Volker Wieland

„Das Tempo ist beeindruckend“

Die Pläne der neuen Ampel-Koalition sind in der Wirtschaft und bei Ökonomen auf ein geteiltes Echo gestoßen. Im Interview sagt der Wirtschaftsweise Volker Wieland, was ihn positiv überrascht hat – und was ihn eher enttäuscht.

„Das Tempo ist beeindruckend“

Mark Schrörs.

Herr Professor Wieland, welche Note geben Sie dem Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien mit Blick auf die finanz- und wirtschaftspolitischen Themen?

Beeindruckend ist die Geschwindigkeit, mit der sich die drei so unterschiedlichen Partner zusammengefunden haben. Die Strategie, dass je­de­ Partei gewisse Trophäen heimbringen kann, aber dafür auch manche Kröte schlucken muss, hat zu ei­­nem erfolgreichen Abschluss ge­führt. Deshalb wird jedoch eine reine Durchschnittsnote der Sache nicht gerecht.

Was finden Sie besonders gut und wo sind Sie eher enttäuscht?

Die großen Herausforderungen Digitalisierung und Klimaschutz sind anerkannt und sollen adressiert werden. Das umfasst öffentliche Investitionen und effektive Rahmenbedingungen für private Investitionen. Letztere müssen den Löwenanteil ausmachen. Ein internationaler Klimaclub sowie ein länderübergreifendes Emissionshandelssystem samt Mindestpreis für CO2-Emissionen können da helfen. Ebenso gilt das für die Beschleunigung von Verwaltungs-, Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie die Digitalisierung der Verwaltung. Was die Finanzierung angeht, bin ich froh, dass die Koalition die Schuldentragfähigkeit betont und die nötigen Ausgaben im Rahmen der deutschen Schuldenbremse realisieren will – und zwar oh­ne die Steuern zu erhöhen. Enttäuscht bin ich, dass nicht gehandelt wurde, um die Auswirkungen des de­mografischen Wandels auf die Finanzierbarkeit des Rentensystems stärker zu begrenzen. Das Renteneintrittsal­ter müsste an die Lebenserwartung ge­­koppelt werden. Außerdem hätte ich mir eine stärkere steuerliche Entlastung der Unternehmen gewünscht, um Investitionen zu fördern.

Die Parteien formulieren milliardenschwere Ausgabenpläne, aber zur Finanzierung wird wenig gesagt – außer dass es keine Steuererhöhungen geben und die Schuldenbremse ab 2023 wieder eingehalten werden soll. Passt das überhaupt alles zusammen?

Ob das zusammenpasst, wird sich erst bei der Umsetzung zeigen. Die Koalition will ungenutzte Kreditermächtigungen für 2021 und 2022 – die Jahre, in denen die Notlageklausel der Schuldenbremse gilt – einsetzen, um ein Sondervermögen aufzufüllen. Damit sollen dann in Zukunft Investitionen und Klimaschutzmaßnahmen finanziert werden. Inwieweit und in welcher Größenordnung das möglich ist, wird vielleicht noch das Bundesverfassungsgericht beschäftigen. Meines Erachtens ist es zentral, dass – wie avisiert – alle Ausgaben auf den Prüfstand gestellt werden und eine strikte Neu-Priorisierung erfolgt, um die Herausforderungen Digitalisierung und Klimaschutz zu stemmen.

Würde es aus Ihrer Sicht Sinn machen, die geplanten „Superabschreibungen“ für Klimaschutz und Digitalisierung auf andere Sektoren auszuweiten – eventuell auch ganz kurzfristig, weil die deutsche Wirtschaft wegen der vierten Coronawelle und den Lieferengpässen etwas schwächelt?

