„Deckel“ hält deutsches Wachstum am Boden
„Deckel“ hält Wachstum am Boden
UBS fordert von neuer Bundesregierung mehr Investitionen und Steuersenkungen – Scope vermisst Industriestrategie
Deutschland kommt nur zögerlich aus der Stagnation. Das niedrige Potenzialwachstum bremst obendrein jede Dynamik. Es fehlen die Weichenstellungen für mehr Investitionen und Reformen. Eine Lockerung der Schuldenbremse ist nach Ansicht der UBS unabkömmlich. Das IfW setzt zudem den Akzent auf mehr Europa.
lz Frankfurt
Von Stephan Lorz, Frankfurt
Die Chancen, dass sich die Bundesrepublik nachhaltig aus ihrer Wachstumsschwäche befreien kann, sind nach Ansicht des UBS-Chefvolkswirts für Deutschland, Felix Hüfner, nicht sehr ausgeprägt. Zum einen würden die Schuldenbremse und die EU-Fiskalregeln notwendige höhere staatliche Ausgaben für Investitionen in Infrastruktur sowie das Energiesystem beschränken. Zum anderen leide das Land seit 2019 unter einem ausgesprochen niedrigen Potenzialwachstum, das „wie ein Deckel“ die wirtschaftliche Dynamik begrenze. Deutschland könne allenfalls die Stagnation überwinden, sagte er bei einer Präsentation der UBS zu den möglichen politischen und ökonomischen Folgen der Bundestagswahl.
Potenzialwachstum stärken
Aufgrund unterlassener Investitionen, hoher Kosten und struktureller Effekte wie Demografie sowie nachlassender technologischer Wettbewerbsfähigkeit ist das Potenzialwachstum von rund 1,5% vor der Corona-Phase auf nunmehr rund 0,4% gefallen. Als „Wachstumsbegrenzer“ wirkt Hüfner zufolge aber vor allem die Demografie. Jährlich würden 400.000 Vollzeitarbeitskräfte aus der Erwerbstätigkeit ausscheiden. Das sei durch Zuwanderung und stärkere Aktivierung von Teilzeitarbeitskräften und Frauen „kaum aufzufangen“, meint Hüfner. Hinzu komme der immer stärkere Wettbewerber China, der Deutschland auf Drittmärkten zunehmend Konkurrenz mache. Und schließlich würden hohe Energiepreise die Kosten nach oben treiben und die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts untergraben.
Entscheidend kommt es Hüfner zufolge daher darauf, an, ob die Schuldenbremse reformiert werde. Damit könnte fiskalischer Spielraum für Investitionen, Reformen und Steuersenkungen gewonnen werden, um Standort sowie Unternehmen wieder zu ertüchtigen. Allerdings sei für die Lockerung der Schuldenbremse im neuen Bundestag eine Zweidrittelmehrheit notwendig. Die Umsetzung einer Reform veranschlagt die UBS in ihrem Basisszenario auf 60%. Damit – oder alternativ über ein neues Sondervermögen – könnte das Wachstum ab 2026 dann um 0,3 bis 0,4 Prozentpunkte höher ausfallen. Am Sonntag hatte CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz im TV-Duell eine gewisse Sympathie für eine Reform der Schuldenbremse gezeigt.
Ratingagentur kappt Prognose
Die Standortprobleme Deutschlands rufen inzwischen auch die Ratingagenturen auf den Plan. Scope hat nun in einer Analyse dargelegt, was die nächste Bundesregierung anpacken muss: Neben einer „klaren Industriestrategie“ sei eine Modernisierung der Infrastruktur sowie Reformen im Steuerwesen, dem Rentensystem und auf dem Arbeitsmarkt „überfällig“. „Nach fünf Jahren nahezu stagnierender Entwicklung wird die neue Regierung der Ankurbelung des Wachstums durch angebotsseitige Reformen Priorität einräumen müssen“, schreibt Scope-Ökonom Eiko Sievert. Für das laufende Jahr hat Scope die Wachstumsprognose inzwischen deutlich von 0,9% auf 0,1% gesenkt.
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Eine wichtige Stellschraube wäre nach Meinung von Scope eine Steuerreform. Die Körperschaftsteuersätze seien mit 29,9% deutlich höher als in anderen Ländern. Eine Senkung könnte mehr Investitionen zur Folge haben für die Modernisierung des Standorts. Außerdem müssten die Energiepreise nach unten geschleust werden, meint Scope. Denn der Zugang zu günstiger Energie sei „für die industrielle Basis Deutschlands von entscheidender Bedeutung“.
„Außenwirtschaftlicher Kompass“
Das Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) fordert in einem Aufsatz, den die Autoren als „außenwirtschaftlichen Kompass“ für die neue Bundesregierung bezeichnen, dass Berlin stärker als bisher in der Außenwirtschaft „europäisch denken und handeln“ müsse. „Die neue Bundesregierung wird vom ersten Tag an in außenwirtschaftlich stürmischen Gewässern navigieren müssen“, schreibt Moritz Schularick, Präsident des IfW Kiel. Und die Antwort darauf könne „nur europäisch sein“. Ein gestärkter Binnenmarkt und eine strategische Handelspolitik, die Offenheit, Liberalisierung und neue Partnerschaften etwa mit Afrika vorantreibe, könnten Deutschland und die EU widerstandsfähiger machen und langfristig auf Augenhöhe mit den USA und China halten.
Steuerreform überfällig
Statt auf „Scheinlösungen bei Ausgleichszöllen für chinesische E-Autos“ solle die EU mehr auf „fairen Wettbewerb und besseren Schutz europäischer Unternehmen drängen“. Trumps Fokus auf schnelle Deals berge Risiken, biete aber auch Chancen, wenn sich Europa „als Champion von Offenheit und Liberalisierung“ behaupte – gerade mit Blick auf Freihandelsabkommen und strategische Partnerschaften.
Mehr denn je müssten die Europäer zudem auf die Integration des europäischen Kapitalmarkts setzen. Lücken in der Finanzierung von Forschung und Entwicklung müssten geschlossen werden. Es brauche Geldgeber, die das Risiko auf sich nehmen. Hier müsse der Staat ansetzen, so Schularick, indem er die private Risikofinanzierung erleichtere und zugleich durch Bürokratieabbau und steuerliche Vereinfachung Investitionen für in- und ausländische Risikoinvestoren attraktiver mache.