Rot-Grün macht vorerst als Minderheitsregierung weiter
Rot-Grün macht als Minderheitsregierung weiter
Scholz will im Januar Vertrauensfrage stellen – Kukies übernimmt von Lindner das Finanzressort – Wissing bricht mit FDP und bleibt im Kabinett
Die erste Ampel-Regierung im Bund ist nach knapp drei Jahren Geschichte. Nach dem Bruch mit der FDP wollen SPD und Grüne vorerst als Minderheitsregierung weitermachen. Bundeskanzler Olaf Scholz will erst im Januar die Vertrauensfrage stellen. Neuer Finanzminister wird Jörg Kukies.
ahe/wf Berlin
Die Ampel-Koalition ist im Streit um die künftige Ausrichtung der Wirtschaftspolitik und den Haushalt 2025 zerbrochen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will vorerst mit einer rot-grünen Minderheitsregierung ohne die FDP weitermachen. Neuwahlen peilt Scholz für die zweite Märzhälfte an. Dafür will er am 15. Januar mit einer Vertrauensfrage im Bundestag den Weg frei machen. CDU und CSU dringen unterdessen auf eine schnellere Entscheidung. Scholz solle die Vertrauensfrage bereits diese oder spätestens nächste Woche stellen, verlangten Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) und der CSU-Landesgruppenvorsitzende Alexander Dobrindt vor der Presse.
Bundespräsident entscheidet
Für die AfD forderte Partei-Cochefin Alice Weidel Scholz ebenfalls auf, die Vertrauensfrage in der nächsten Woche im Bundestag zu stellen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat dann 21 Tage Zeit, den Bundestag aufzulösen und Neuwahlen anzusetzen. Merz zufolge könnte bereits Ende Januar gewählt werden. Steinmeier sagte, Deutschland brauche „stabile Mehrheiten und eine handlungsfähige Regierung“. Dies werde er zum Maßstab seiner Entscheidung machen. Die verkleinerte Regierungsmannschaft war am Donnerstag Nachmittag schon fast wieder komplett. Alle Minister der Grünen bleiben im Amt, bestätigte Vizekanzler Robert Habeck (Grüne).
Steinmeier entließ drei FDP-Politiker aus dem Amt: Finanzminister Christian Lindner, Justizminister Marco Buschmann und Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger. Scholz hatte Lindner überraschend aus der Regierung geworfen und ihm scharf wiederholten Vertrauensbruch vorgeworfen. Buschmann und Stark-Watzinger baten selbst um ihre Entlassung. Verkehrsminister Volker Wissing (FDP), der vor wenigen Tagen dazu aufgerufen hatte, die Ampel müsse durchhalten, behält seinen Posten. Er tritt aber aus der FDP aus. Der Jurist übernimmt von Buschmann zusätzlich das Justizressort bis zur Neuwahl.
Scholz-Vertrauter für Finanzen
Neuer Finanzminister ist der Scholz-Vertraute und wirtschaftspolitische Berater des Kanzlers, Jörg Kukies. Als früherer Finanzstaatssekretär von Scholz in dessen Zeiten als Finanzminister kennt er das Haus gut. Designierter Forschungsminister ist der Grünen-Politiker Cem Özdemir, der das Ressort übergangsweise zusätzlich zum Landwirtschaftsministerium übernehmen soll. Während Steinmeier alle Urkunden an die alten und neuen Minister aushändigte, war Özdemir nicht dabei.
Scholz Hoffnung, mit seiner neuen Minderheitsregierung Unterstützung für diverse Gesetzesvorhaben bei der Union zu finden, fand zumindest am Donnerstag ein frühes Ende. Das Gespräch mit CDU-Partei- und Fraktionschef Friedrich Merz endete Unionskreisen zufolge bereits nach einer knappen halben Stunde. Die CDU/CSU ist demnach jederzeit bereit, über anstehende Tagesordnungspunkte und Gesetze im Bundestag zu sprechen, verlangt vom Kanzler aber, die Vertrauensfrage in den nächsten Tagen zustellen.
FDP gesprächsbereit
Merz hatte schon zuvor auf die 21-Tage-Frist verwiesen, die auch bei der Auflösung des Bundestags noch für Entscheidungen blieben. Scholz bleibt aber bei seinem Zeitplan, die Vertrauensfrage erst im Januar zu stellen. Die FDP signalisierte, Projekte der bisherigen Regierung grundsätzlich weiter zu unterstützen. Lindner und Fraktionschef Christian Dürr ließen aber offen, welche. Es sei zu früh, Projekte zu nennen. Dürr will mit SPD und CDU/CSU sprechen.
Die Auseinandersetzung war am Mittwochabend im Koalitionsausschuss eskaliert. Die Spitzen der Ampel-Parteien und -Fraktionen hatten sich getroffen, um über weitere Hilfen für die schwache deutsche Wirtschaft sowie einen ungedeckten, größeren einstelligen Milliardenbetrag im Bundeshaushalt 2025 zu beraten. Scholz wollte demnach mit einem Notlagenbeschluss im Bundestag die Schuldenbremse erneut aussetzen. Damit wär es möglich gewesen, 12,5 Mrd. Euro für Leistungen an die Ukraine und die von dort Geflohenen über die Fiskalregel hinaus an Krediten zu finanzieren. Lindner wies dies zurück. Er hatte sich in seiner Amtszeit für die Einhaltung der Schuldenbremse eingesetzt.
Bei Ausgaben von rund 480 Mrd. Euro will der Bund im nächsten Jahr ohnehin mehr als 50 Mrd. Euro über neue Schulden finanzieren. Gleichwohl war es der Ampel nicht gelungen, im Kabinett alle Löcher zu stopfen. Die Regierung hatte den Etatentwurf mit ungedeckten Posten und weiterem Konsolidierungsbedarf in den Bundestag geschickt. Habeck zufolge wäre eine Einigung möglich gewesen, wenn die Kosten der Ukraine zusätzlich über neuen Schulden hätten finanziert werden können. Er sprach von einem verbleibenden Loch von 5 bis 8 Mrd. Euro.
Bundeshaushalt 2025 offen
Der Bundestag wollte den Entwurf des Bundeshaushalts in der letzten November-Woche abschließend beraten. Zudem steht ein Nachtragshaushalt für 2024 mit ebenfalls höheren als bislang geplanten Schulden zur Abstimmung. Dieser bewegt sich innerhalb der Schuldenbremse. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage steigt der Verschuldungsspielraum. Die Haushaltsexperten im Bundestag haben bislang geplant, im Haushaltsausschuss alle offenen Fragen am 14. November in der sogenannten Bereinigungssitzung zu lösen. Diese Aufgabe liegt nun bei SPD und Grünen. Für einen Notlagenbeschluss, um die Schuldenbremse auszuhebeln, fehlt ihnen die Mehrheit. Unwahrscheinlich ist, dass der Etatentwurf für 2025 beschlossen wird. Nach dem Jahreswechsel kann die Regierung sich daher nur auf einen Nothaushalt stützen, der die Ausgaben des Vorjahres in Monatstranchen fortschreibt.