Im InterviewUlrich Reuter

„Investitionsausgaben sollten jetzt Priorität haben“

Sparkassenpräsident Ulrich Reuter spricht im Interview über den Bundeshaushalt und eine mögliche Anpassung der Schuldenbremse, Kritik am digitalen Euro sowie über die Bankenunion.

„Investitionsausgaben sollten jetzt Priorität haben“

Im Interview: Ulrich Reuter

„Investitionsausgaben sollten jetzt Priorität haben“

Sparkassenpräsident Reuter über den Bundeshaushalt, eine mögliche Anpassung der Schuldenbremse, Kritik am digitalen Euro und die Bankenunion

Deutschland braucht mehr Investitionen. Welche Rolle dabei der Sparkassensektor spielt und wann eine Reform der Schuldenbremse angemessen ist, erklärt Ulrich Reuter, Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV), im Interview.

Herr Reuter, Deutschland weist einen großen Investitionsrückstand auf, was mit dazu beiträgt, dass wir immer mehr an internationaler Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Was muss jetzt getan werden?

Wir haben vor allem im Bereich der digitalen und der klassischen Infrastruktur sowie bei der Transformation hin zu einer CO2-freien Wirtschaft einen großen Bedarf an Investitionen. In der Dekarbonisierung der Wirtschaft liegt eine große Chance, wieder an Wettbewerbsfähigkeit zu gewinnen. Wir brauchen jetzt einen klaren Plan, wo wir in den nächsten zehn Jahren investieren müssen, und müssen diesen konsequent abarbeiten, um unsere Gesellschaft und die Wirtschaft voranzubringen.

Welchen Beitrag müssen die Banken und Sparkassen bei dieser Transformation leisten?

Schon heute sind Sparkassen hier sehr aktiv. Unsere Gruppe finanziert den bankbasierten Teil der notwendigen Zukunftsinvestitionen entsprechend unserem Marktanteil von rund 40% aus eigener Kraft. Die Sparkassen haben genügend Substanz, um die Investitionen zu stemmen. Was dieses Land dringend braucht, sind verlässliche Rahmenbedingungen für die Wirtschaft, damit es sich wieder lohnt, zu investieren. Und Banken und Sparkassen brauchen den nötigen Freiraum, um den Mittelstand bei seinen Investitionsvorhaben schnell und pragmatisch begleiten zu können. Zudem geht es darum, private Kleinanleger zu überzeugen, dass es sinnvoll ist, ihre Ersparnisse in Infrastrukturfinanzierungen anzulegen. Denn es ist klar, dass ein wesentlicher Teil der nötigen Investitionen nicht aus öffentlichen Haushalten kommen wird.

Es gibt in Deutschland immer noch zu wenig Bereitschaft, in Aktien oder andere Wertpapiere zu investieren.

Ulrich Reuter, Präsident des DSGV

Sie sprechen sich für Garantien der öffentlichen Hand bei Infrastrukturinvestitionen von Privatanlegern aus. Weshalb?

Sicherheit ist für viele Sparer das A und O. Sie wollen kein Wagniskapital zur Verfügung stellen. Der Staat, der ja Träger und Betreiber der Infrastruktur sein sollte, könnte – wenn er schon selbst nicht genügend investiert – Anlegern mit solchen Garantien eine Mindestsicherheit geben, damit privates Kapital nicht völlig verloren gehen kann.

Deutschland ist allgemein nicht als ein Land von Investoren, sondern von Sparern bekannt.

Ja, es gibt in Deutschland immer noch zu wenig Bereitschaft, in Aktien oder andere Wertpapiere zu investieren. Gerade die deutsche Bevölkerung hat ein hohes Sicherheitsbedürfnis. Das ist bei einer stark alternden Gesellschaft auch verständlich. Gerade aber, wenn es um die Altersvorsorge oder andere längerfristige Anlagen geht, sollten Wertpapiere zum Anlagemix dazugehören. Damit kann auch eine gerechtere Beteiligung der gesamten Bevölkerung am Wertzuwachs unserer Volkswirtschaft erreicht werden. Das erkennen inzwischen auch immer mehr Bürgerinnen und Bürger. Das Interesse am Wertpapiersparen steigt kontinuierlich. Dazu kann auch mehr Wissen um Finanzen beitragen. Da brauchen wir als Gesellschaft noch mehr Aufklärung und eine stärkere Finanzbildung in den Schulen, aber auch in der Erwachsenenbildung.

