Demoskopie

„Baerbock zieht die Grünen jetzt nach unten“

Der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Manfred Güllner, räumt den Grünen nur geringe Chancen ein, den Rückstand auf die Union in den Umfragen aufzuholen. Die Leute lieben Kontinuität, erklärt Güllner. Von Wechselstimmung redeten dagegen nur Politikwissenschaftler, sagt der Demoskop.

„Baerbock zieht die Grünen jetzt nach unten“

Stefan Paravicini.

Herr Professor Güllner, der Wahlkampf geht in die heiße Phase, als letzte Partei hat auch die Union ihr Programm vorgelegt. Werden CDU/CSU die Wähler damit überzeugen können?

Die Einigkeit innerhalb der Partei ist viel wichtiger. Was im Programm in den einzelnen Spiegelstrichen steht, ist für die Führungskader und die Funktionäre der Partei wichtig. Für die Wähler spielt das aber eine eher untergeordnete Rolle. Sie bilden sich ihre Meinung über die Parteien aufgrund ihrer persönlichen Beobachtungen und der Wahrnehmung der Medienberichterstattung. Was ge­nau in den einzelnen Programmen steht, ist relativ belanglos, es sei denn, es wird ein Punkt herausgegriffen wie zuletzt die Benzinpreiserhöhung bei den Grünen. Für die Union ist es wichtig, dass die Leute das Gefühl haben, man zieht wieder an einem Strang und ist in der Lage, die Probleme im Land anzupacken.

Die Kritik am Programm der Union bezieht sich auch auf die unklare Finanzierung. Wie bewertet der Demoskop diesen Mangel?

Es ist taktisch klug, auch bei der Finanzierung nicht zu viele Details in die Programme zu schreiben. Die Leute wissen ja, dass sich die Lage von Tag zu Tag ändern kann und ein Wahlprogramm oder ein Koalitionsvertrag relativ schnell Makulatur sind. Das haben wir ja gerade erlebt, als die Coronakrise über uns hereingebrochen ist. Deshalb ist es viel wichtiger, wem die Wähler die Flexibilität zutrauen, akute Krisen lösen zu können. Die Details der Finanzierung interessieren die Menschen nicht so fürchterlich. Das ist auf keinen Fall wahlentscheidend.

In den Umfragen hat die Union nach den innerparteilichen Querelen im Frühjahr die Trendwende geschafft und die Grünen wieder überholt. Ist Armin Laschet ein besserer Kandidat als gedacht?

Die Trendumkehr hat die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock mit eigenen Fehlern eingeleitet. Die Werte von Armin Laschet als Kanzlerkandidat der Union sind ja nicht überwältigend, wenn man das mit den Werten von Angela Merkel oder auch von Gerhard Schröder vergleicht, die ihre Parteien in Wahlen nach oben gezogen haben. Baerbock zieht die Grünen jetzt nach unten. Laschet ist nicht plötzlich zu einem Wählermagneten wie Merkel oder Schröder geworden, aber der Union traut man deutlich größere politische Kompetenz zu als den Grünen.

Kann die Stimmung bis zum Wahltermin noch einmal drehen?

Die Erfahrung zeigt, dass man sehr schnell Vertrauen verlieren kann – doch das wieder wettzumachen, ist äußerst schwer. Das haben wir zum Beispiel bei Annegret Kramp-Karrenbauer nach ihrer Wahl zur CDU-Vorsitzenden gesehen oder bei Martin Schulz, der als SPD-Spitzenkandidat bei der letzten Bundestagswahl seinen Nimbus schnell wieder verlor und nicht mehr aus diesem Tief herauskam. Das wird auch für Baerbock schwer. Bei den eigenen Stammwählern hat sie noch mehr Rückhalt als Laschet bei den Wählern der Union. Aber bei den noch nicht zu Stammwählern gewordenen „Neu-Grünen“, die von der Union gekommen sind und die sie ebenfalls braucht, hat sie an Ansehen verloren.

Es gibt noch einen dritten Bewerber um das Kanzleramt. Gibt es ein Szenario, in dem die SPD mit Olaf Scholz die Wahl noch zu einem Dreikampf machen kann?

Ich fürchte, dass man der SPD nur geringe Chancen einräumen kann. Scholz ist als Person durchaus akzeptiert, man findet ihn nicht unsympathisch und hält ihn für kompetent. Aber er hat eben die SPD am Bein, der nur 5% politische Kompetenz zutrauen. Wo Scholz ist, da ist auch Saskia Esken. Das Negativbild der SPD kann er nicht beseitigen. Die Leute halten ihn für kanzlerfähig, wollen aber nicht, dass die SPD die führende Kraft in der neuen Bundesregierung ist.

Könnte die Pandemie das Rennen auf den Kopf stellen, wenn die Delta-Variante die Inzidenzwerte wieder nach oben treibt?

Ich glaube dass die Pandemie in jedem Fall das wichtigste Thema bleiben wird. Corona hat seit Ausbruch der Pandemie den Alltag beherrscht. Nur der Präsidentenwechsel in den USA und der Sturm auf das US-Kapitol haben ein ähnliches Interesse geweckt. Corona überlagert alles. Unter dem Strich wird davon aber eher die Union profitieren. Die Grünen haben da wenig anzubieten. Das konnten wir schon seit Beginn der Coronakrise beobachten.

Der FDP ist es gelungen, mit ihrer Kritik an der Corona-Politik zu punkten. Könnten auch die Grünen so Boden gutmachen?

Ich denke, es ist ein Missverständnis zu glauben dass die FDP von ihrer Corona-Politik profitiert. Sie profitiert davon, dass CDU-Wähler, die mit Laschet haderten und nicht zu den Grünen wandern wollten, zu den Liberalen kamen. Das haben wir auch schon bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg gesehen, wo frühere Wähler der CDU die Spitzenkandidatin der Union für eine Zumutung hielten und deshalb neben den Grünen auch der FDP ihre Stimme gaben.

Ist das Geschäft der Demoskopen seit der letzten Bundestagswahl komplizierter geworden?

Das kann man so nicht sagen. Stimmungen konnten schon immer von den Stimmen am Wahltag abweichen, worauf wir immer hinweisen. Bereits bei der Bundestagswahl 1965 gab es bei den Umfragen vor der Wahl ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Willy Brandt und Ludwig Erhard, das Wahlergebnis sah die CDU dann 8 Punkte vor der SPD. 2005 lag die CDU am Ende bei 35%, während wir sie über 40% gesehen hatten. Das wird immer wieder passieren. Umfragen können keine Prognosen liefern, sondern nur die jeweils aktuelle politische Stimmung einfangen.

Lässt sich aus den Umfragen denn eine Wechselstimmung ablesen, von der überall die Rede ist?

Das ist immer so ein Gerede von Politikwissenschaftlern. Doch die Leute lieben Kontinuität, was auch der Erfolg von Merkel zeigt. Sie war ein Garant für Stabilität, Sicherheit und Kontinuität. Deshalb sind so viele besorgt, wenn sie jetzt weg ist. Ein Politikwechsel verschreckt die Leute eher. Das kann man auch von Schröder lernen, der 1998 sagte, dass er nicht alles anders, aber vieles besser machen werde als Helmut Kohl. Das war genau der richtige Tenor.

Das Interview führte