Trump riskiert einen „Feuerring um die USA“
Washington riskiert einen „Feuerring um die USA“
Trumps Zerschlagung der globalen Ordnung beraubt die USA der eigenen Machtbasis. Die EU muss sich abnabeln.
Von Stephan Lorz
Für die Präsidentin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, ist vor dem Hintergrund der erwarteten neuerlichen Zoll-Welle aus den USA schon jetzt klar: Europa muss sein Schicksal nun selbst in die Hand nehmen. In einem Interview spricht sie von einem „Marsch in die Unabhängigkeit“. Grund ist die Abkehr des einstigen westlichen Hauptpartners vom bisherigen globalen Regelwerk und dem Wertegefüge, auf dem die gemeinsamen Handelsbeziehungen beruhten.
Das hat nicht nur handfeste Folgen für Wachstum und Inflation in allen Ländern, sondern sorgt auch für erhebliche tektonische Verschiebungen auf der ganzen Welt. Denn mit seiner Neigung zu Drohung und Zwang, seiner Bereitschaft, Freunde und Verbündete zu verraten, und seiner Missachtung von Regeln und Normen zerschlage Trump systematisch gerade politisches Kapital, das sich die USA in der Nachkriegszeit aufgebaut hätten – und das dem Land die bisherige globale Führungsrolle gebracht habe, warnt etwa Jeffrey Frankel, der US-Ökonom und frühere Wirtschaftsberater von US-Präsident Ronald Reagan.
Technische Rezession in Europa möglich
Nach den schon angeordneten Stahl- und Autozöllen will US-Präsident Donald Trump diese Woche nämlich noch einmal nachlegen: Er hat den „Libration Day“ ausgerufen und „reziproke Zölle“ angekündigt. Die sollen dann für alle anderen Güter gelten und neben den tarifären und nichttarifären Zollhürden auch nationale Regulierungen und Steuern einbeziehen, die irgendwie zum Problem für US-Exporteure werden können. Im Falle Deutschland wohl auch die Mehrwertsteuer.
Der Gesamtzollsatz für europäische Einfuhren in die USA wird nach Berechnungen der Investmentbank Goldman Sachs dann um 20 Prozentpunkte zulegen; mit Aufrechnung der Mehrwertsteuer sogar um 30 Punkte. Wegen der Lieferkettenprobleme und der Exporteinbrüche dürfte es dann, so die Ökonomen, in der Eurozone zu einer technischen Rezession kommen. EZB-Chefin Lagarde selbst erwartet einen Wachstumseinbruch um 0,3 bis 0,5 Prozentpunkte gegenüber vorherigen Schätzungen.
Blinder Fleck bei Dienstleistungen
Auf den ersten Blick sind die USA für Gegenreaktionen gut gewappnet: Der Zugang zum US-Markt scheint unabdingbar; Produktionsverlagerungen können also erzwungen werden. Die USA machen immerhin 25% der globalen Wertschöpfung aus. Hinzu kommt die Tiefe und Mächtigkeit des US-Finanzmarkts, die es Firmen erlaubt, schnell zu wachsen. Doch Trump scheint, so Harvard-Ökonom Ricardo Hausmann, einen „blinden Fleck“ für die Bedeutung der (digitalen) Dienstleistungen zu haben. Das gilt in besonderem Maße für Patente und geistiges Eigentum. Der bei Dienstleistungen erzielte Handelsüberschuss entspricht etwa dem Defizit beim Warenhandel, werden alle versteckten, separat über Auslandsdependancen abgerechneten diesbezüglichen Zahlungsströme hinzugerechnet.
Hausmann spricht vom wertvollsten US-Wirtschaftsgut überhaupt: der Innovationskraft der US-Unternehmen und der über internationale Mechanismen (TRIPS) möglichen Monetarisierung dieses Gutes. Werden jedoch Recht und Ordnung zerschlagen, halten sich die USA an keine Verträge mehr, wer will dann, so Hausmann, jenen Ländern noch übelnehmen, wenn sie die Patente von Pharma- und Digitalfirmen einfach unterlaufen und keinen Cent mehr für die Verwendung bezahlen?
Hohe Handelshürden innerhalb der EU
Die große Bedeutung der Digitalindustrie für die USA macht sich wohl auch die EU zunutze. Sie plant, bei Gegenreaktionen speziell die Tech-Konzerne in den Fokus zu nehmen. Die allererste Möglichkeit wäre natürlich, durch den Ausbau des Binnenmarkts einen Teil der wegfallenden US-Geschäfte auszugleichen. Nach einer IWF-Studie entsprechen die bestehenden nichttarifären Handelshemmnisse noch einem Zollsatz von 44%; bei Dienstleistungen gar von 110%. Hier muss Brüssel ansetzen.
Das würde die Standortattraktivität weiter erhöhen und könnte mehr Auslandsinvestitionen anziehen – zumal sich Brüssel an Regeln hält. Die Geschäftsführerin der Atlantik-Brücke, Julia Friedlander, spricht von „Friendshoring“. Die Diversifizierung weg von Trumps Amerika vollziehe sich schon: „Anstatt einen Feuerring gegen China aufzubauen, riskiert Amerika einen Feuerring um sich selbst“.