Jahresgutachten

Wirtschaftsweise werben für Reformen und Investitionen

Kaum noch Wachstum des Produktionspotenzials, geringes Wirtschaftswachstum, langsam nachlassende Inflation: Der Blick der Wirtschaftsweisen auf die deutsche Volkswirtschaft fällt trübe aus. Es werden zahlreiche Reformen, Investitionen und Innovationen angeregt.

Wirtschaftsweise werben für Reformen und Investitionen

Konjunktur erholt sich in Deutschland
nur langsam

ba Frankfurt

Der Sachverständigenrat Wirtschaft attestiert in seinem Jahresgutachten Deutschland eine Wachstumsschwäche – und zwar nicht nur aktuell, sondern insbesondere mittel- und langfristig – und empfiehlt, in die Zukunft zu investieren. Der Name des 455 Seiten schweren Schmökers "Wachstumsschwäche überwinden – in die Zukunft investieren" ist also Programm. Denn durch die demografische Alterung werde das inländische Arbeitsvolumen sinken, wodurch das Produktionspotenzial erheblich gedrückt wird: Von jährlich etwa 2,4% in den Jahren vor der Wiedervereinigung und den zwischen 2000 und 2019 gezeigten über 1,4% ging es auf deutlich unter 1,0% in den vergangenen fünf Jahren zurück und dürfte in den kommenden zehn Jahren unter Fortschreibung der bestehenden Dynamiken bei knapp 0,4% pro Jahr landen.

Erwerbsanreize setzen

"Deutschland droht eine Alterung nicht nur seiner Bevölkerung, sondern auch seiner industriellen Basis", warnen die Wirtschaftsweisen. Um das Wachstumspotenzial zu stärken empfehlen sie bessere Erwerbsanreize, Reformen der Zuwanderungspolitik sowie eine höhere Innovations- und Investitionstätigkeit. Dies sollte durch eine Stärkung und Integration der europäischen Kapitalmärkte unterstützt werden.

Die demografische Alterung erhöht aber auch den Finanzierungsbedarf der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) – dieser solle mit einem Bündel an Reformoptionen reduziert werden, heißt es weiter. Diskutiert werden zudem verschiedene Reformoptionen für das Steuer-Transfer-System, die die Armutsgefährdung reduzieren und Erwerbsanreize stärken können, ohne die öffentlichen Haushalte zusätzlich zu belasten. Zudem monieren die Wirtschaftsweisen, dass die deutsche Forschungsdateninfrastruktur im internationalen Vergleich rückständig sei. Sie solle durch eine Anpassung der Statistikgesetzgebung und ein neues Forschungsdatengesetz verbessert werden.

Außenwirtschaft erholt sich nur langsam

Die deutsche Wirtschaft wird nach Einschätzung des Sachverständigenrats Wirtschaft auch 2024 kaum vorankommen. Schwung versprechen sich die sogenannten Wirtschaftsweisen vom Privatkonsum, wenn die nachlassende Inflation in Kombination mit den hohen Lohnabschlüssen die Reallöhne wieder steigen lässt. Denn das außenwirtschaftliche Umfeld dürfte sich nur langsam verbessern und die straffe Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EUB) die Kreditvergabe weiter bremsen. Sollte die Notenbank zu früh ihren restriktiven geldpolitischen Kurs aufgeben, sei das Risiko eines erneuten Inflationsanstiegs nicht zu vernachlässigen, mahnen die Wirtschaftsweisen.

Prognose kräftig gekappt

Der Sachverständigenrat erwartet, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im laufenden Jahr um 0,4% schrumpft. Das sind 0,6 Prozentpunkte weniger als noch im Frühjahr (+0,2%) prognostiziert. Im Gleichschritt ging es auch mit der Voraussage für 2024 nach unten: Statt 1,3% wird nun ein Wachstum von 0,7% erwartet – die Schwäche des Außenhandels dürfte belasten, so die Erklärung.

Die Inflationsrate dürfte in diesem Jahr 6,1% betragen und 2024 auf 2,6% zurückgehen. Die Abwärtsrevision im Vergleich zur Frühjahrsprognose von 0,5 bzw. 0,4 Prozentpunkten erklären die Wirtschaftsweisen mit einer geringeren Kerninflation als erwartet. 2024 dürften steigende Lohnstückkosten und steigende private Konsumausgaben dazu führen, dass die Kerninflation mit 3,2% – nach 5,2% 2023 – über der Gesamtrate liegt.

Skeptisch auch für den Euro-Raum

Die Wirtschaft im Euro-Raum zeigt sich ebenfalls schwach, urteilen die Wirtschaftsweisen. Sie erwarten für 2023 und 2024 ein BIP-Wachstum von 0,6% bzw. 1,1%, während für die Inflation Jahresraten von 5,6% bzw. 2,9% zeigen dürfte. Stark verzögerte Kostenüberwälzungen und neuer Druck von der Lohnentwicklung dürften die Kerninflation im Euro-Raum noch bis ins Jahr 2025 hoch halten, hieß es weiter.

Globale Konjunktur ist "eher gedämpft"

Mit Blick auf die Weltkonjunktur konstatiert der Sachverständigenrat ebenfalls eine Bremswirkung der hohen Inflationsraten und der geldpolitischen Straffung. Die USA wiesen bis zuletzt "ein robustes Wachstum auf, getrieben von den privaten Konsumausgaben und zuletzt auch den Unternehmensinvestitionen". Das chinesische Wachstum enttäuschte trotz der Abkehr von der Null-Covid-Politik im vergangenen Winter. In den anderen fortgeschrittenen Volkswirtschaften und in den Schwellenländern zeige sich die Konjunktur "zwar heterogen, aber insgesamt ebenfalls gedämpft".

Die Wirtschaftsweisen prognostizieren für das globale BIP Wachstumsraten von 2,7% und 2,2% für dieses und das kommende Jahr. Während die Industrie wohl weiter schwächelt – wie die Stagnation des entsprechenden Einkaufsmanagerindex nahelegt –, dürften der Dienstleistungsbereich und die privaten Konsumausgaben nur moderat zulegen. Angesichts des rückläufigen Warenhandels der vergangenen Monate und der schwachen Binnenkonjunktur in China und im Euro-Raum erwarten die Wirtschaftsweisen ein Schrumpfen des Welthandels um 1,4% in diesem Jahr. 2024 soll der globalen Warenhandels wieder um 1,5% zulegen.

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