Konjunktur

US-Rezession dürfte schwerer verlaufen als gedacht

Mehrere Gründe sprechen für eine ausgeprägte Durststrecke der Wirtschaft in den USA, argumentiert Andreas Busch, Senior Economist des Vermögensverwalters Bantleon.

US-Rezession dürfte schwerer verlaufen als gedacht

Immer mehr Ökonomen halten eine harte Landung der US-Wirtschaft für unausweichlich. Offen ist, wie tief und wie lang die Rezession ausfallen wird. Hier scheinen die Stimmen zu überwiegen, die eine lediglich kurze bzw. moderate Schwächephase er­warten, was unter anderem mit der guten finanziellen Verfassung der privaten Haushalte und Unternehmen begründet wird. Wir teilen diese gelassene Sicht nicht. Mehrere Gründe sprechen für eine länger anhaltende bzw. ausgeprägtere Durststrecke.

Zunächst sind da die gestiegenen Zinsen. Auf Unternehmensebene ha­ben sich die durchschnittlichen Renditen von Investment-Grade-Anleihen seit Anfang 2021 von knapp 1,2% auf rund 4,8% vervierfacht (im Bereich ein- bis zehnjähriger Laufzeiten). Die privaten Haushalte sind ebenfalls betroffen. Sie sehen sich unter anderem massiv gestiegenen Hypothekenzinsen gegenüber.

Der private Wohnungsmarkt re­agiert üblicherweise am schnellsten auf höhere Zinsen, weshalb hier die Bremsspuren bereits unübersehbar sind. So haben die Wohnbauinvestitionen im ersten Halbjahr um annualisiert 7% nachgegeben – in den kommenden Quartalen dürfte es zu weiteren Rückgängen kommen.

Steigende Zinsen bremsen

Mit einem Anteil der Wohnbauinvestitionen von rund 3% am Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist der davon ausgehende Gegenwind zwar für sich genommen noch zu verschmerzen. Er gibt indes einen Vorgeschmack darauf, welche dämpfenden Effekte die gestiegenen Zinsen auf die etwas langsamer reagierenden Unternehmensinvestitionen ausüben, deren Anteil am BIP viermal so groß ist.

Aber nicht nur die Zinsen machen Unternehmen zu schaffen, sondern auch der auf breiter Front gewachsene Kostendruck. Zum einen stechen hier die Rohstoffpreise hervor, die massiv über das Vor-Corona-Niveau hinaus zugelegt haben. Zum anderen sind die Lohnstückkosten zu nennen. Mit gut +8% im Vorjahresvergleich haben sie zuletzt so kräftig angezogen wie seit 40 Jahren nicht.

In diesem Umfeld kommen die Gewinnmargen der Unternehmen immer mehr unter Druck. Die Belastungen treten zumeist aber erst mit einer merklichen Zeitverzögerung zu­­tage. Beispielsweise, weil die Unternehmen bei der Versorgung mit Rohstoffen zunächst noch von Lieferverträgen aus der Vergangenheit profitieren. Oder weil sie sich in Zeiten niedriger Zinsen ein umfangreiches Liquiditätspolster angelegt haben. Entsprechend wird der Gegenwind erst in den kommenden Quartalen vollständig zu spüren sein.

Unsere Berechnungen zeigen, dass sich die aktuell noch zufriedenstellende Ertragslage der Unternehmen bis in die Mitte des kommenden Jahres hinein gravierend verschlechtern wird. Leidtragende werden die Beschäftigten sein: Sie müssen mit zunehmenden Entlassungen rechnen, was seinerseits den privaten Verbrauch belastet und damit die von den sinkenden Investitionen ausgehenden Bremseffekte noch verstärkt.

Allein diese Überlegungen sprechen für ein bis weit ins nächste Jahr schrumpfendes BIP, also eine Rezession. Daneben geht zusätzlich auch noch Ungemach von der Fiskalpolitik aus. In den Jahren 2020 und 2021 war der Staat mit vielfältigen Stützungsmaßnahmen dem Corona-Einbruch entgegengetreten. In der Summe wurden über 5000 Mrd. Dollar in die Wirtschaft gepumpt. Dieser Impuls klingt nun jedoch aus und verkehrt sich sogar ins Gegenteil.

