Konjunkturtableau

Deutsche Waren finden weniger Abnehmer

Ökonomen hatten sich vom deutschen Außenhandel im Juli mehr versprochen. Die Daten sprechen für ein schwächeres Wirtschaftswachstum. Die trüberen Aussichten zeigen sich bereits im aktuellen Konjunkturtableau.

Deutsche Waren finden weniger Abnehmer

Von Alexandra Baude, Frankfurt

Die deutsche Wirtschaft startet nur verhalten ins zweite Halbjahr. Die unerwartet schwach ausgefallenen Außenhandelszahlen für Juli sind nur ein weiterer Fingerzeig, dass von Wachstum in den kommenden Monaten kaum etwas zu sehen sein wird. Die trüben Aussichten spiegeln sich auch im aktuellen Konjunkturtableau der Börsen-Zeitung und des Mannheimer Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). So wurden für das laufende und das kommende Jahr die Wachstumsprognosen weiter gesenkt, die Voraussagen für die Inflation aber kräftig erhöht.

Gerade eine so stark exportorientierte Wirtschaft wie die deutsche kommt angesichts des aktuell herrschenden Gegenwinds stark unter Druck: Von Seiten der Weltwirtschaft gibt es angesichts der schwächelnden Konjunktur bei den wichtigsten deutschen Handelspartnern – den USA und China – kaum Impulse, die Inflation steigt insbesondere nach dem Ende von Tankrabatt und 9-Euro-Ticket weiter, der Privatkonsum als sonst zuverlässiger Wachstumsbringer fällt nicht zuletzt aus Sorge vor der Höhe der künftigen Energierechnungen aus, der Lieferkettenstress hält an, die Unternehmen können die gestiegenen Kosten nur in geringem Umfang – wenn überhaupt – weitergeben und der Ukraine-Krieg hält die Unsicherheit hoch.

Der Außenhandel, sonst ebenfalls Wachstumsmotor, hat sich „zu einem Hemmschuh für das deutsche Wachstum entwickelt“, wie ING-Chefökonom Carsten Brzeski formuliert. Seit dem zweiten Quartal 2021 ist der Wachstumsbeitrag der Nettoexporte negativ. Die Aussichten sieht er gemischt, denn einer gewissen Entlastung bei den Lieferketten und den Transportkosten stünden „niedrige Wasserstände, hohe Energiepreise und die mögliche grundlegende Veränderung von Lieferketten und Produktionsprozessen aufgrund der geopolitischen Unsicherheiten“ entgegen. „Das negative Vorzeichen bei den Exportzahlen ist keine Eintagsfliege, sondern wird in den kommenden Monaten häufiger auftauchen“, warnt auch Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank. DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier sieht die Unternehmen in einer Kostenklemme, aus der sie sich „nicht schnell befreien können“. Ein großer Teil der vornehmlich importierten höheren Kosten bleibe bei der deutschen Exportwirtschaft hängen und könne nicht an die internationale Kundschaft weitergegeben werden, erläutert Treier.

Im Juli wurden vorläufigen Daten des Statistischen Bundesamts (Destatis) zufolge Waren im Wert von kalender- und saisonbereinigt 131,3 Mrd. Euro exportiert. Das sind 2,1% weniger als im Monat zuvor. Ökonomen hatten allerdings ein kräftigeres Minus erwartet – von 2,3%. In den drei Monaten zuvor hatten die Exporte noch zugelegt, von Mai auf Juni waren es 4,2%. Nachdem die Importe um 1,5% sanken, ging der Außenhandelsüberschuss auf 5,4 Mrd. Euro nach 6,2 Mrd. Euro im Juni zurück.

