Unterm Strich

Es lebe die Regulierung!

In der Legislative scheint ein Grundsatz immer mehr in Vergessenheit zu geraten: Wer Gesetze macht und damit „reguliert“, muss auch dafür sorgen, dass diese Regelwerke funktionieren und ausführbar sind.

Es lebe die Regulierung!

Frankfurt brüstet sich gern als Regulierungshauptstadt Europas. Begründet wird dies mit den zahlreichen Institutionen und Behörden, die sich mit Regulierungsthemen, insbesondere des Finanzmarktes, beschäftigen. Genannt werden in diesem Zusammenhang vor allem die europäische Bankenaufsicht durch die EZB sowie der Ausschuss für Systemrisiken im Finanzmarkt ESRB, die europäische Versicherungsaufsicht EIOPA, die Finanzdienstleistungsaufsicht BaFin, der neue International Sustainability Standards Board ISSB und vielleicht auch bald die europäische Antigeldwäschebehörde AMLA, für deren Sitz Frankfurt sich bewirbt. Das Regulierungsnarrativ lenkt prima davon ab, dass es ansonsten mit dem Finanzplatz nicht weit her ist und Frankfurt trotz Brexit-geschwächter Londoner City international weiter an Relevanz verliert. Das gilt für das IPO-Geschehen wie für die Marktkapitalisierung der notierten Unternehmen in Relation zum BIP bis zur Profilierung für Zukunftsthemen wie Green Finance.

Nun sorgte vor kurzem ein Thema für Schlagzeilen weit über den Finanzplatz Frankfurt hinaus, als publik wurde, dass bei der Ausländerbehörde in Frankfurt Tausende ausländische Akademiker auf ihre Arbeitserlaubnis beziehungsweise deren Verlängerung warten und die Behörde eine Welle von 15000 nicht bearbeiteten Anträgen und Mails vor sich herschiebt. Auslöser der Berichterstattung, die es bis in die „Neue Zürcher Zeitung“ schaffte, war eine Dienstaufsichtsbeschwerde der Commerzbank gegen das Ausländeramt wegen Untätigkeit. Denn die Commerzbank hatte einen wichtigen Mitarbeiter des Firmenkreditgeschäfts nach Ablauf von dessen vier Jahre geltendem Visum und damit der Arbeitserlaubnis freistellen müssen, obwohl sich der Mitarbeiter mehr als acht Monate lang um eine Verlängerung bemüht hatte – vergeblich. Kein Einzelfall, wie der Frankfurter Magistrat einräumen musste: 6700 der nicht bearbeiteten Fälle und Mails betreffen ausländische Akademiker.

Wie will man in Frankfurt die in der vergangenen Woche vom Bundestag beschlossene Erleichterung der Zuwanderung von Fachkräften in den Griff bekommen, wenn schon jetzt die Verwaltung in vielen Kommunen – nicht nur in Frankfurt – hoffnungslos überfordert ist? In der Legislative scheint ein Grundsatz immer mehr in Vergessenheit zu geraten: Wer Gesetze macht und damit „reguliert“, muss auch dafür sorgen, dass diese Regelwerke funktionieren und ausführbar sind.

Man mag es als Ironie der Geschichte betrachten, dass ausgerechnet an der privaten Universität Frankfurt School for Finance and Management in diesem Frühjahr ein Competence Centre for German and Global Regulation (FCCR) gegründet wurde. Oder auch nicht. Denn besonders betroffen vom Regulierungseifer ist spätestens seit der Finanzkrise vor 15 Jahren der Finanzsektor. Insofern lässt sich ein solches Institut auch als Selbsthilfeeinrichtung verstehen. Denn die vielfach beschworene „Better Regulation“ der EU, deren Grundsätze vor einem Vierteljahrhundert von einer Task Force als Bekenntnis zu Qualität statt Quantität in der Regulierung entwickelt wurde, wird kaum kontrolliert.

Banken als Behörde

Das ist umso verhängnisvoller, als mit der EU-Taxonomie ein Regulierungsmonster vor der Tür steht, das an Anspruch und Komplexität alle anderen nationalen ESG-Initiativen übertrifft, aber die Umsetzung vor allem der Finanzbranche aufbürdet. Die Banken werden damit quasi zu einer neuen Umweltbehörde, wie es der ehemalige hessische Ministerpräsident und jetzige FCCR-Professor Roland Koch ausdrückt. An Ideen, wie „Better Regulation“ ihrem Namen gerecht werden könnte, fehlt es nicht. Und auch nicht an Versuchen, dies schon im Gesetzgebungsprozess zu verankern. Doch die Umsetzung der Gesetzesfolgenabschätzung verfehlt ihren Anspruch. Solange nur direkte Preiseffekte und Bürokratiekosten eines neuen Gesetzes ermittelt werden (können), führen solche Angaben eher in die Irre als zur Wahrheit.

Der Normenkontrollrat, der die Umsetzungskosten von Gesetzen im Blick haben soll, konstatiert eine völlige bürokratische Überforderung, insbesondere durch die jüngsten Gesetze zur Entlastung der Bürger. Die Verdreifachung der Anspruchsberechtigten beim Wohngeld Plus oder die Wärmehilfe für Studenten, deren Adressen und Konten nun von den Bundesländern recherchiert werden sollen, überfordern die Verwaltung. Viele Anspruchsberechtigte der „gut gemeinten“ Hilfe werden die Leistung erst nach ihrem Examen erhalten, sofern sie bis dahin durchhalten. Enorm hoch sind die Bürokratiekosten, allein beim Wärmegeld für Studenten werden sie auf ein Drittel der Hilfe geschätzt. Genaues weiß man dazu natürlich nicht. Erst Jahre später klärt manchmal der Bundesrechnungshof über die tatsächlichen Kosten bestimmter Gesetze auf – was die dann Regierenden achselzuckend zur Kenntnis nehmen.

Die Wirtschaft beklagt, dass es keine Anreize zum Bürokratieabbau gebe. Doch sie ruft oft genug selbst nach dem alles regelnden Staat, zumal in diesen Krisenzeiten. Und auch das Deutschland nachgesagte Gold Plating bei der Umsetzung europäischer Richtlinien in nationales Recht entspringt nicht allein dem Regulierungseifer des Gesetzgebers, sondern auch dem Wunsch der Regulierten nach möglichst detaillierten und rechtssicheren Vorschriften.

Better Regulation kann auch darin bestehen, auf Regulierung zu verzichten und dem so gern gescholtenen Markt mehr zuzutrauen. Wäre das nicht ein wunderbares Betätigungsfeld für eine neue Behörde? In diesem Sinne sollte sich die Bundesregierung für eine europäische Deregulierungsbehörde einsetzen und für deren Sitz – natürlich – Frankfurt vorschlagen. Bis zum Anheuern der dafür nötigen internationalen Mitarbeiter hat dann vielleicht auch die Ausländerbehörde in Frankfurt ihren Bearbeitungsstau aufgelöst.

c.doering@boersen-zeitung.de

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