EZB verkündet sechste Zinssenkung in Folge
Mitten im von den USA losgetretenen globalen Zollkonflikt hat die EZB eine weitere Zinssenkung um 25 Basispunkte beschlossen. Der für die Geldpolitik wichtige Einlagensatz liegt damit ab dem 23. April bei 2,25%, wie die Notenbank an Gründonnerstag in Frankfurt verkündete. „Die meisten Messgrößen der zugrunde liegenden Inflation deuten darauf hin, dass sich die Inflation nachhaltig im Bereich des mittelfristigen Zielwerts des EZB-Rats von 2% einpendeln wird“, heißt es in der Stellungnahme zum Zinsentscheid. Einen Passus zur restriktiven Wirkung der Geldpolitik gibt es nun nicht mehr.
In den Wochen vor dem Zinsentscheid hatten ein paar EZB-Ratsmitglieder Zweifel geäußert, ob eine sechste Zinssenkung in Folge angesichts der erhöhten geopolitischen Unsicherheit angemessen ist. Die Finanzmärkte hatten dennoch eine Lockerung der Geldpolitik eingepreist und damit recht behalten.
Im Zentrum der aktuellen Debatte der Notenbanker steht die Frage, wie sich der Zollkonflikt auf die Euro-Inflation auswirken wird. Dies ist nicht nur deswegen schwierig zu beantworten, weil noch offen ist, welche der bereits verhängten Zölle Bestand haben werden und welche neuen möglicherweise noch kommen. Sondern auch, weil die Zölle in manchen Aspekten dämpfend auf die Inflation wirken und in anderen verstärkend.
Einbruch im Welthandel
Durch die Zölle hat sich der konjunkturelle Ausblick für Europa und allgemein die Weltwirtschaft deutlich verschlechtert. „Wesentliche negative Auswirkungen auf die Wirtschaftsaussichten sind bereits zu erkennen“, sagte Irina Kurochkina, Portfoliomanagerin Fixed Income bei Aegon Asset Management. „Die EZB muss nicht auf aktualisierte BIP-Prognosen warten, um die Verschlechterung der Wirtschaftsaktivitäten zu erkennen.“ Erst im Juni stehen aktualisierte Projektionen der EZB an. Auch Kristian Tödtmann, Leiter Geldpolitik und Kapitalmärkte bei der DekaBank, hält es für gut möglich, dass die Notenbank die Wachstumsprognosen dann erneut senkt. Es wäre die fünfte Revision nach unten in Folge.
Die Welthandelsorganisation WTO hat aufgrund der Zölle bereits am Mittwoch ihre Prognose für die Entwicklung des globalen Warenverkehrs deutlich gesenkt. Sie rechnet nun mit einem Rückgang in diesem Jahr. In der Folge werde auch das weltweite Wirtschaftswachstum um 0,6% niedriger ausfallen. Die prognostizierte Rate von 2,2% liegt unter dem langjährigen Durchschnitt.
Gegenläufige Effekte
Eine schlechter laufende Konjunktur führt zu einer geringeren Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen, was die Inflation dämpft. „Mit dem Hin und Her bei den Zöllen ist sogar ein weiterer Inflationsrückgang im Euroraum noch wahrscheinlicher geworden als bereits zuvor die ohnehin schon moderaten Wachstumsperspektiven erwarten ließen“, meint Robert Greil, Chefstratege der Privatbank Merck Finck. Ebenfalls inflationsdämpfend wirken die niedrigeren Ölpreise. Diese sind durch den Zollkonflikt und die Erwartung einer dadurch niedrigeren Industrieproduktion gesunken.
Einige Ökonomen hatten angesichts des Konjunkturausblicks für eine Zinssenkung um 50 Basispunkte plädiert. „Die Zinssenkung um 25 Basispunkte ist kein Befreiungsschlag für die schwächelnde Konjunktur im Euroraum“, sagte Lena Dräger, Forschungsdirektorin der Gruppe Monetäre Makroökonomie am IfW Kiel. „Die Zentralbank folgt vielmehr ihrer bisherigen Linie, nach dem deutlichen Inflationsrückgang seit dem Höchststand Mitte 2023 allmählich auf ein normalisiertes Zinsniveau zurückzukehren. Durch die erratische Zollpolitik der US-Regierung haben sich jedoch die wirtschaftlichen Risiken für die Eurozone stark erhöht, weshalb ein größerer Zinsrückgang um 50 Basispunkte angemessen gewesen wäre.“
Andere Volkswirte weisen dagegen darauf hin, dass die Zölle auch zu mehr Inflationsdruck führen können. Dieser Effekt dürfte vor allem in den USA eine größere Rolle spielen. Wie groß diese Auswirkungen für die Eurozone sein werden, hängt davon ab, wie mögliche Gegenzölle der EU auf US-Importe letztendlich ausfallen werden. „Die unklaren Inflationsaussichten und die gut funktionierenden europäischen Staatsanleihemärkte rechtfertigen eine vorsichtige Zinssenkungspolitik“, sagte deshalb Laura Cooper, Head of Macro Credit und Global Investment Strategist bei Nuveen.
Nachlassende Inflation
Im März – also vor Verkündung der reziproken Zölle durch US-Präsident Donald Trump – ist die Euro-Inflation auf 2,2% gefallen. Die meisten Ökonomen erwarten, dass die EZB ihr Inflationsziel von 2% bald erreicht. „Die Energiepreise sind in den letzten Monaten stetig gesunken, und das Lohnwachstum in Europa hat sich verlangsamt“, sagte Kurochkina. Vincent Starmer, Ökonom bei der Commerzbank, weist allerdings darauf hin, dass im März „die Kerninflation gemessen an den Vormonatsraten erneut höher war als von der EZB angestrebt“. Die Kernrate klammert die schwankungsanfälligen Lebensmittel- und Energiepreise aus. Sie gilt Notenbankern daher als guter Gradmesser für den Inflationstrend.
Der niederländische Notenbankchef Klaas Knot argumentierte zuletzt, dass die Zölle zunächst die Inflation dämpfen, sie aber mittelfristig erhöhen könnten. Auch die Hamburg Commercial Bank (HCOB) erwartet, nicht nur wegen der Zölle, in der kurzen Frist einen geringeren Preisauftrieb, 2026 dafür aber einen stärkeren. „Wir haben unsere Inflationsprognose gesenkt, halten aber ein Wiederanspringen der Teuerungsrate in 2026 für gut möglich, da die Zollpolitik auch inflationäre Effekte hat und strukturelle Gründe wie Demografie und Klimawandel sowie eine expansivere Fiskalpolitik verstärkt zum Tragen kommen dürften“, sagte HCOB Chefökonom Cyrus de la Rubia.