Mit einer vereinfachten Rechnung lässt sich veranschaulichen, welche unterschiedlichen Wachstumseffekte vonseiten der Fiskalpolitik ausgegangen sind bzw. noch ausgehen. Dazu wird unterstellt, dass sich die Gesamtsumme der 5000 Mrd. Dollar zu gleichen Teilen auf die beiden Jahre verteilt. Entsprechend hat das BIP-Wachstum im ersten Jahr einen Impuls von rund 10 Prozentpunkten erhalten. Im zweiten Jahr resultierte kein weiterer Nachfrageimpuls, weil der Staat die gleiche Summe wie im Vorjahr in die Wirtschaft pumpte. Im dritten Jahr schließlich, wenn der Staat seine Stützungsmaßnahmen komplett zurückgefahren hat, schrumpft die gesamtwirtschaftliche Nachfrage um 2500 Mrd. Dollar gegenüber dem Vorjahr. Es entsteht also ein negativer Wachstumseffekt in Höhe von 10% des BIP.

Natürlich kann diese Rechnung nicht eins zu eins auf die Realität übertragen werden. Vor allem kommt es nicht zu so abrupten, klar abgegrenzten Veränderungen der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage. Vielmehr dürfte in der aktuellen Situation insbesondere die Spartätigkeit der privaten Haushalte für eine merkliche Glättung sorgen. Entsprechend ist 2022 und 2023 zwar nicht mit einem scharfen wirtschaftlichen Bremseffekt zu rechnen – gleichwohl dürfte der Gegenwind in den kommenden Quartalen immer deutlicher zu spüren sein.

Auch der Arbeitsmarkt gibt mittelfristig Anlass zur Sorge. Aktuell brummt der Jobmotor in den USA – er ist sogar heiß gelaufen. Das zeigt nicht nur die historisch tiefe Arbeitslosenquote von 3,5%, sondern auch die rekordhohe Zahl an offenen Stellen von bis zu 11,9 Millionen bei gleichzeitig rekordtiefer Zahl an Arbeitssuchenden. Mit in der Spitze 5,9 Millionen war der Überhang an unbesetzten Stellen innerhalb kürzester Zeit in bislang unbekannte Höhen geschnellt.

Aus Sicht der Notenbank stellt das ein zentrales Problem dar, weil in diesem Umfeld die Löhne schneller steigen als mit dem 2-%-Inflationsziel vereinbar. Entsprechend ist es das Ziel der Fed, den Arbeitsmarkt mittels geldpolitischer Straffungen nachhaltig abzukühlen. Letztlich muss der Überhang an unbesetzten Stellen um rund 5 Millionen bzw. rund 50% reduziert werden. Ein absoluter Rückgang der offenen Stellen ist aber äußerst selten. Wie ein Blick auf die vergangenen 20 Jahre zeigt, war das nur dann zu beobachten, wenn das BIP deutlich geschrumpft ist, sprich es zu einer ausgewachsenen Rezession kam.

Konjunkturelle Abwärtsspirale

Fazit: Die US-Wirtschaft sieht sich in den kommenden Quartalen einem ganzen Bündel an Belastungen ausgesetzt. Erstens werden die höheren Zinsen sowie die deutlich gestiegenen Kosten für Rohstoffe, Vorprodukte und Löhne mit der üblichen Zeitverzögerung immer deutlicher auf die Gewinnmargen der Unternehmen drücken. In der Folge kommt mittels sinkender Investitionen, steigender Arbeitslosigkeit und schwächelndem Konsum eine klassische konjunkturelle Abwärtsspirale in Gang. Zweitens bremst die Fiskalpolitik das Wachstum: Sie wirkt nach dem Ausklingen der historisch beispiellosen Stimuli in den Vorjahren unweigerlich restriktiv. Drittens ist es das ausdrückliche Ziel der Fed, den heiß gelaufenen Arbeitsmarkt abzukühlen. Und zwar so weit, dass die von dieser Seite ausgehenden Inflationsgefahren unter Kontrolle gebracht werden, was nur durch einen scharfen Wachstumseinbruch zu erreichen sein dürfte.

Es hat sich also einiges zusammengebraut, weswegen es nicht nur eine milde Rezession geben dürfte, wie viele hoffen. Vielmehr sollte das Bruttoinlandsprodukt spätestens ab dem vierten Quartal 2022 spürbar schrumpfen. Mit einem wieder anziehenden BIP rechnen wir frühestens im Schlussquartal 2023, womit die Rezession mindestens so lange dauern würde wie im Durchschnitt in der Zeit seit dem Zweiten Weltkrieg.