Prognosen schwanken

Den kräftigsten Rückgang verzeichneten die hiesigen Exporteure im Geschäft mit dem wichtigsten Kunden: den USA. Hier maßen die Wiesbadener Statistiker ein Minus von 13,7% zum Vormonat auf 12,3 Mrd. Euro. Nach China wurden mit 8,9 Mrd. Euro 0,3% weniger exportiert, der Warenversand nach Großbritannien ging um 4,6% auf 5,8 Mrd. Euro zurück. Wegen der Sanktionen infolge des Ukraine-Kriegs wurden mit 1,0 Mrd. Euro 15% weniger Waren nach Russland gesendet als im Vormonat. Die Ausfuhren in die Staaten außerhalb der EU, die sogenannten Drittstaaten, nahmen um 5,6% ab, wohingegen in die EU 1,0% mehr exportiert wurde. Dabei kletterten die Exporte in die Länder des gemeinsamen Währungsraums um 1,0%, während die Ausfuhren in die EU-Länder außerhalb des Euroraums stagnierten.

Ökonomen sehen die hiesige Wirtschaft nach den am Freitag veröffentlichten Außenhandelsdaten zunehmend unter Druck. Derzeit arbeiten die Volkswirte von Banken und Instituten an ihren Herbstprognosen, weitere Abwärtsrevisionen stehen zu erwarten. Im aktuellen Konjunkturtableau zeigen sie sich bereits: Die Median-Prognose für das Bruttoinlandsprodukt (BIP) für 2022 sinkt von 1,7% auf nun 1,5% und für 2023 sogar von 2,1% auf 1,3%. Dabei hat sich die Schwankungsbreite ausgeweitet – für den ZEW-Experten Michael Schröder „Ausdruck einer großen Unsicherheit unter den Prognostikern“. Die BIP-Vorhersagen für 2023 liegen gar zwischen −1,8 und +3,7% nach −1,0 bis +3,8% im Monat zuvor, also „zwischen einer deutlichen Rezession und einem relativ guten Wachstum“. Viel heterogener, so erklärt Schröder, „ könnten die Prognosen schon fast nicht mehr ausfallen“.

Mit Blick auf die Inflation wurden die Prognosen für beide Jahre drastisch nach oben gesetzt. Für 2022 wird eine durchschnittliche Teuerungsrate von 7,4% erwartet, das sind 0,4 Prozentpunkte mehr als im August, für 2023 sind es 4,3% nach 3,7%. Der zeitliche Verlauf der Prognosen hat sich dabei nicht verändert, der Gipfelpunkt soll Ende 2022 kommen, die Rate ab dann deutlich zurückgehen. Die EZB sieht Schröder „vor weiteren sehr schwierigen Monaten“. Bislang sei „kein Grund ersichtlich, die Zinsen nicht spürbar weiter zu erhöhen“.

Konjunkturtableau Deutschland
1.Quartal2.QuartalPrognose 2022Prognose 2023
 2020202120222022*TiefMedianHochTiefMedianHoch
Volkswirtschaftliche Daten
Bruttoinlandsprodukt1−4,92,80,20,11,11,52,5−1,81,33,7
Privatkonsum1−5,90,0−0,10,81,73,08,2−1,01,53,8
Staatskonsum13,53,40,12,30,00,54,6−2,41,23,1
Anlageinvestitionen1−2,21,32,7−1,30,21,37,00,83,26,5
Exporte1−9,39,4−2,10,3−0,62,612,71,43,95,8
Importe1−8,68,60,91,6−1,25,016,3−1,53,75,2
letzter Wert
Verbraucherpreise20,53,17,9 (August)4,57,48,52,14,36,0
Arbeitslosenquote35,95,75,6 (August)3,05,05,33,05,05,5
Zinsen und ZinsdifferenzenIn 3 MonatenIn 12 Monaten
3-Monats-Geld3−0,43−0,550,710,21,01,41,01,62,2
10-jährige Anleihen3−0,51−0,371,570,91,32,01,11,62,5
USA/Eurozone, langfristig3,4140181172145173215105150165
USA/Eurozone, kurzfristig3,410871243175237305130178210
Eurozone lang/kurz3,4−81886−1532130−6010100
Redaktionsschluss: 2. September, Tagesdaten vom 1. September1) real gegen Vorjahr bzw. Vorquartal in %; 2) gegen Vorjahr in %; 3) Werte für 2020 und 2021 sind Jahresdurchschnitte. Letzter Wert der Zinsen und Zinsdifferenzen sind Stände vom Vortag; 4) in Basispunkten; * vorläufige Schätzung
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