Agtech, Climate Tech und Live Shopping im Fokus
kro Frankfurt
Start-ups, die mit ihren Innovationen den Herausforderungen aus dem Klimawandel, der wachsenden Weltbevölkerung und dem sich ständig verändernden Konsumverhalten der Menschen begegnen, dürften aus Sicht von Marktbeobachtern im kommenden Jahr besondere Aufmerksamkeit von Investoren auf sich ziehen. „Die Fragilität des Ernährungssystems wurde während der Pandemie offenbar, als Blockaden im Transportwesen, der Logistik und in der Landwirtschaft dazu geführt haben, dass weltweit Millionen Tonnen von Lebensmitteln verloren gegangen sind“, schreibt Emerging-Tech-Analyst Alex Frederick in einem umfassenden Ausblick des auf die Privatmärkte spezialisierten Datendienstes Pitchbook.
Viele dieser Herausforderungen würden zwei Jahre später noch immer bestehen. Der Krieg in der Ukraine, die Erderwärmung und Praktiken aus der industriellen Landwirtschaft würden zu den geringeren Erträgen noch zusätzlich beitragen. Es brauche daher Technologien, mit denen sich die Lebensmittelproduktion hochskalieren lasse. Bei Themen wie der Automatisierung von Landwirtschaftsgeräten, künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen sowie bei Computer-Vision-Systemen habe es zuletzt etwa deutliche Verbesserungen gegeben. „Jetzt geht es mit der Kommerzialisierung los“, erwartet Frederick.
Investoren sind sich der Chancen in dem Bereich durchaus bewusst. Schon in den ersten drei Monaten des laufenden Jahres haben sie weltweit deutlich mehr Geld in Agtech-Start-ups gesteckt als im Vorjahr. Der mittlere Wert pro Finanzierungsrunde lag bei 3,5 Mill. Dollar − ein gutes Fünftel mehr als im Vorjahr. Zu den größten Deals zählte die Series-E-Runde des New Yorker Indoor-Farming-Spezialisten Gotham Greens, der im September 310 Mill. Dollar eingesammelt hat.
Mit den zunehmenden Absatzmöglichkeiten und der sich anbahnenden Marktreife rechnet Frederick in der Kategorie nun für 2023 mit einem Finanzierungsrekord. Allerdings müsse man sich darüber im Klaren sein, dass die Entwicklung von intelligenten Landwirtschaftsgeräten kapital- und zeitintensiv sei. Etablierte Großkonzerne wie Grainger, Deere oder Kubota könnten diesbezüglich im Vorteil sein.
Ein weiteres Feld, in dem laut Pitchbook 2023 vor allem in den USA mit neuen Finanzierungshöchstständen zu rechnen ist, ist der Bereich Climate Tech, also Technologien, die vornehmlich auf die Reduktion von Treibhausgasen wie Methan oder CO2 abzielen. „Getrieben durch den Inflation Reduction Act, eine steigende Akzeptanz für die Notwendigkeit, den Klimawandel zu managen, und Zusicherungen zur Emissionsreduktion wächst das Interesse an Climate Tech“, schreibt Analyst John MacDonagh. Die im Sommer beschlossene US-Steuerrechtsreform verspreche staatliche Unterstützungsmaßnahmen für eine Reihe von Klimatechnologien, vor allem in den Bereichen Kohlenstoffbindung, erneuerbare Energien und Energieeffizienz. Etwa 370 Mrd. Dollar seien allein im Rahmen der Reform dafür vorgesehen und auch Start-ups könnten ihren Nutzen daraus ziehen. „Da das Gesetz im dritten Quartal unterzeichnet wurde, rechnen wir im kommenden Jahr und darüber hinaus mit erheblichen Veränderungen im VC-Bereich“, schreibt MacDonagh. Das Thema dürfte aber bei Weitem nicht nur in den USA immer stärker auf dem Radar von Investoren stehen. Eine Umfrage von PwC hat jüngst ergeben, dass beispielsweise auch Geldgeber mit Schwerpunkt in Deutschland deutlich stärker an Climate Tech interessiert sind als noch vor einem Jahr. Europaweit haben sich die Investitionen in dem Sektor laut Dealroom in den Jahren 2017 bis 2021 verzehnfacht − und sind damit so stark gewachsen wie kein anderer Sektor.
Ein weiterer Bereich, in dem die Pitchbook-Analysten im nächsten Jahr mit Finanzierungsrekorden rechnen, ist das Thema Livestream Shopping, also virtuelle Verkaufsevents. „Der Aufstieg von Influencer-Persönlichkeiten, die globale Digitalisierung und mobiles Shopping sind im Begriff sowohl in Heimatmärkten als auch in Schwellenländern miteinander zu verwachsen und etablierte digitale Geschäftsmodelle auseinanderzubrechen“, schreibt Tech-Analyst Eric Bellemo in dem Bericht.