Keine großen Sprünge der EZB
Keine großen Sprünge der EZB
Deka-EZB-Zinskompass signalisiert nur „behutsamen Zinssenkungsspielraum“ – Notenbank dürfte sich 2025 dennoch von restriktiver Geldpolitik verabschieden
Die EZB wird sich am Donnerstag wohl gegen eine große Zinssenkung entscheiden und eine Lockerung um 25 Basispunkte verkünden. 2025 könnte die EZB mit ihrer Geldpolitik sogar in expansives Territorium vorstoßen. Doch das ist umstritten – unter Ökonomen ebenso wie unter den EZB-Ratsmitgliedern.
mpi Frankfurt
Von Martin Pirkl, Frankfurt
Während es bei manchem Anleger zumindest zarte Hoffnungen auf einen großen Zinsschritt der Europäischen Zentralbank am Donnerstag gibt, sehen die Volkswirte der DekaBank dafür keinen Anlass. „Geht es nach den aktuellen Parametern der Geldpolitik, wie sie im EZB-Kompass abgebildet sind, so eröffnet sich allenfalls behutsamer Zinssenkungsspielraum“, sagt Ulrich Kater, Chefvolkswirt der DekaBank. Tatsächlich signalisiert der Deka-EZB-Zinskompass, der vor jeder geldpolitischen EZB-Ratssitzung exklusiv in der Börsen-Zeitung erscheint, keinen Bedarf für eine Zinssenkung der EZB zum Jahresende.
„Trotzdem sollten und werden die Leitzinsen in den kommenden Monaten sinken“, sagt Kater, der auch mit einer kleinen Zinssenkung bereits im Dezember rechnet. Der Volkswirt begründet dies mit den Aussichten auf die weitere Entwicklung der Konjunktur und der Inflation. „Es ist wahrscheinlich, dass die Inflation trotz jüngster Abirrungen im kommenden Jahr ihren Weg in den Zielbereich der EZB wieder aufnimmt“, sagt Kater. Zudem nähmen die Abwärtsrisiken für die Konjunktur zu. Die Konjunktursäule des Zinskompasses für sich genommen spricht für eine Zinssenkung um 25 Basispunkte im Dezember.
EZB wird vorausschauender
Die EZB entscheidet am Donnerstag nicht nur über eine Anpassung der Leitzinsen. Sondern sie präsentiert auch neue Projektionen zu Inflation und Wirtschaftswachstum in der Eurozone. Erstmals werden darin auch Prognosen für 2027 enthalten sein. „Die Projektionen sind in der gegenwärtigen Lage besonders bedeutsam, da die Geldpolitik im Euroraum wieder vorausschauender geworden ist“, ordnet Kater ein. Möglicherweise werden die EZB-Volkswirte sowohl bei der Inflation, als auch beim Wirtschaftswachstum von minimal geringeren Werten ausgehen. Doch selbst dann erwartet die DekaBank keine Zinssenkung um 50 Basispunkte. „Für einen großen Zinsschritt von 50 Basispunkten im Dezember sehen wir weder Veranlassung noch ausreichende Mehrheiten im Zentralbankrat“, sagt Kater.
Die jüngsten Preisdaten würden nicht für eine beschleunigte Disinflation sprechen. Auch die Konjunkturindikatoren rechtfertigen laut Kater keinen großen Zinsschritt. Eine am Dienstag veröffentlichte Umfrage des Ifo-Instituts deutet ebenfalls keine beschleunigte Disinflation an. Die Preiserwartungen der Unternehmen in Deutschland sind zwar gesunken, aber nur minimal. Im Einzelhandel planen sogar wieder mehr Firmen Preiserhöhungen in den kommenden Monaten.
Leitartikel zur Geldpolitik: Konjunktur allein ist kein Argument
Politische Brisanz
Kater führt noch ein weiteres Argument gegen eine große Zinssenkung am Donnerstag an: die politischen Entwicklungen in Frankreich. „Ein überraschender großer Lockerungsschritt der EZB in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem Anstieg der Risikozuschläge bei französischen Staatsanleihen könnte missinterpretiert werden.“ Auch andere Ökonomen sind der Ansicht, dass die EZB den Eindruck vermeiden will, politisch zu sein. Zumal mit Christine Lagarde auch noch eine Französin die Notenbank leitet.
Hinzu kommt die Unsicherheit für die EZB, die durch den Wahlsieg von Donald Trump in den USA entstanden ist. „Mit der Regierungsübernahme durch Donald Trump im Januar werden erst in einigen Wochen neue Rahmenbedingungen für den europäischen Außenhandel erkennbar sein.“ Dies spräche für einen vorsichtigen Ansatz bei der Lockerung der Geldpolitik. Trumps mutmaßliche Wirtschaftspolitik wirkt an manchen Punkten inflationär für die Eurozone und an anderen deflationär. Die Unsicherheit ist groß, welche Effekt überwiegt.
Viele Zinssenkungen der EZB in 2025
Unabhängig davon dürften im kommenden Jahr einige Zinssenkungen der EZB anstehen. „Wir teilen grundsätzlich die Einschätzung, dass angesichts absehbarer weiterer Inflationsberuhigung und schwacher Konjunkturperspektiven eine restriktive Geldpolitik nicht länger angemessen ist“, sagt Kater. Wo genau das neutrale Zinsniveau liegt, das die Wirtschaft weder bremst noch stimuliert, lässt sich nur schätzen. Die meisten Ökonomen verorten es bei einem Einlagensatz zwischen 2 und 2,5%. Derzeit liegt der für die Geldpolitik wichtigste Zinssatz bei 3,25%.
Die Finanzmärkte haben inzwischen kräftige Zinssenkungen der EZB im kommenden Jahr eingepreist. Mittlerweile wird am Geldmarkt antizipiert, dass die EZB gezwungen sein wird, bereits Mitte kommenden Jahres den Einlagensatz auf 2% zu senken. Danach werde sie mit 1,75% sogar in einen Bereich vorstoßen, der sehr wahrscheinlich expansiv ist. Kater geht ebenfalls davon aus, dass die EZB in den kommenden Monaten den Leitzins auf 2% reduzieren wird.
Schnelleres Tempo
Damit liegt Kater im Konsens einer Bloomberg-Befragung unter Volkswirte. Diese gaben an, dass die EZB inklusive des Entscheids am Donnerstag bis Juni auf jeder Zinssitzung eine Lockerung um 25 Basispunkte verkünden wird. Damit läge der Einlagensatz zu diesem Zeitpunkt dann bei 2%. In der vorherigen Auflage der Befragung waren die Volkswirte noch davon ausgegangen, dass der Einlagensatz dieses Niveau erst Ende 2025 erreicht.
Ob die EZB im kommenden Jahr zu einer expansiven Geldpolitik greifen sollte, dürfte in den kommenden Monaten eine intensive Debatte unter den EZB-Räten auslösen. Der für seine lockere Geldpolitik bekannte italienische Notenbankpräsident Fabio Panetta hatte jüngst einen solchen Schritt öffentlich ins Spiel gebracht. Auch der einflussreiche französische Notenbankchef François Villeroy de Galhau will das nicht ausschließen.
Die deutschen EZB-Ratsmitglieder Isabel Schnabel und Joachim Nagel warnen dagegen vor einer solchen Maßnahme. „Ich sehe kein erhebliches Risiko einer Unterschreitung der Inflation, die eine expansive Ausrichtung des Eurosystems in naher Zukunft rechtfertigen würde“, sagte der Bundesbankpräsident auf einer Veranstaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM).