Teure Wahlgeschenke belasten Italiens Haushalt über viele Jahre
Italien ist in den letzten beiden Jahren stärker gewachsen als die meisten anderen europäischen Länder. Neben dem boomenden Tourismus war das vor allem auf die umfangreichen Mittel des europäischen Wiederaufbauprogramms, dessen größter Nutznießer das Land ist, und eine Vielzahl von Hilfen der Regierung zurückzuführen.
Ende 2021 war das Land in Höhe von 150% des Bruttoinlandsprodukts verschuldet, der höchste Wert nach Griechenland. In diesem Jahr dürfte die Verschuldung vor allem dank der Inflation, die das Bruttoinlandsprodukt aufbläht, auf etwa 145% sinken. Strukturell hat es in den letzten Jahren kaum Maßnahmen gegeben, die geeignet gewesen wären, die Verschuldung zu senken – im Gegenteil. Auch Mario Draghi packte Themen wie das exorbitant teure Rentensystem mit vielen Frühpensionierungen, die quasi unbegrenzte Förderung der energetischen Sanierung von Gebäuden oder eine Reform des zum Missbrauch verführenden Bürgereinkommens, einer Art Sozialhilfe, die er von seinen Vorgängern „geerbt“ hatte, nicht an.
Seine Nachfolgerin Giorgia Meloni lässt zwar Vorsicht walten und will teure Wahlversprechen ihrer Koalitionspartner Lega und Forza Italia zunächst nur in homöopathischen Dosen umsetzen. Doch der Zielwert für das Haushaltsdefizit 2023, das Draghi noch auf 3,4% senken wollte, wurde auf 4,5% korrigiert. Die Ratingagentur Moody’s hält auch das für unrealistisch. Die Wirtschaft werde 2023 um 1,4% schrumpfen. Meloni geht in ihrer Planung von einem Zuwachs von 0,6% aus.
Als eine der ersten Maßnahmen hat Meloni noch einmal 9 Mrd. Euro für ein Paket bereitgestellt, das Steuernachlässe auf Energie- und Treibstoffpreise für Unternehmen und Haushalte fortschreibt. Damit addieren sich die Hilfen gegen die hohen Energie- und Strompreise seit Herbst 2021 auf 75 Mrd. Euro.
Für Alberto Brambilla, Präsident des privaten Mailänder Studien- und Forschungszentrums zu Fragen der sozialen Sicherung (Centro Studi e Ricerche Itinerari Previdenziali), besteht auf zahlreichen Gebieten dringender Handlungsbedarf. „Die Regierung Conte hat zwischen 2019 und 2021 die Verschuldung durch Maßnahmen wie den Superbonus 110 zur energetischen Sanierung von Gebäuden, der bisher 60 Mrd. Euro gekostet hat, das Bürgergeld (30 Mrd. Euro) und die Herabsetzung des Rentenalters auf 62 (27 Mrd. Euro) erhöht. Die neue Regierung muss das korrigieren, denn die Zinsen steigen und die Zinslast des Staates wächst 2022 gegenüber dem Vorjahr um etwa 10 Mrd. Euro.“
Bis Anfang 2022 profitierte Rom von ausnehmend guten Rahmenbedingungen. Dank des Euro zahlte Italien trotz hoher Schulden praktisch keine Zinsen. Zudem kaufte die Europäische Zentralbank in hohem Maße Staatsanleihen auf. Sie hält inzwischen etwa 28% der italienischen Schulden. Weitere 15% liegen bei den Banken des Landes.
Rom hat diese beispiellos günstigen Rahmenbedingungen nicht nur nicht genutzt, um die Schulden abzubauen, sondern hat sie sogar deutlich erhöht: Durch teure Wahlgeschenke, die den Haushalt teilweise Jahrzehnte belasten. Die Politik der Vorruhestandsregelungen früherer Regierungen wurde unter den beiden Regierungen Giuseppe Contes (2018 bis 2021) noch ausgeweitet: Italiener konnten nach 38 Beitragsjahren schon mit 62 in Rente gehen, Frauen nach 35 Beitragsjahren schon mit 58 und eine Reihe von Berufssparten schon nach 30 Jahren Beitragszahlungen. Viele dieser Regelungen gelten noch immer. Auch die neue Regierung plant nur bescheidene Korrekturen, obwohl „Italien das effektiv niedrigste Renteneintrittsalter der EU und die niedrigste Beschäftigungsquote hat“, sagt Brambilla. 2021 wurden 313 Mrd. Euro für Rentenzahlungen ausgegeben. Allein die Inflationsanpassung der Renten schlägt im Haushalt für 2023 mit deutlich mehr als 20 Mrd. Euro zu Buche.
