Carsten Brzeski

„Der EZB bleibt fast nur noch das Prinzip Hoffnung“

ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski über den Auftritt von Fed-Chef Powell in Jackson Hole, die Abstinenz von EZB-Chefin Lagarde und die schwierige Lage der Europäischen Zentralbank.

„Der EZB bleibt fast nur noch das Prinzip Hoffnung“

Stefan Reccius.

Herr Brzeski, die Erwartungen an Jerome Powells Auftritt waren hoch. Hat der Fed-Chef sie erfüllt?

Ja. Powell war deutlich. Ziemlich deutlich. Die Finanzmärkte werden nicht alles mögen, aber die Botschaft von Powell war: Die Fed wird die Zinsen weiter erhöhen, um die amerikanische Wirtschaft runterzufahren und damit letztendlich auch die Inflation zu besiegen. Seine Aussage, dass dafür eine längere Periode von restriktiver Geldpolitik nötig ist, zeigt, dass Erwartungen über mögliche Zinssenkungen absolut unberechtigt sind.

Für Powell jährt sich in Jackson Hole seine fatale Fehleinschätzung, die Inflation wäre ein „vorübergehendes“ Phänomen. Inzwischen hat er sie korrigiert – gerade noch rechtzeitig oder zu spät?

Gerade noch rechtzeitig. Anders als die europäische läuft die US-amerikanische Wirtschaft stark. Es gibt viele Zeichen einer Überhitzung, und die bisherigen Zinserhöhungen fangen an zu wirken. Ich bezweifle allerdings, dass die Fed eine sanfte Landung hinbekommen wird. Der Preis für weitere Zinsschritte ist die Rezession. In den USA mag das verkraftbar sein, in Europa ist das Rezept nicht in diesem Ausmaß empfehlenswert.

Christine Lagarde bleibt der wichtigsten Notenbankerkonferenz fern. Kann sich die EZB-Chefin das in dieser kritischen Phase leisten?

Ja, kann sie. Auf der Konferenz werden ja keine geldpolitischen Entscheidungen getroffen, schon gar nicht für die EZB. Es gibt einen intellektuellen Austausch, der natürlich interessant ist, aber die letzten zwei Jahre haben doch gezeigt, dass so ein Austausch auch virtuell stattfinden kann. Für Christine Lagarde spielt wahrscheinlich auch ihre eigene „grüne Agenda“ eine Rolle. Mit dem Fernbleiben von Jackson Hole kann sie Nachhaltigkeit regelrecht vorleben.

Wie die Fed ist auch die Europäische Zentralbank nach viel Kritik umgeschwenkt und forciert den Kampf gegen die Rekordinflation. Wie stark müssen die Zinsen in der Eurozone steigen, um die Inflation in den Griff zu kriegen?

Schon 2015 war eine Schlagzeile aus Jackson Hole, dass Notenbanker die Inflation gar nicht so stark beeinflussen können, wie sie gerne würden. Diese Schlagzeile ist auch heute aktuell. So machtlos wie die Notenbanken 2015 waren, um Inflation wiederzubeleben, sind sie doch aktuell bei der Bekämpfung der Inflation. Die EZB muss die Zinsen normalisieren, minimal noch mit einem weiteren Schritt von 50 Basispunkten im September. Angesichts der bevorstehenden Rezession sollte die EZB danach aber eine Pause einlegen.

Ist eine zweite kräftige Zinserhöhung wirklich wahrscheinlich, nachdem es ausweislich des Sitzungsprotokolls schon im Juli Widerstand gegen einen Schritt um einen halben Prozentpunkt gab?

Die EZB wird jetzt versuchen, so schnell wie möglich auf ein Zinsniveau zu kommen, das als neutral gesehen werden kann. Bevor die Rezession im Euroraum so stark wird, dass es noch mehr Widerstand gegen Zinserhöhungen gibt. 50 Basispunkte im September sollten die Gemüter beruhigen. Damit können sowohl die Tauben als auch die Falken im EZB-Rat leben. Die Spannung wird erst danach kommen.

Drohen im Zuge der Zinswende alte Gräben zwischen den Lagern im EZB-Rat wieder aufzubrechen?

Aktuell ist man sich ziemlich einig, dass die EZB noch ein- bis zweimal die Zinsen erhöhen muss. Die Gräben werden erst wieder aufbrechen, sobald das eine Lager auch in der Rezession weiter erhöhen möchte, während das andere Lager mit Zinsschritten nach September lieber bis zum Frühjahr warten würde.

Parallel zur Zinswende hat die EZB das neue Antifragmentierungsinstrument TPI aufgelegt, um potenziell unbegrenzt Anleihen einzelner Euro-Länder kaufen zu können. Dagegen gibt es massive Vorbehalte, rechtlicher wie politischer Natur. Teilen Sie die?

Nicht ganz. Das Programm ist so aufgelegt, dass man viele frühere Vorbehalte, auch vom Bundesverfassungsgericht, berücksichtigt hat. Es gibt eine starke Konditionalität, und Ankäufe sollen die Bilanzsumme der EZB nicht beeinflussen. Das Programm ist so strukturiert, dass es als reines geldpolitisches Instrument durchgehen kann. Zumindest juristisch. Dass die EZB überhaupt wieder in dieser Position ist, liegt natürlich auch an den Regierungen, die die letzten Jahren nicht genutzt haben, der EZB die Rolle des „lender of last resort“ abzunehmen.

Kann es der EZB gelingen, die auf knapp 9% enteilte Inflation unter Kontrolle zu bekommen, ohne eine Rezession und – schlimmer noch – eine neue Euro-Krise zu entfachen?

Nein. Für die EZB kann es nur darum gehen, die Geldpolitik wieder einigermaßen zu normalisieren, die Inflationserwartungen zu kontrollieren und ansonsten zu hoffen, dass die Energie- und Rohstoffpreise schnell wieder sinken. Das Prinzip Hoffnung wird die EZB natürlich nie offiziell bestätigen.

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