Als Sparkassen sind wir in dem Bereich mit ganz unterschiedlichen Maßnahmen – auch auf unseren Social-Media-Kanälen – sehr aktiv. Unterstützung ist aber willkommen: Deswegen begrüßen wir es, dass die Bundesregierung das Finanzbildungsstärkungsgesetz auf den Weg bringt.

Ulrich Reuter ist seit Januar 2024 Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands (DSGV). Zuvor leitete der 62-jährige Jurist den Sparkassenverband in Bayern. Von 2002 bis 2020 bekleidete Reuter, der Mitglied der CSU ist, den Posten des Landrats von Aschaffenburg. Der gebürtige Aschaffenburger ist verheiratet und Vater zweier Kinder. Foto: Laurin Schmid

Kommen wir auf öffentliche Investitionen zu sprechen. Wie beurteilen Sie die Haushaltspolitik der Bundesregierung?

Die Haushaltsengpässe sind meiner Überzeugung nach vor allem ausgabenseitig. Wir müssen Ausgaben einsparen, um wieder mehr Luft zu haben, in Infrastruktur zu investieren. Das gilt für digitale ebenso wie für reale. Gelingt das, wird es sich auch positiv auf der Einnahmenseite auswirken. Investitionsausgaben sollten jetzt Priorität haben.

Die Bankenunion ist aus unserer Sicht abgeschlossen.

Ulrich Reuter, Präsident des DSGV

Könnte eine Reform der Schuldenbremse Ihrer Meinung nach helfen, um die öffentlichen Investitionen anzukurbeln?

Wir müssen mehr investieren und gleichzeitig sind die Haushalte sehr eng. Die Steuerschätzung wurde gerade erst nach unten korrigiert. Bei Lichte betrachtet haben wir die Wahl, die Infrastruktur verkommen zu lassen, aber weniger Schulden zu machen, oder wir investieren heute moderat und gezielt in die Grundlagen unserer Wirtschaftsentwicklung und haben dafür etwas mehr Schulden. Hier muss immer die richtige Balance gewahrt werden. Aktuell sollten wir uns die Ausgabenseite genau anschauen und Einsparpotenzial definieren. Wenn auf der Seite Klarheit besteht, sollten wir über das richtige Maß an Verschuldung nachdenken. Das aufgenommene Geld müsste zudem für Investitionen im engsten Sinne verwendet werden.

Jetzt belasten nicht nur fehlende Investitionen die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland und in Europa. Der IWF hat kürzlich die nach wie vor bestehenden Hürden im Handel innerhalb der EU angeprangert. Brauchen wir mehr europäische Integration, auch im Hinblick auf die Kapitalmarkt- und die Bankenunion?

Wir brauchen vor allem weniger Regulierung und weniger Bürokratie. In Deutschland betreiben wir zu oft auch noch das sogenannte Goldplating, regulieren noch einmal tiefer, als Brüssel vorgibt. Das alles behindert den freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen und Arbeitskräften. Den europäischen Kapitalmarkt zu stärken, da sind wir uneingeschränkt mit dabei, auch wenn wir viele Aspekte der Kapitalmarktunion als Sparkassen nur eingeschränkt nutzen würden. Den Verbriefungsmarkt zu stärken, das Insolvenzrecht zu vereinheitlichen und die Finanzbildung zu verbessern sind wichtige Vorhaben. Die Bankenunion ist aus unserer Sicht abgeschlossen. Ein vergemeinschafteter Einlagensicherungsmechanismus, den einige fordern, würde für Bürgerinnen und Bürger der EU keine Verbesserung bringen. Wir müssen die aktuellen Herausforderungen bewältigen. Das geht nicht mit Maßnahmen von vorgestern.