Ähnlich unverantwortlich ist die Idee einer Flat Tax von 15% für Einkommen bis zu 100000 Euro im Jahr, die sozial ungerecht ist. Die Umsetzung wurde zwar weitgehend verschoben, soll aber bis zum Ende der Legislaturperiode erfolgen. „Die Flat Tax weist keinerlei Progressivität auf und führt zu deutlichen Steuermindereinnahmen“, sagt Stefano Caselli, Wirtschaftsprofessor an der Mailänder Universität Bocconi. Brambilla weist darauf hin, dass 60% der Italiener schon jetzt praktisch keine Einkommensteuer zahlen.
„Extrem unfair“
Finanzieren will die Regierung die geplanten Maßnahmen etwa durch Korrekturen von Wahlgeschenken früherer Regierungen wie des Bürgereinkommens, das nach Ansicht des Gründers und CEO des Assetmanagers Algebris Investments „ein extrem unfaires Instrument ist. Etwa 1,6 Millionen Personen erhalten dadurch 700 bis 800 Euro im Monat, ohne vom Sofa aufstehen zu müssen.“ Auch Caselli findet es „richtig, das Bürgereinkommen zu reformieren. Wer einen Arbeitsplatz ablehnt, muss finanziell bestraft werden“, findet er. Doch noch ist die Maßnahme, die den Staat allein zwischen April 2019 und September 2022 rund 26 Mrd. Euro gekostet hat, in Kraft und belastet das Budget.
Noch viel teurer für den Steuerzahler, auch den europäischen, sind diverse Bonuszahlungen wie die für die energetische Sanierung von Gebäuden. Beim Superbonus 110 etwa werden 110% der Kosten in Form einer Steuergutschrift erstattet. Die Hilfen fließen zudem einkommensunabhängig. Es gab lange Zeit keine Kontrollen, ob die Arbeiten tatsächlich durchgeführt wurden, und Betrüger hatten leichtes Spiel. Die Kosten für den Haushalt summieren sich inzwischen auf 60 Mrd. Euro. Die EU finanziert die Maßnahme mit 15 Mrd. Euro mit. Dabei helfen die Gelder laut Silvia Rovere, Präsidentin des nationalen Verbands der Immobilienwirtschaft (Assoimmobiliare) noch nicht einmal wesentlich dabei, bessere Energiestandards durchzusetzen. Auch Meloni will die Maßnahme nicht abschaffen, sondern nur reformieren, was laut Caselli jede Regierung hätte machen müssen.
Die Beispiele machen deutlich, dass notorische Schuldenstaaten, die normalerweise durch hohe Zinsen diszipliniert würden, ihre abenteuerliche Budgetpolitik fortsetzen, wenn sie von anhaltend niedrigen Zinsen profitieren. Sie haben nicht nur keine Anreize zu einer besseren Haushaltsdisziplin, sie setzen ihre Klientelpolitik sogar eher fort. Das gilt auch für über Jahrzehnte gezahlte Hilfen für Milliardengräber wie die Luftfahrtgesellschaft Alitalia, das gerade teilverstaatlichte Stahlwerk von Taranto (Ex-Ilva) und die Skandalbank Monte dei Paschi di Siena. Und ebenso für den 2014 eingeführten monatlichen Steuerbonus von 80 Euro für niedrige und mittlere Einkünfte, der Rom jährlich 10 Mrd. Euro kostet.
Italien steht am Scheideweg. Mit der drohenden Rezession werden die Steuereinnahmen zurückgehen. Und allein die höheren Zinsen sowie das Ende der Aufkaufprogramme der EU belasten den Staatshaushalt enorm. Die Nagelprobe wird nach Ansicht Casellis das europäische Wiederaufbauprogramm sein, dessen größter Nutznießer Italien mit rund 190 Mrd. Euro ist. Das Land kann bisher aber nur einen Teil der Mittel überhaupt ausgeben.
„Statt Korrekturen zu verlangen (wie das Meloni getan hat), würde ich eher daran arbeiten, die Zeitpläne einzuhalten. Wenn Italien das nicht schafft, verlieren wir viel Geld und Glaubwürdigkeit“, sagt Caselli.
Von Gerhard Bläske, Mailand