächster Patient mit Profitabilitätsproblemen nun also Kion. Wie lautet Ihre Diagnose?
Ich weiß nicht, ob man Kion wirklich einen Patienten nennen kann. Kion hat eine Eigenkapitalquote von 34 %. Wir operieren in einem totalen Wachstumsumfeld – im Lieferketten-Bereich SCS wächst der Markt jährlich im Durchschnitt um 9 % und im Gabelstaplerbereich ITS um 4 %. Es gibt Megatrends, die unser Umfeld unterstützen. Das letzte Jahr hat Kion aber sicher sehr hart getroffen.
Was war passiert?
Wir haben nicht die Profitabilität gezeigt, die wir gern gezeigt hätten, aber wir haben trotzdem Gewinn gemacht. Wir haben sicherlich im Cashflow enttäuscht. Aber man muss sich dabei auch angucken, woran das gelegen hat. Insbesondere die schwierigen Materialverfügbarkeiten haben Kion sehr gestört, vor allem im Segment SCS. Und die Materialkosten steigen in allen Bereichen. Kion hat sich schwergetan, schnell zu reagieren. Da hat Rob jetzt in seinem ersten Jahr viele gute Maßnahmen ergriffen. Und ich komme jetzt dazu und kann das auch noch mal unterstützen. Dabei bin ich sicher, dass wir im Rahmen unseres Strategieprozesses bei unserem Ziel einer bereinigten Ebit-Marge von über 10 % bis 2027 landen werden.
Auch wenn Kion die gestiegenen Preise 2022 nicht in ausreichendem Maße weitergeben konnte, so hat die Inflation doch sicher trotzdem einiges zum Umsatzplus von 8% beigetragen.
Ja, wir haben im letzten Jahr bei der ITS vier Preiserhöhungen gehabt. Wir haben auch den bestehenden Auftragsbestand mit den Kunden neu besprochen und da noch mal etwa 75 Mill. Euro nachverhandeln können. Wir haben zunächst jetzt keine weiteren Preiserhöhungen vorgenommen, beobachten aber die Situation und würden uns unter Umständen weitere Erhöhungen vorbehalten. Bei der SCS ist die Situation ein bisschen anders. Da haben wir seit dem letzten Jahr Preisanpassungsklauseln in den Lieferverträgen eingeführt. Die Klauseln wirken natürlich in beide Richtungen. Das heißt, wenn die Kosten runtergehen, dann geht das zugunsten unserer Kunden, wirkt aber in Summe stabilisierend.
Die Dividende soll dieses Jahr mit 19 Cent je Aktie deutlich schmaler ausfallen als im vergangenen Jahr (1,50 Euro). Können sich Aktionäre mit dem erwarteten Ergebnisanstieg in 2023 künftig wieder auf höhere Ausschüttungen freuen?
Der Dividendenvorschlag liegt in diesem Jahr im unteren Bereich des Korridors, den wir uns für Ausschüttungen wünschen. Wir arbeiten jetzt hart daran, die Profitabilität und auch den Cashflow des Unternehmens deutlich nach oben zu kriegen. Das sehen Sie ja in unserer Prognose. Wir würden uns dann natürlich auch freuen, wenn wir in der Folge einen entsprechenden anderen Dividendenvorschlag machen können.
Sehen Sie in diesem Jahr Potenzial für Zukäufe?
Ich würde Zukäufe nicht ausschließen, aber es muss schon eine tolle Opportunität sein. Wir gucken uns den Markt genau an, auch regional. Ich würde aber auch nicht sagen, dass ich mit einem prall gefüllten Einkaufszettel durch die Lande ziehe.
Sie sagen, dass Ihnen vor allem Ihre Erfahrungen vom Windenergiekonzern Senvion und von Rolls-Royce bei Kion helfen werden. Was sind da die Parallelen?
Kion operiert ja zum einen im Gabelstaplergeschäft, was keine Serienproduktion ist, wie etwa in der Automobilindustrie, aber es ist dennoch eine Produktion in kleinerer Serie. Und dann haben Sie im Lieferkettenbereich ein Projektgeschäft, was mit langen Vorlaufzeiten operiert. Da sind 12 Monate gar nichts, das können auch locker mal 24 oder 36 Monate sein, bis es dann wirklich losgeht. Diese Projekte sind zudem relativ komplex und dauern unter Umständen mehrere Jahre. Mit Rolls-Royce war ich früher bei einem Unternehmen, das Großmotoren produziert. Auch das ist keine Serienproduktion, sondern es sind kleinere Serien. Senvion wiederum war das erste Unternehmen, das Offshore-Turbinen ins Wasser gestellt hat. Das sind, wie im SCS-Geschäft von Kion, auch längere Projektlaufzeiten von mehreren Jahren. Ich habe damit also das Gefühl, in beiden Segmenten so gut zu Hause zu sein, dass ich verstehe, was da passiert.
Bei Kion haben Sie es, wie schon bei Heidelberg, erneut mit einem chinesischen Ankeraktionär zu tun, der seine Beteiligung auch gerade noch mal auf 46,5 % ausgebaut hat. Geopolitische Entwicklungen wie die zunehmende Entkopplung zwischen den USA und China bergen da Risiken – beide werfen sich beispielsweise im Augenblick die Schuld an der Corona-Pandemie zu. China hat den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine zudem nie verurteilt. Wie betrachten Sie die Situation?
Ich kann nicht für unseren Shareholder sprechen. Wir haben in der Ukraine versucht zu helfen und Gabelstapler sowie finanzielle Hilfen bereitgestellt. Kion ist daneben über Linde Material Handling schon seit mehr als 30 Jahren in China. Seit 10 Jahren ist Weichai unser Ankeraktionär. Wir kooperieren mit Weichai, wenn es darum geht, in China zu investieren, dort zu wachsen und für den chinesischen Markt zu entwickeln. Ansonsten hält sich unser Ankeraktionär, entsprechend der deutschen Governance, aus allem raus. Der Vorstand wird von Rob geführt und wir treffen die operativen Entscheidungen. Im Aufsichtsrat hat Weichai von 16 Sitzen 4 Stück. Wir haben mit Weichai eine Stabilität, von der wir sehr profitieren.
Das Interview führte