Strategie

Jahr der Bewährung für Volkswagen

Nach dem erfolgreichen Porsche-Börsengang muss der VW-Konzernchef Oliver Blume den „Investment Case“ neu erläutern. Die Kursentwicklung der Volkswagen-Aktie ist ernüchternd.

Jahr der Bewährung für Volkswagen

Das operative Geschäft 2023 erfolgreich durch eine Rezession und ein noch schwierigeres Marktumfeld zu steuern, wäre als Aufgabe allein schon anspruchsvoll genug. Corona-Pandemie, Chipmangel, Ukraine-Krieg, Energiekrise, schrumpfendes Wirtschaftswachstum und steigende Zinsen fordern von den Autoherstellern im ablaufenden Turnus schon ein hohes Maß an Fokussierung. In diesem Umfeld müssen nun aber in Wolfsburg mit weitreichenden Folgen Weichen gestellt und Initiativen umgesetzt werden: Oliver Blume steht 100 Tage nach seinem Antritt als Volkswagen-Konzernlenker vor dem Jahr der Bewährung.

Die Verschiebung der Investitionsplanungen für den nächsten Fünfjahreszeitraum von diesem Herbst ins kommende Jahr hat die komplexe Gemengelage für Europas größten Fahrzeugbauer verdeutlicht. Dabei hat Volkswagen keine Zeit zu verlieren. Der Kursrückgang um gut ein Fünftel in diesem Jahr und die zuletzt schwächere Entwicklung verglichen mit dem Branchenindex, die neben der reduzierten Absatzprognose für das laufende Geschäftsjahr auf unternehmensspezifische Faktoren wie Verzögerungen bei Softwareprojekten und dem bislang moderaten Geschäft mit Elektroautos in China zurückzuführen sein dürfte, lassen den Druck weiter steigen.

Der Wechsel vom schrittweise entmachteten „Visionär“ Herbert Diess zum „Teamplayer“ und „Umsetzer“ Blume an der Konzernspitze Anfang September mag intern für Aufbruchstimmung sorgen. Ehrgeizige Projekte wie die Entwicklung von leistungsfähigen Betriebssystemen für einzelne Marken wie Porsche und für den Gesamtkonzern lassen sich mit einem Vorstandsvorsitzenden, der nicht immer wieder auf Widerstand einzelner Stakeholder stößt, zweifellos leichter vorantreiben. Doch VW-Anleger stellen in diesen Tagen am Kursverlauf des eigenen Papiers ernüchtert fest, dass sich der erfolgreiche Börsengang der Sportwagentochter Porsche Ende September nicht auswirkt. Value Unlock? Fehlanzeige!

Porsche wird an der Börse höher bewertet als der VW-Konzern insgesamt, in dem die Stuttgarter Ertragsperle mit einem Anteil von 75% enthalten ist. Das zeigt, dass der Markt das Mehrmarkenunternehmen eher als Massenhersteller bewertet. Das Potenzial, das Blume­ im Konzern sieht, erfordert eine klare Strategie, die kommuniziert werden muss. Der Konzernchef muss den „Investment Case VW“ neu erläutern.

Dass sich die in der Diess-Ära aufgestellten Pläne für den Tesla-Jäger „Trinity“ nicht halten lassen, weil sich die Entwicklung der für autonomes Fahren notwendigen Software in die Länge zieht, verlangt nach einem neuen Konzept für die Fahrzeuggenerationen nach 2025. Die Hinzunahme von Entwicklungspartnern weist auf Kurskorrekturen hin. Bei der Entwicklung der Software, die zunächst die Umsetzung von Produktinitiativen bei Porsche und Audi ermöglichen soll, weil es gerade im Premiumsegment um renditerelevante Differenzierung geht, nimmt Blume einen neuen Anlauf. Auf den dafür notwendigen Rückhalt im Konzern kann er aktuell bauen.

Von seinem Vorgänger hat Blume weitere Großbaustellen übernommen. Die schwächelnde Kernmarke Volkswagen Pkw etwa, die für ein Viertel des Konzernumsatzes steht, muss Problemen bei Produkten, Qualität und Fahrzeuganläufen begegnen. In einer höheren Profitabilität der Marke liegt für den Konzern großes Potenzial. Um die Bewertung zu steigern, muss die Kernmarke in Europa und Amerika rentabler werden. Es sind die Premiummarken, die den freien Cashflow stützen.

Auch im wichtigsten Absatzmarkt China, der sich schnell in Richtung Elektromobilität bewegt, braucht Volkswagen rasch mehr Traktion. Die bislang schwache Position im E-Auto-Segment erfordert vom Marktführer Anpassungen an das Tempo der Verschiebungen im größten Wachstumsmarkt. Die hohe Abhängigkeit birgt Risiken. Doch verdient der Konzern in China einen Großteil der Mittel, die er zur Verbreiterung der Absatzbasis sowie für den Umbruch zu den Zukunftstechnologien in anderen Regionen nutzen will.

Aufschluss darüber, wie der weitere Umbruch in Richtung E-Mobilität und Digitalisierung finanziert werden soll und wie die nächste mittelfristige Investitionsplanung aussehen wird, ist bei der Bilanzvorlage im März oder bei einem Kapitalmarkttag im zweiten Quartal 2023 zu erwarten. Spätestens ab dann gilt es für Blume zu liefern.

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