Ein Konjunkturpaket ist nicht nötig. Lieferengpässe werden nach und nach abgebaut werden. Mehr Nachfrage nach knappen Vorprodukten bei Kapazitätsproblemen bedeutet akut nur noch größere Preissteigerungen. Allerdings ist es sinnvoll, Investitionsanreize zu setzen, um das längerfristige, nachhaltige Wachstumspotenzial zu verbessern. Da können die Abschreibungen auf Investitionen helfen.

Sie haben fehlende Reformen in der Unternehmensbesteuerung beklagt. Gefährdet das auch die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland?

Eine Senkung der Körperschaftssteuer und Abschreibungen auf alle Investitionen wären sinnvoll. Um den Wohlstand in Deutschland zu erhalten und zu erhöhen, sind Investitionen und Innovationen in vielen Bereichen notwendig, nicht nur bei Digitalisierung und Klimaschutz. Denken wir nur mal an die Biotechnologie und den großen Erfolg bei der Impfstoffentwicklung. Die Vereinigten Staaten, Frankreich, selbst Italien haben die Steuerbelastung ihrer Unternehmen reduziert. Da müsste Deutschland die Wettbewerbsfähigkeit stärken.

Reichen die von der Koalition geplanten Maßnahmen zur Modernisierung der Wirtschaft aus, um die Produktivität in Deutschland wieder zu erhöhen?

So einfach ist das nicht. Der technologische Fortschritt und das damit verbundene Produktivitätswachstum ist in den vergangenen Dekaden weltweit zurückgegangen, trotz fortschreitender Digitalisierung und neuer, internetbasierter Plattformen. Das ist ein gewisses Paradox. Aber zumindest muss man alles tun, um dort, wo man schwach ist, wieder anschlussfähig zu werden sowie eigene Stärken zu erhalten und auszubauen. So benötigen wir einen digitalen Binnenmarkt in Europa. Klimapolitik und Wirtschaft müssen so zusammen gedacht werden, dass der deutsche Industriestandort dadurch nicht gefährdet wird.

Wie schätzen Sie die geplante deutliche Anhebung des Mindestlohns ein? Drohen Jobverluste?

Ich denke, die wirtschaftliche Erholung wird sich nächstes Jahr fortsetzen. Da erwarte ich nicht direkt spürbare Arbeitsplatzverluste. Außerdem gibt es inzwischen vielerorts wieder Personal- und Fachkräfteknappheit. Allerdings wird es durch die schnellere Anhebung des Mindestlohns für Menschen, die vor der Coronakrise wenig produktive Helfertätigkeiten ausgeübt haben und in der Krise arbeitslos wurden, deutlich schwerer wieder einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Die Politisierung des Mindestlohns halte ich für ein Problem. Da wird es vermutlich in Zukunft Überbietungswettbewerbe in Wahlkämpfen geben. Außerdem kann es den Inflationsdruck erhöhen, da es zu Verschiebungen bei höheren Lohnstufen kommen dürfte, um den Abstand zum Mindestlohn zu halten.

Wie beurteilen Sie die Aussagen im Koalitionsvertrag zur Reform des EU-Stabilitätspakts und zur gemeinsamen EU-Einlagensicherung? Wandelt Deutschland da künftig auf neuen Pfaden?

Zu den EU-Fiskalregeln sind die Formulierungen relativ offen. Ob das am Ende heißt, dass man einer Lockerung der Regeln zustimmt, oder sie, wie ich es befürworte, schärfen sollte, so dass sie in guten Zeiten zu einem Rückgang der Schuldenquote führen, bleibt abzuwarten. Eine Vollvergemeinschaftung der Einlagensicherung soll laut Koalition nicht das Ziel sein. Eine europäische Rückversicherung nationaler Systeme soll bei den Beiträgen nach Risiko differenzieren. Außerdem sei Bedingung, Risiken in den Bankbilanzen zu reduzieren und Schritte zu vereinbaren, um den Staaten-Banken-Nexus zu begrenzen. Da wird also noch einiges an Verhandlungsbedarf mit den europäischen Partnern bleiben – und das zu Recht.

Die Fragen stellte

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