Verschiebungen in der Weltwirtschaft

Wie Europa von Trump profitieren könnte

Ein Zollkrieg kennt nur Verlierer, da sind sich Ökonomen einig. Manche hoffen dennoch, dass Europa in manchen Aspekten auch von den Entwicklungen in den USA profitieren könnte.

Wie Europa von Trump profitieren könnte

Wie Europa von Trump profitieren könnte

Ökonomen hoffen auf eine bessere europäische Zusammenarbeit und eine wachsende internationale Bedeutung des Euro

Von Martin Pirkl, Frankfurt

Langjährige Gewissheiten werden aktuell durch US-Präsident Donald Trump ins Wanken gebracht. Die Vereinigten Staaten stehen Europa militärisch, politisch und wirtschaftlich nicht mehr so eng zur Seite, wie es über Jahrzehnte der Fall war. Der Zollkonflikt der USA mit weiten Teilen der Welt dürfte zudem Handelsströme längerfristig umlenken. „Die Trump-Administration wird die globalen Handelsmuster nicht für zwei oder drei Jahren verändern. Entscheidungen werden eher mit einer Perspektive von fünf bis zehn Jahren betrachtet werden müssen“, meint Nicolo Salsano, Europachef von Standard Chartered.

Die britische Bank erwirtschaftet ihren Hauptumsatz nicht in Großbritannien oder Kontinentaleuropa, sondern in Asien. Salsano erwartet, dass viele Kunden seiner Bank auf die politischen Entwicklungen in den USA mit einem Strategieschwenk reagieren dürften. „Ich glaube, dass sich unsere Kunden im Fernen Osten zunehmend nach Europa orientieren werden. Derzeit erscheint Europa manchem Unternehmen als ein stabilerer und berechenbarerer Handelspartner.“

Fortschritte beim EU-Binnenmarkt nötig

Auch abseits davon könnte Trumps Politik dazu führen, dass Europa zumindest in manchen Punkten davon profitieren könnte. Als Reaktion auf die Aktionen im Weißen Haus plant die EU Investitionen ins Militär in einem Ausmaß, dass es ansonsten nie gegeben hätte. Die Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier hofft, dass es auch über den Militärbereich hinaus zu einem „Schulterschluss in Europa“ kommen könnte.

Fortschritte bei der Schaffung eines vollendeten Binnenmarktes innerhalb der EU gelten nicht nur bei Malmendier als wichtiger Schlüssel zu einem stärkeren Wirtschaftswachstum in Europa. „Der EU-Binnenmarkt ist ein schlafender Riese für die deutsche Industrie“, sagt Oliver Bendig, Partner und Leiter der Industrieberatung bei Deloitte. Nach Berechnungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) entsprechen die Belastungen, die etwa durch unterschiedliche Verpackungsrichtlinien, Steuergesetze oder wachsende Berichtspflichten entstehen, einem theoretischen Zollsatz auf Industriegüter von bis zu 44%.

Dauerbrenner Bürokratie

Würde die Hälfte dieser Lasten wegfallen, würde dies laut Deloitte bis 2035 zu einem zusätzlichen Wachstum von einem Prozent pro Jahr im Geschäft mit den meisten EU-Ländern führen. Dies könnte das durch Zölle wegbrechende Geschäft mit den USA kompensieren.

Bürokratieabbau gehört seit Ewigkeiten zu den Vorhaben der EU und der nationalen Regierungen. Doch die Entwicklungen in den USA könnten den Bemühungen neuen Schwung geben, da es dringlicher geworden ist, dass Europa seine Wettbewerbsfähigkeit verbessert. „Die Märkte mögen das Chaos nicht, das mit der Einführung von Zöllen und Trumps Außenpolitik einhergeht, aber wenn es die Eurozone und die EU dazu bringt, das zu tun, was sie bereits in den vergangenen 10 Jahren hätten tun sollen, dann gibt es einen kleinen Lichtblick“, sagt Eric Robertsen, Chefökonom von Standard Chartered.

Chance bei Fachkräften

Eine andere Baustelle für viele europäische Volkswirtschaften ist der Fachkräftemangel aufgrund der alternden Gesellschaft und der niedrigen Geburtenrate. Auch hier könnte Trumps Kurs Europas Lage verbessern. Für einige internationale Fachkräfte dürfte die USA durch den Machtwechsel im Weißen Haus unattraktiver geworden sein. Die Wirtschaftsweise Malmendier sieht darin eine Chance, um Fachkräfte nach Europa zu locken, die sich ansonsten für die USA entschieden hätten. Sie plädiert dafür, in Deutschland das Fachkräfteeinwanderungsgesetz zu überarbeiten und internationale Arbeitskräfte mit Prämien nach Deutschland zu locken.

Der Ökonom Klaus Adam vom University College London gehört zu denjenigen, die sich vorstellen können, dass der Euro zuungunsten des Dollars an internationaler Relevanz gewinnen könnte. Er geht sogar so weit: „Der Euro ist in einer guten Position, die dominante Reservewährung zu werden, wenn es Europa gelingt, wirtschaftlich stärker zu wachsen.“ Robertsen ist da skeptischer. „Es gibt kaum strukturelle Anzeichen dafür, dass der Dollar seinen Status als Leitwährung verlieren könnte, selbst wenn der Dollar gegenüber dem Euro weiter abwerten würde.“

Strategische Autonomie

Doch auch in der EZB und in der EU keimt die Hoffnung, dass der Euro Marktanteile gewinnen könnte. Vor allem, wenn es dem Euroraum gelänge, das Projekt digitaler Euro zeitnah erfolgreich abzuschließen, während die USA unter Trump das Thema digitales Zentralbankgeld nicht weiter vorantreiben will. Die EZB arbeitet schon länger mit Hochdruck an einer Einführung des digitalen Euro. Voraussetzung: Die EU schafft dafür die gesetzliche Grundlage. Die Verwerfungen mit den USA haben dem Thema aus Sicht der EZB jedoch zusätzliche Relevanz gegeben, da Europa im Zahlungsverkehr derzeit in hohem Maße von amerikanischen Firmen abhängig ist.

Ähnlich äußerte sich zuletzt Paschal Donohoe, Vorsitzender der Euro-Gruppe. „Die Schaffung eines digitalen europäischen Zahlungsverkehrssystems ist heute für die Sicherung der strategischen Autonomie Europas unabdingbar“, sagte er Mitte März. „Eine starke Wirtschaft im Euroraum ist ein Anker für Stabilität und Sicherheit auf unserem Kontinent.“

Ob Europa in manchen Aspekten von den politischen Entwicklungen tatsächlich profitieren kann, ist noch ungewiss. Klar ist aber bereits jetzt, die Zollpolitik der USA wird keine Gewinner hervorbringen – weder dies- noch jenseits des Atlantiks. „Wir werden kurzfristig eine Verlangsamung des globalen Wirtschaftswachstums erleben, das ist unbestreitbar“, da ist sich Salsano, Europachef von Standard Chartered, sicher.