Hitziger Wahlkampf im Plenarsaal
Hitziger Wahlkampf im Plenarsaal zum Ende der Legislatur
Die letzte Sitzung des Deutschen Bundestags der 20. Legislaturperiode geriet zu einem Schlagabtausch im Wahlkampf.
Von Angela Wefers, Berlin
Vorbei war es am Dienstag mit der staatsmännischen Zurückhaltung vom TV-Duell am Sonntag mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) und seinem Herausforderer Friedrich Merz (CDU). In der letzten Sitzung des Deutschen Bundestags der 20. Legislaturperiode ging es verbal zur Sache. Formal war die „Situation in Deutschland“ das Thema. Das Plenum wurde indes zur Wahlkampfbühne mit hitzigem Schlagabtausch. Scholz nutzte den Auftritt, um Merz scharf zu attackieren und das Wahlprogramm der SPD zu propagieren. „Führungsstärke, Nervenstärke, klarer Kurs: Darauf kommt es in schweren Zeiten an. Nicht Wankelmut und Sprüche klopfen“, rief Scholz seinem Herausforderer zu.
Scholz rechnete Merz vor, dieser habe versucht, den Vorwurf des „Sozialtourismus“ gegenüber Flüchtlingen aus der Ukraine nachträglich zurechtzurücken und er habe seine Haltung zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern wiederholt geändert. „Wer in Fragen von Krieg und Frieden so kopflos daherredet, wer so orientierungslos ist, der sollte keine Verantwortung tragen für Deutschlands Sicherheit“, rief Scholz. Zudem lege Merz mit seiner Migrationspolitik, Grenzen zu schließen, „die Axt an den europäischen Zusammenhalt“, deklinierte Scholz durch. „Was für ein Wahnsinn in dieser kritischen Zeit!“ Als großes Exportland sei Deutschland stärker als jedes andere auf europäische Solidarität angewiesen, wenn amerikanische Zölle drohten.
Merz schont Scholz nicht
Merz schonte den Kanzler nicht in seiner Replik. „Was war das denn?“, fragte Merz zum Auftakt amüsiert in Richtung Regierungsbank. „25 Minuten abgelesene Empörung über den Oppositionsführer. Herzlichen Glückwunsch, Herr Bundeskanzler!“ Nun holte Merz seinerseits aus und schoss gegen die nach dreijähriger Amtszeit verbliebene rot-grüne Minderheitsregierung: Scholz und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) kämen ihm vor wie zwei Geschäftsführer, die das Unternehmen vor die Wand gefahren hätten und nun bei den Eigentümern darum bäten, vier Jahre weitermachen zu dürfen.
Es sei eine „ernsthafte Bedrohung“ wenn Scholz so fortfahre wie bisher, konstatierte Merz. Die deutsche Volkswirtschaft schrumpfe im dritten Jahr in Folge und bilde das Schlusslicht in der EU. Der Kanzler hinterlasse auf dem Arbeitsmarkt ein „schieres Desaster“ – mit 3 Mill. Arbeitslosen, 400.000 mehr als zum Amtsbeginn. 50.000 Unternehmen seien in den drei Jahren Amtszeit in die Insolvenz gegangen, die Hälfte davon im vergangenen Jahr. Aus Deutschland flössen in jedem Jahr rund 100 Mrd. Euro ab – genau so viel, wie die SPD mit ihrem schuldenfinanzierten Deutschlandfonds für öffentliche Investitionen verspricht. „Es verlässt dieses Land", sagte Merz zum abfließenden Kapital. „Hier findet eine Abstimmung mit den Füßen gegen Ihre Regierungspolitik statt.“
Deutschlands Ansehen gelitten
Deutschlands Ansehen in Europa habe unter der Ampel-Regierung stark gelitten, ist der Unions-Kanzlerkandidat überzeugt. „Es hat noch nie eine deutsche Bundesregierung so viel Kritik bekommen und so viel Verachtung gefunden in Brüssel wie diese gegenwärtige Bundesregierung", rief Merz Scholz zu. Die Chiffre „German Vote“ stehe für die zahlreichen Enthaltungen Deutschlands in den Ministerräten und im Europäischen Rat, weil die Ampel sich wegen ihrer eigenen Zerstrittenheit nicht auf Voten habe verständigen können.
Mit Habeck am Rednerpult tauchte auch der Klimaschutz plötzlich wieder in der Debatte auf. Habeck warnte vor einer Wende in der Klimapolitik. Die Welt werde es verkraften, wenn die USA zeitweise aus dem globalen Klimaschutz ausstiegen, konstatierte der Vizekanzler. Ohne Deutschland werde aber Europa seine Ziele nicht einhalten können. „Wenn Europa umfällt, dann ist es vorbei mit dem globalen Klimaschutz.“
FDP-Chef und Ex-Finanzminister Christian Lindner bilanzierte selbstkritisch: „In Wahrheit ist die Ampel-Regierung auch daran zerbrochen, dass sie keine Antwort auf die sich zuspitzende Wirtschaftskrise gefunden hat“. In der Fiskalpolitik griff er die früheren Koalitionspartner scharf an. Es gebe keinen Mangel an öffentlichen Mitteln, „wie Sie immer suggerieren wollen“, sagte Lindener zu SPD und Grünen. „Es ist nur Ihr zügelloser Appetit nach mehr Umverteilung, Subventionen und Staatsausgaben.“ Der Sozialstaat könne treffsicherer werden, ohne dass soziale Absicherung verloren gehe. Für die AfD malte Kanzlerkandidatin Alice Weidel in leisen und gesetzten Worten ein ideales Bild Deutschlands unter AfD-Führung. Nur zwischendurch wurde sie scharf. Sie verbat sich Zwischenrufe. „Diese Leute haben hier im Bundestag nichts verloren“, sagte sie ins Plenum. „Sie haben alle noch nie in ihrem Leben gearbeitet.“