Bundesbankpräsident Joachim Nagel sieht darin eine Chance, den Euroraum insgesamt widerstandsfähiger aufzustellen. Das Argument überzeugt Sie also nicht.

Nein. Weshalb soll ich Mittel, die aus dem Privatkundengeschäft für die Sicherheit von Privatkunden zurückgelegt werden, dazu nutzen, die Resilienz grenzüberschreitender Großbanken zu stärken? Entweder der europäische Finanzmarkt ist nicht so stabil, wie uns suggeriert wird, oder man achtet bewährte und krisenfeste Systeme nicht.  Hier würde ich mir einen genaueren Blick auf die Vorteile stabiler und für die Entwicklung unserer mittelständischen Wirtschaft bewährter Geschäftsmodelle wünschen. Wir haben im deutschen Markt etwas, das hier gewachsen ist und passgenau für Deutschland funktioniert – für Unternehmen ebenso wie für Privatkunden. Deutsche Verantwortungsträger sollten die Vorteile des Drei-Säulen-Modells kennen und das in Europa vermitteln, anstatt sich für eine Schwächung des Systems auszusprechen. Noch einmal: Wir müssen die aktuellen Herausforderungen lösen. Das geht nur mit stabilen kreditwirtschaftlichen Strukturen – und die haben wir in Deutschland!

Es gibt keinen Bedarf für ein weiteres quasistaatliches digitales Zahlungsverkehrssystem.

Ulrich Reuter, Präsident des DSGV

Der IWF spricht sich für Konsolidierungen im Bankensektor aus. Stimmen Sie dem zu?

Die Vielfalt des europäischen Bankenmarkts ist eindeutig ein Vorteil. Dadurch entsteht ein starker Wettbewerb, der Kundinnen und Kunden nutzt. Regionalbanken sind ein Garant dafür, dass Kunden gute Leistungen zu passenden Konditionen bekommen. Ich sehe nicht, warum man den Wettbewerb schwächen und damit den Kunden längerfristig höhere Preise zumuten sollte, um Oligopole, wie es sie in einzelnen europäischen Ländern ja schon gibt, zusätzlich zu stärken. Natürlich brauchen wir aber auch große Banken als Finanzierungspartner für die Wirtschaft. Von der Politik aus eine Konzentration des Bankenmarktes zu forcieren, wäre keine kluge Maßnahme. Die Strukturen sollte man dem Markt überlassen.

Wo wir bei Marktstrukturen sind, wie stehen Sie zum Projekt digitaler Euro der EZB, das ja auch große Veränderungen am Finanzmarkt mit sich brächte?

Für die europäische Souveränität im Zahlungsverkehr ist es wichtig, dass sich die EZB damit beschäftigt, wie sie damit umgeht, dass immer mehr Menschen digital bezahlen. Aber es gibt keinen Bedarf für ein weiteres quasistaatliches digitales Zahlungsverkehrssystem. Das wäre ein unnötiger Eingriff in einen funktionierenden Markt. Es gehört nicht zu den Aufgaben einer Zentralbank, als Währungsinstanz und Bankenaufsicht auch noch Verbraucherdienstleistungen anbieten zu wollen. Hier brauchen wir zwischen Marktteilnehmern und der EZB ein gemeinsames Verständnis.

Wie könnte das aussehen?

Wir sind bereit, den digitalen Euro aktiv mitzugestalten, um etwas zu schaffen, was den Menschen in einer modernen Gesellschaft auch wirklich einen Mehrwert bietet. Es geht mir um eine praktische und verbraucherorientierte Umsetzung, die Wettbewerbsgleichheit sicherstellt. So wie der digitale Euro jetzt ausgelegt ist, würde die Umsetzung so viele Ressourcen in der IT verbrauchen, dass in unserer Finanzbranche kaum noch technische Innovationen möglich wären. Internationale Wettbewerber, die mit dem digitalen Euro viel weniger Aufwand hätten, wären bevorteilt. Gerade in Krisenzeiten sollte sich die EZB darauf konzentrieren, ihr bestehendes Mandat zu erfüllen.

Das Interview führte Martin Pirkl.

Das Interview führte Martin Pirkl.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.