EZB "Minutes"

Sinneswandel in der EZB

Noch vor vier Wochen sprachen sich die EZB-Ratsmitglieder für ein vorsichtiges und schrittweises Vorgehen bei der Lockerung der Geldpolitik aus. Inzwischen hat sich die Lage geändert.

Sinneswandel in der EZB

Sinneswandel in der EZB

Wachstumssorgen überlagern Mahnungen vor widerspenstiger Inflation

mpi Frankfurt

Das Protokoll zum Zinsentscheid der EZB im September verdeutlicht, wie schnell sich Einschätzungen ändern können. Wie aus den am Donnerstag von der Notenbank veröffentlichten Unterlagen hervorgeht, deutete vor vier Wochen noch wenig darauf hin, dass die EZB im Oktober ein weiteres Mal die Zinsen senken wird. „Es wurde erwähnt, dass derzeit ein schrittweises und vorsichtiges Vorgehen angemessen ist, da nicht völlig sicher sei, dass das Inflationsproblem gelöst sei“, heißt es im Sitzungsprotokoll.

Zeichen stehen auf Zinssenkung im Oktober

Oder anders formuliert: Die EZB dürfte erst im Dezember wieder an der Zinsschraube drehen und nicht bereits im Oktober. Vieles deutet aber darauf hin, dass ein Großteil der Notenbanker die Lage inzwischen anders beurteilt. So zeigen sich selbst Falken wie Bundesbankpräsident Joachim Nagel öffentlich bereit dafür, in der kommenden Woche über eine Lockerung der Geldpolitik zu diskutieren. Der einflussreiche französische Notenbankchef François Villeroy de Galhau wurde am Mittwoch noch deutlicher. „Eine Zinssenkung ist sehr wahrscheinlich und wird darüber hinaus nicht die letzte sein, aber das weitere Tempo wird einfach von der Entwicklung der Inflationsbekämpfung abhängen.“

An den vorläufigen Inflationsdaten für September dürfte der Sinneswandel in der EZB wohl nicht liegen. Zwar hat sich die Teuerung in Frankreich und Spanien stärker abgeschwächt als erwartet, der Rückgang der Euro-Inflation auf 1,8% liegt jedoch genau im Einklang mit den aktuellen Prognosen der Notenbank.

Deutschland im Fokus

Vielmehr scheinen die Sorgen um eine länger anhaltende Schwäche der Euro-Konjunktur zugenommen zu haben. Bereits im September hielten die Notenbanker fest: „Während eine breite Zustimmung zu den jüngsten makroökonomischen Prognosen zum Ausdruck kam, wurde betont, dass die eingehenden Daten eine Abwärtskorrektur der Wachstumsaussichten im Vergleich zur vorherigen Prognoserunde implizieren“. Vor allem Deutschland bremse die Euro-Konjunktur. Der größten Volkswirtschaft der Eurozone bescheinigen die EZB-Räte „erhebliche strukturelle Herausforderungen“.

In der September-Sitzung zeigten sich die Notenbanker hoffnungsvoll, dass der private Konsum aufgrund der Reallohngewinne anzieht und so das Wirtschaftswachstum ankurbelt. Doch die Haushalte machen nach wie vor keine Anstalten, den Geldbeutel weit zu öffnen und erhöhen stattdessen lieber ihre Sparquote. Die Ursachen hierfür müsse die EZB ergründen, sagte unlängst EZB-Chefökonom Philip Lane.

Euro-Wirtschaft schwächer als gedacht

Auch andere Konjunkturindikatoren, die seit der September-Sitzung erschienen sind, verbreiten keinen Optimismus. So ist der Einkaufsmanagerindex für die Euro-Industrie auf den tiefsten Stand seit neun Monaten gefallen und signalisiert weiterhin rückläufige Aktivitäten. Auch die Unternehmensinvestitionen verharren auf einem niedrigen Niveau.

Eine geringere wirtschaftliche Aktivität in der Eurozone verringert den Inflationsdruck, weil Unternehmen weniger Spielraum für Preiserhöhungen haben. Zudem sinken die Chancen von Arbeitnehmern und Gewerkschaften, hohe Lohnforderungen durchzusetzen. Das kräftige Lohnwachstum gilt als eines der derzeit größten Aufwärtsrisiken für die Inflation.

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