London

Al Desko statt Al Fresco

Für viele Büroangestellte in der City ist die Zeit des Al-Fresco-Mittagessens im eigenen Garten vorbei. Mit der Rückkehr in die Büros wird das Mahl am Schreibtisch – „al desko“ – wieder zur Regel.

Al Desko statt Al Fresco

Den Büroangestellten, die an Werktagen wieder die Straßen der City bevölkern, ist schmerzlich klar geworden, was der rasant zunehmende Preisauftrieb für sie bedeutet. Die „Meal Deals“ vieler Bäckerei-, Kaffeehaus- und Einzelhandelsketten – in der Regel ein Sandwich, ein Getränk und eine kleine Tüte Kartoffelchips – haben sich deutlich verteuert. Dem Marktforscher Kantar zufolge stiegen die Sandwich-Preise bereits in den drei Monaten zum 20. Februar im Vorjahresvergleich um ein Zehntel. Pret a Manger erhöhte den Preis für ihr Kaffee-Abo, das fünf kostenlose Heißgetränke täglich umfasst, von 20 auf 25 Pfund. Als wäre es nicht deprimierend genug, sein Mittagessen „al desko“ einzunehmen, am Schreibtisch also.

Die Zeiten, in denen man sich im Büro ausreichend Zeit für eine warme Mahlzeit nehmen konnte, sind für viele schon lange vorbei. Zwar steht Arbeitnehmern alle sechs Stunden eine 20-minütige Pause zu, und viele Firmen gewähren eine einstündige Mittagspause. Auch in Frankreich oder Italien haben sie nicht mehr Zeit. Doch wird sie in Großbritannien von immer weniger Mitarbeitern voll in Anspruch genommen, was Engagement für ihr Unternehmen demonstrieren soll. Von einer Kantine, wie es sie in der Nachkriegszeit noch vielerorts gab, können die meisten Angestellten heute nur noch träumen. Selbst beim Londoner Nahverkehrsbetreiber TfL, dem man nicht unterstellen kann, seinen Mitarbeitern gegenüber knauserig zu sein, wurde die letzte Kantine 1993 geschlossen. Das verschaffte kleinen Imbissen aller Art Auftrieb – vom Burger-Truck bis zum Italiener um die Ecke. Doch Mini-Supermärkte und Ketten wie Costa Coffee, Itsu, Pret a Manger oder Wasabi setzten sich immer mehr durch.

Anfang des Jahrtausends tauchten an Tankstellen und Autobahnraststätten die ersten „Meal Deals“ auf. Schon bald konnte es sich keine Einzelhandelskette mehr leisten, kein solches Angebot zu haben. Das Sandwich wurde zum neuen „Ploughman’s Lunch“. Ob man sie nun „Sarnies“ oder „Butties“ nennt, die Briten haben ein inniges Verhältnis zu den belegten Broten entwickelt. In den sozialen Medien gibt es eine rege Diskussion dazu, was empfehlenswert ist bzw. besser vermieden werden sollte. Alljährlich werden die Weihnachtskollektionen freudig erwartet. Bei den alljährlichen „Sammies“ zeichnet die Branche das beste neue Sandwich aus. Zuletzt ging der Preis für das beste heiße Produkt an die börsennotierte Bäckereikette Greggs für ein veganes Würstchen im Schlafrock. Marks & Spencer holte die Trophäe in der Kategorie kalte Sandwiches für die „Naughty & Spice Turkey Roll“. Während des Lockdowns veröffentlichte Subway ihr Rezept für das „Meatball Marinara“-Sandwich. Mittlerweile haben die Sandwich Artists (geschützte Berufsbezeichnung) der Fast-Food-Kette wieder alle Hände voll zu tun. Marks & Spencer zufolge bewegt sich die Sandwich-Nachfrage wieder auf dem vor der Pandemie erreichten Niveau.

Doch während der Ausgangsbeschränkungen haben viele Angehörige der Laptop-Klasse Gefallen an der Arbeit von zu Hause gefunden. Eine vom britischen Verband der Eisenbahnverkehrsunternehmen RDG beim Imperial College in Auftrag gegebene Studie ergab indes, dass Stadtzentren von fast zwei Dritteln der Firmen als Standort bevorzugt werden. Mitarbeiter werden also weiter zwischen Wohnort und Arbeitsstätte pendeln müssen, es ist nur die Frage, wie viele Tage die Woche. Vor der Pandemie gaben Pendler der Studie zufolge 30 Mrd. Pfund pro Jahr bei Firmen im ganzen Land aus. Der von den Verfassern prognostizierte Rückgang der Pendelei um gut ein Viertel würde für sie Umsatzausfälle von mehr als 7,5 Mrd. Pfund pro Jahr mit sich bringen.

Wie groß wären sie erst, wenn durch die hohe Inflation verunsicherte Angestellte auf den Coffee-to-Go verzichten und ihren Kaffee bzw. ihre Vesperbrote künftig selber machen? Sie könnten auch anfangen, ihre Blusen, Hemden und Anzüge selbst zu bügeln. Viele kleine Geschäfte, die den Angestellten der Square Mile solche Aufgaben vor der Pandemie abnahmen, haben Lockdowns und Work From Home nur knapp überlebt. Dämpft das neue Kostenbewusstsein der gut bezahlten City-Angestellten ihren Konsum, werden noch mehr von ihnen aufgeben.

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