Politische Verunsicherung lässt Konjunkturhoffnungen zerplatzen
Stimmung im Keller, Investitionen gestoppt
Die politische Verunsicherung der Unternehmen und Konsumenten erstickt jede Aufschwungshoffnung
Von Stephan Lorz, Frankfurt
Während andere Länder in Europa sich wieder auf ein stärkeres Wachstum einstellen können, kommt die deutsche Wirtschaft nicht vom Fleck. Die politische Unsicherheit durchkreuzt jede Investitionsplanung, und die Blockade von Gesetzen verdüstert alle Perspektiven. Es braucht eine neue Wachstumspolitik.
Die deutsche Wirtschaft steckt im Konjunkturtal fest. Darauf lassen die jüngsten Daten zur Entwicklung der Wertschöpfung sowie die monatlichen Unternehmensumfragen schließen: Im vergangenen Jahr schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 0,3%. Und die Prognosen für das laufende Jahr werden aktuell reihenweise nach unten korrigiert. Die Bundesregierung selbst geht nur noch von einem Plus in Höhe von 0,2% aus. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zeigt sich konsterniert: „So können wir nicht weitermachen“, kommentiert er. Und für Bundesfinanzminister Christian Lindner sind das Ergebnis und die Aussichten schlicht „peinlich“.
Zwar gibt es mit Blick auf den Wirtschaftsklimaindex des Ifo-Instituts und die Einkaufsmanager inzwischen Signale, dass die Dynamik nicht noch weiter in den Keller geht, von einer Aufbruchsstimmung aber sind die Unternehmen meilenweit entfernt. Darauf deuten etwa die gesunkenen Investitionen hin: Die Bruttoanlageninvestitionen gingen im vierten Quartal 2023 kalenderbereinigt um 1,9% zum Vorquartal zurück. Zum Minus hat nicht nur der Bau (–1,7%) beigetragen, sondern vor allem die Ausrüstungsinvestitionen, die für künftiges Wachstum getätigt werden. Sie schmolzen sogar um 3,5%. Das ist besonders schmerzlich; und deshalb müssen die Gründe für diesen Einbruch schnellstmöglich beseitigt werden.
Dramatischer Einbruch
Ökonomen erklären sich den Einbruch neben der schleppenden außenwirtschaftlichen Nachfrage und den Preisschocks im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg auch mit der schlechten Stimmung im Land sowie ausbleibenden oder gar negativen Impulsen aus der Politik. Denn erfahrungsgemäß halten sich Unternehmen mit Investitionen und Haushalte mit dem Konsum zurück, wenn sie verunsichert sind. Und die ersten Entlassungswellen wurden bereits von einigen Unternehmen angekündigt – trotz Fachkräftemangels, was die Dramatik der Lage unterstreicht.
Dass die Verunsicherung in der Wirtschaft groß ist, signalisierte schon die Unternehmensumfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zum Jahreswechsel. Sie wurde von der Politik aber noch mit Achselzucken hingenommen worden. Danach zeigten sich die Unternehmen so pessimistisch wie lange nicht mehr. Der Löwenanteil rechnete schon vor zwei Monaten nicht mit einer Besserung im Jahr 2024. Aktuell liegen die Ifo-Geschäftserwartungen weit unter dem langjährigen Durchschnitt bei um die 84 Punkten und kommen nicht vom Fleck. Insgesamt hinkt Deutschland der Entwicklung in der Eurozone weit hinterher.
Dass es womöglich sogar noch schlimmer kommen könnte, legt der aktuelle Economic Policy Uncertainty Index (EPU) nahe. Dieser misst die wirtschaftspolitische Unsicherheit anhand von Erwähnungen dieses Schlüsselbegriffs in großen Medien verschiedener Länder. Schon der Ökonom John Maynard Keynes schreibt in seiner „General Theory“, dass sich Unternehmen stets mit Investitionen zurückhalten würden, wenn sie „zu wenig Vertrauen darin haben, dass die Rendite die Finanzierungskosten übersteigt“. Und hier spielt die politische Unsicherheit eine große Rolle.
Spezifische nationale Gründe
Bereits in Großbritannien während des Brexits zeigt sich dieser Zusammenhang: Die gemessene Verunsicherung in diesem Zeitraum war besonders groß, was sich dann auch in der wirtschaftlichen Entwicklung negativ niedergeschlagen hatte. Nun scheint Deutschland den Ausreißer zu spielen: Die Werte steigen seit dem Angriffskrieg Russlands in der Ukraine rasant nach oben und kommen nicht wie anderswo in Europa wieder zurück. Es sind wohl spezifische nationale Gründe, die hier eine Rolle spielen.
Es gibt ein ganzes Bündel an Indizien, das zu dieser Verunsicherung geführt hat und sie auch weiter vergrößert. Da sind die gestiegenen Leitzinsen, die hohe Inflation und speziell die dramatische Teuerung bei den Energiepreisen. Viele Menschen sorgen sich obendrein wegen ihrer dahinschmelzenden Kaufkraft, was sich aktuell in einer hohen Streikbereitschaft bei den Tarifverhandlungen ausdrückt. Da kann die Politik nicht viel ausrichten.
Planungssicherheit fehlt
Aber bei den Unternehmen könnte Berlin durchaus für eine Stimmungswende sorgen. Denn ihnen fehlt es vor allem an der Keynes‘schen Planungssicherheit für ihre Investitionen. Hier die Perspektiven zu ändern, könnte das Blatt wenden. Anzusetzen wäre etwa bei der missglückten Klimatransformation: Zwar ist der Ausstieg aus Atom und Kohle bereits beschlossen, der Ersatz durch Gaskraftwerke ist indes noch gar nicht richtig angegangen worden. Dass die vorliegenden Pläne ausreichen, wird zudem vielfach bezweifelt. Von den Auswirkungen auf die Energiepreise ganz zu schweigen. Schmerzlich wird ein Masterplan vermisst, der einiges an Sicherheit zurückbringen würde. Der bleibt aber aus.
Und im Moment hängen auch allgemeine Verbesserungen für Unternehmen wie Steuersenkungen oder Abschreibungserleichterungen in der Luft. Das diesbezüglich zusammengestutzte und noch nicht endgültig verabschiedete Wachstumschancengesetz bezeichnet Ifo-Chef Clemens Fuest als „Homöopathie“. Das sei „nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein“. Hier fehlt ein Befreiungsschlag ähnlich dem Inflation Reduction Act (IRA), der nach Bekunden von Unternehmen und Ökonomen in den USA viel an Unsicherheit aus der Realwirtschaft genommen und für einen Stimmungsumschwung gesorgt habe.
Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger mahnt, dass die Unternehmen längst das Vertrauen in die Bundesregierung verloren hätten. Deutschland müsse endlich wieder funktionieren. Nötig seien grundlegende Reformen auf allen möglichen Gebieten. Doch die Ampel-Regierung blockiert sich auch in dieser Frage.
Zwar bereitet Finanzminister Lindner ein neues Standortverbesserungsgesetz vor, doch Grüne und SPD wollen lieber direkt fördern, als breit die Steuern senken, wie es die FDP gerne hätte. Außerdem wird alles unter Finanzierungsvorbehalt gestellt: Wenn die FDP bei der Flexibilisierung der Schuldenbremse nicht nachgibt, könne auch nicht mehr ausgegeben werden für die Wirtschaft, heißt es. Je länger diese Blockadesituation andauert, desto schlimmer wird die Lage der Wirtschaft – und erhöht die politische Verunsicherung abermals.