Zentralbank

Die EZB auf dem Weg in die fiskalische oder monetäre Dominanz?

Seit der europäischen Finanz- und Schuldenkrise hat die lange anhaltende Niedrig- und Negativzinspolitik der EZB den Konsum und die Bautätigkeit befeuert. Der Leitzins liegt immer noch deutlich unter der Inflation, was auf eine immer noch zu expansive Geldpolitik hindeutet.

Die EZB auf dem Weg in die fiskalische oder monetäre Dominanz?

Die Inflation im Euroraum ist von 10,6% im Oktober auf 10,0% im November gefallen. Auch in Deutschland und den USA war ein Rückgang zu verzeichnen. Schon sehen einige den Höhepunkt überschritten und fordern ein Ende der Zinserhöhungen. Ob die Inflation allerdings – wie von der Europäischen Zentralbank (EZB) prognostiziert – im Jahr 2024 wieder nahe bei 2% liegen wird, dürfte von den Regierungen im Euroraum abhängen.

Das hat zuletzt EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel deutlich gemacht, indem sie hinsichtlich des Zusammenspiels von Geld- und Finanzpolitiken drei Phasen unterschieden hat. Vor der Coronakrise, als die Inflation aufgrund von Globalisierung, Digitalisierung und Demografie unter dem selbstgesteckten Punktziel von 2% der EZB gelegen habe, sei durch das Erreichen der Nullzinsgrenze der geldpolitische Handlungsspielraum eingeschränkt gewesen. Das hätte eine Unterstützung durch expansive Finanzpolitiken erfordert, um Wirtschaft und Inflation wiederzubeleben.

Koordination in der Krise

In der Coronakrise hätten sich EZB und Regierungen dann gut koordiniert. Die EZB habe günstige Finanzierungsbedingungen ge­schaffen, mit deren Hilfe die Finanzpolitiken die Konjunktur stabilisiert und Arbeitsplätze gesichert hätten. In der Erholungsphase nach der Coronakrise schließlich sei das Angebot durch gestörte Lieferketten und Arbeitskräftemangel beschränkt, während die Nachfrage hoch sei. Das habe zu einem starken Preisdruck geführt, der durch den Ukraine-Krieg verstärkt worden sei. Deshalb müssten nun Geldpolitik und Finanzpolitiken beide restriktiv sein.

In der Tat kann die starke Nachfrage in der Krise auch auf die EZB und die Regierungen zurückgeführt werden. Seit der europäischen Finanz- und Schuldenkrise hat die lange anhaltende Niedrig- und Negativzinspolitik der EZB den Konsum und die Bautätigkeit befeuert. Der Leitzins liegt immer noch deutlich unter der Inflation, was auf eine immer noch zu expansive Geldpolitik hindeutet. Die umfangreichen Staatsanleihekäufe der EZB haben zudem den Euro-Staaten große zusätzliche Ausgabenspielräume geschaffen. Die zusätzlichen Staatsausgaben haben in den Lockdowns zu einem starken Anstieg der Bankeinlagen beigetragen, die jetzt den Konsum stützen.

Auch der Arbeitskräftemangel kommt nicht nur von der Demografie. Denn EZB und Regierungen haben in der Coronakrise einen dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit verhindert. Jetzt fehlt das entsprechende Arbeitsangebot. Darüber hinaus konnten die Staaten dank der Staatsanleihekäufe der EZB seit 2012 viele zusätzliche Arbeitsplätze schaffen und die großzügigen Sozialsysteme aufrechterhalten, die den Anreiz mindern, eine Beschäftigung aufzunehmen.

Auch das Angebotsproblem ist teilweise selbst gemacht. Über viele Jahre hinweg haben die EZB mit anhaltend günstigen Finanzierungskonditionen und die Regierungen mit großzügigen Hilfsmaßnahmen von den Unternehmen Druck zu Effizienzsteigerungen genommen. Man von spricht von Zombifizierung, die insbesondere im südlichen Euroraum weit fortgeschritten scheint. Zudem wurden und werden in der EU immer mehr Regulierungen vorangebracht. Diese binden in den Unternehmen und Banken immer mehr Ressourcen, die nicht für die Produktion von Gütern und Dienstleistungen zur Verfügung stehen.

Wenn EZB und Regierungen maßgeblich für eine hohe Nachfrage und ein knappes Angebot verantwortlich sind, dann kann die Inflation nur durch restriktive Geldpolitik und (!) restriktive Finanzpolitiken wirksam bekämpft werden. Die EZB hat deshalb erste Zinserhöhungen umgesetzt und weitere angekündigt. Allerdings kommen diese zu spät, so dass die Regierungen versuchen, mit kostspieligen Energiesubventionen und Finanzhilfen die Inflation und deren Folgen einzudämmen. Das begünstigt wieder den Konsum und damit die In­flation.

Staatsschulden steigen an

Zudem steigen die Staatsschulden weiter an. Dass dies in einer Phase der geldpolitischen Straffung riskant ist, weil die Finanzmärkte das Vertrauen in die Finanzkraft der Staaten verlieren können, war jüngst im Vereinigten Königreich zu beobachten. Nachdem die neue Premierministerin Liz Truss Steuersenkungen ohne entsprechende Gegenfinanzierung angekündigt hatte, stiegen die Renditen der britischen Staatsanleihen stark an. Das brachte nicht nur einige Pensionsfonds, sondern auch die Premierministerin selbst ins Wanken.

Ebenso könnten – ähnlich wie 2011 und 2012 – die Renditen der Staatsanleihen einiger hoch verschuldeter Eurostaaten steil steigen, wenn die EZB die Zinsen weiter erhöht. Eine neue Staatsschuldenkrise, also die Eurokrise II, wäre die Folge. Zwar beugt die EZB vor, indem sie innerhalb der Bestände des Corona-Notfallkaufprogramms PEPP Anleihen von niedrig verschuldeten Staaten zu hoch verschuldeten Staaten umschichtet. Ebenso kann das angekündigte Transmissionsschutzinstrument TPI als Schutzschirm für hoch verschuldete Eurostaaten gesehen werden. Doch spätestens, wenn dieser aufgespannt würde, würden wohl auch die weniger verschuldeten Euroländer wieder Staatsanleihekäufe einfordern. Der Weg zu dauerhaften Staatsanleihekäufen der EZB – die sogenannte fiskalische Dominanz, wie sie bereits in Japan besteht – wäre endgültig geebnet.

Die Folge wäre eine deutlich erhöhte Inflation über viele Jahre hinweg, wie sie in Italien, Spanien oder Frankreich vor dem Euro üblich war. Mit den resultierenden Kaufkraftverlusten würde die Glaubwürdigkeit von EZB und Euro weiter schwinden. Um das zu vermeiden, müssten die Regierungen bald entschlossene Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen ankündigen, wie dies im Vereinigten Königreich unter dem neuen Premier Rishi Sunak bereits erfolgt ist.

Dafür wäre ein lauter Weckruf der EZB notwendig. Mit Staatsanleihen im Umfang von mehr als 4000 Milliarden Euro in ihrer Bilanz hätte die EZB sogar ein wirksames Druckmittel gegen die Regierungen in der Hand. Je mehr Anleihen die EZB verkaufen würde, desto mehr würden die Zinsen steigen und desto größer wäre der Druck zu Ausgabenkürzungen. Ob die EZB die Kraft für die Rückkehr zu dieser monetären Dominanz aufbringen wird, wird sich zeigen.

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