EZB-Zinswende

Hält Italien steigende Renditen aus?

Im Zuge der EZB-Zinswende rücken Italiens Schulden in den Fokus. Das Hauptrisiko liege in der Zahlungswilligkeit, nicht aber in der Zahlungsfähigkeit, argumentiert Jörg Angelé vom Vermögensverwalter Bantleon.

Hält Italien steigende Renditen aus?

Die hohe Inflation in der Eurozone und die Aussicht auf steigende Leitzinsen haben zu einem Ausverkauf an den Anleihenmärkten geführt. Die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen beispielsweise ist binnen weniger Monate von −0,4% auf zwischenzeitlich fast 2% nach oben geschnellt. Die Rendite zehnjähriger italienischer Staatsanleihen ist sogar von 0,75% auf in der Spitze mehr als 4% gesprungen.

Hintergrund dieser Spreadausweitung ist die Sorge, Italien könne angesichts seiner Staatsverschuldung in Höhe von 2700 Mrd. Euro bzw. gut 150% des nominalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) von der steigenden Zinslast erdrückt werden. Allerdings ist die Aussage, Italien könne Renditen von 5% oder mehr nicht verkraften und ein Default sei daher unausweichlich, nicht zielführend. Unter Verwendung entsprechender unrealistischer Annahmen lässt sich für jedes Land der Welt ein Zahlungsausfall konstruieren. Einer sinnvollen Analyse muss ein sinnvolles Szenario zugrundeliegen.

Ein solch realistisches Szenario könnte wie folgt aussehen: In einem Umfeld anhaltend hoher Inflationsraten oberhalb des EZB-Zielwerts von 2% steigt die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen bis zum Ende dieses Jahrzehnts auf 3,5%. Das entspricht unserer Schätzung des nominalen BIP-Wachstums der Eurozone (1% Realwachstum, 2,5% Inflation). Zugleich sorgt die EZB mithilfe des geplanten neuen Antifragmentierungsinstruments dafür, dass die Risikoprämie italienischer Staatspapiere gegenüber Bundesanleihen nicht nachhaltig über 200 Basispunkte (BP) ansteigt. Dauerhaft höhere Spreads würden den geldpolitischen Transmissionsmechanismus untergraben. Die Rendite zehnjähriger Buoni del Tesoro Poliennali (BTP) erreicht ihren Hochpunkt unter diesen Annahmen mithin bei 5,5%. Der durchschnittliche Zinssatz, den der italienische Staat auf seine Staatsschulden bezahlen müsste, läge wegen der mittleren Laufzeit von etwa sieben Jahren allerdings etwas darunter, bei 5% (anstatt 2,3% im Jahr 2021). Die Schuldenlast dürfte in Zukunft um 3% pro Jahr wachsen. Das entspricht der durchschnittlichen jährlichen Zunahme zwischen 1999 und 2019.

Höhere Zinslast zu verkraften

Unter diesen Annahmen wird die Zinslast Italiens von knapp 16 Mrd. Euro pro Quartal im Jahr 2021 auf rund 43 Mrd. Euro pro Quartal im Jahr 2030 anwachsen (siehe Grafik). Das wären jährlich etwa 57 Mrd. Euro mehr, als Italien 1996 schultern musste. Setzt man die Zinsbelastung jedoch in Relation zu den Staatseinnahmen, verliert sie an Schrecken.

Unseren Berechnungen zufolge stiege der Anteil der Staatseinnahmen, der für Zinszahlungen aufgewendet werden müsste, von 7,5% im Jahr 2021 auf 14,5% im Jahr 2030. Damit bliebe man weit hinter dem zurück, was Mitte der 1990er Jahre für die Zinszahlungen ausgegeben wurde. 1996 beispielsweise waren es 26,5%.

Schulden sind tragbar

Italien sähe sich im Fall anhaltend hoher Renditen also einem kräftigen Zuwachs bei den Zinsausgaben für seine Staatsschulden gegenüber. Untragbar wären die jedoch nicht. In der Vergangenheit wurden erheblich höhere Zinsbelastungen gemeistert.

Abgesehen von der zu schulternden Zinsbelastung stellt sich für den Fall nachhaltig steigender Renditen auch die Frage nach der langfristigen Schuldentragfähigkeit. Da der auf die Staatsschulden zu zahlende Zinssatz in unserem Beispiel größer ist als das nominale BIP-Wachstum, muss zwingend ein positiver Primärsaldo erwirtschaftet werden, um einer Schuldenlawine zu entgehen.

Italien hat in der Vergangenheit bewiesen, dass es dauerhaft positive Primärüberschüsse aufbringen kann. Zwischen 2000 und 2019 lag der Primärüberschuss durchschnittlich bei 1,6%. Wir halten es daher für realistisch, dass es der Regierung in Rom zukünftig gelingen kann, dauerhaft einen positiven Primärsaldo in Höhe von 1,5% bis 2% zu erzielen. Unter den genannten Annahmen wäre Italien mithin in der Lage, seine Staatsschuldenquote von derzeit gut 150% bis 2030 auf knapp unter 140% und bis 2050 auf unter 130% zu senken.

Mehr Steuereinnahmen nötig

Alles in allem ist Italien wirtschaftlich also durchaus in der Lage, einen dauerhaften Renditeanstieg auf etwa 5% zu meistern. Ganz ohne Anstrengungen wird es jedoch nicht gehen. Um den notwendigen Primärüberschuss zu erzielen, sind trotz der erwarteten höheren Steuereinnahmen infolge des stärkeren BIP-Wachstums zusätzliche einnahmeseitige und/oder ausgabenseitige Maßnahmen notwendig. Dazu zählen die Verbreiterung der Steuerbasis, die Bekämpfung von Steuervermeidung und Steuerhinterziehung, Steuererhöhungen sowie Ausgabenkürzungen.

Davon abgesehen dürften die übrigen Euro-Länder, die EU und die EZB im Zweifel alles daransetzen, Italien vor Zahlungsschwierigkeiten zu bewahren. Mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) steht dazu bereits jetzt ein Instrument zur Verfügung. Darüber hinaus stellt der EU-Wiederaufbaufonds den Einstieg in eine Schuldenvergemeinschaftung dar, womit auch das Thema Eurobonds noch nicht vom Tisch ist.

Das Hauptrisiko mit Blick auf die italienischen Staatsschulden liegt daher nicht in der Zahlungsfähigkeit, sondern in der Zahlungswilligkeit. Steueranhebungen und Ausgabenkürzungen bedeuten, der Wählerschaft Geld wegzunehmen. Es ist durchaus möglich, dass künftige Regierungen hierzu nicht bereit sind. In diesem Fall stellt sich die Frage, ob die EU-Mitgliedsländer und die EZB auch dann bereit sind, Italien zur Seite zu springen.