CursivSondervermögen und Schuldenbremse

Deutschland vor dem „Schröder-Moment“?

Nur echte Zukunftsinvestitionen sind es wert, noch tiefer in die Staatsverschuldung zu gehen, mahnt die Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier.

Deutschland vor dem „Schröder-Moment“?

Deutschland vor dem „Schröder-Moment“?

Nur echte Zukunftsinvestitionen sind es wert, noch tiefer in die Staatsverschuldung zu gehen.

Von Stephan Lorz, Frankfurt

Soll Deutschland ökonomisch wieder in die Spur kommen, stärker wachsen und attraktiver für Auslandsinvestitionen werden, die Zuwanderung von Facharbeitern steigen und heimische Unternehmen wieder die Technologieführerschaft zurückerlangen – dann muss die Politik weg vom üblichen Koalitionsdenken. Weg von politischen Anrechnungsgeschäften: Mütterrente gegen Mindestlohn, Agrardiesel gegen Mietpreisbremse. Stattdessen sollten die Neu-Koalitionäre Dinge beschließen, die erst auf längere Sicht ihre Wirkung entfalten: Zukunftsinvestitionen, die diesen Namen wirklich verdienen. Bildung, Digitalisierung und Infrastruktur zählen etwa dazu, oder ein Umbau des Steuersystems hin zu besseren Bedingungen für Investitionen und Arbeitseinsatz.

Das aber hat seinen politischen Preis. Die Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier formuliert es im Frankfurter Wirtschaftspresseclub ICFW am Dienstagabend klar und deutlich: Die handelnden Akteure müssten ab sofort für eine Politik eintreten, die ihnen selbst kurzfristig gar nichts nützt – womöglich sogar schadet. Also: Gemeinwohl vor Parteiegoismus, Zukunftsorientierung gegen Klientelpolitik, Weitblick gegen Legislaturorientierung. Mit Blick auf das Sondierungspapier von CDU/CSU und SPD zeigt sie sich sehr skeptisch, dass das Versprechen eines „echten Politikwechsels“ in Berlin schon angekommen ist. „Wenn wir jetzt nicht anfangen, in das zu investieren, was mir als Politiker heute – oder vielleicht sogar als Bevölkerung heute – nichts nützt, sondern was sich erst langfristig auszahlt, dann wird Deutschland weiter den Bach runtergehen“, prophezeit sie.

Keine angenehmen Aussichten für Politiker

Um den Standort Deutschland zu retten, müssten die Verhandler in Teilen sogar noch weiter gehen und politischen Widerstand bewusst in Kauf nehmen: Nicht nur, indem sie die etablierte Klientel wie Bauern und Rentner vor den Kopf stoßen, sondern auch etwa, indem sie hoch qualifizierten Zuwanderern so günstige Rahmenbedingungen anbieten wie niemanden sonst. Viele Gruppen dürften dagegen aufbegehren. Aber „mehr Ungleichheit wagen“ bedeute auch mehr Erfolg für das Gemeinwesen insgesamt. Zudem müssten Anreize für Mehrarbeit gestärkt werden, selbst wenn im Moment eher der Trend zur Work-Life-Balance geht. Keine angenehmen Aussichten für Politiker also. Aber ist das nicht eigentlich ihr Auftrag?

Als im März 2003 der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder im Bundestag eines der umfassendsten Reformpakete der deutschen Nachkriegsgeschichte vorstellte, die „Agenda 2010“, wurde diese zwar beschlossen, doch gleich danach wurde wegen großer Massendemonstrationen von Gewerkschaften und Sozialverbänden die Rückabwicklung auf die SPD-Agenda gesetzt. Schröder wurde abgewählt. Erst Jahre später wurde klar, welche fulminant positive Wirkung diese Reform langfristig hatte: Die Wirtschaft schöpfte neue Zuversicht, und im Ausland hatte sich das Image Deutschlands ins Positive gekehrt.

Auch jetzt scheint so ein „Schröder-Moment“ notwendig zu sein, um eine Wende einzuleiten. Das ist auch diesmal mit Schmerzen für manche Arbeitnehmer und Branchen verbunden. Und darum gilt es der Wirtschaftsweisen zufolge, sich dieser Gruppen intensiv zu widmen und sie beim Wandel mit aller Kraft zu unterstützen. „Niemand darf zurückgelassen werden!“, mahnt sie. Ansonsten drohe eine solche Polarisierung, wie sie in den USA geschehen sei, die letztlich Trump zum Wahlerfolg verholfen habe. Sozialpolitik ist hier insofern gut angelegtes Geld.

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