Alles eine Nummer kleiner
Alles eine Nummer kleiner
In Zeiten hoher Inflation halten sich Deutschlands Verbraucher zurück: im Supermarkt ebenso wie in der Kneipe
Von Detlef Fechtner, Frankfurt
Mit Blick auf das diesjährige Weihnachtsgeschäft bleibt dem deutschen Einzelhandel nur noch die Hoffnung auf einen Endspurt, quasi auf ein Last-Minute-Powershopping. Denn bislang sei das Geschäft im Advent "schwach" verlaufen, ließ der Handelsverband HDE in dieser Woche wissen. Zwei Drittel der Händler seien mit den bisherigen Erlösen im Weihnachtsgeschäft unzufrieden. "Bei dem Großteil der Händlerinnen und Händler überwiegt kurz vor den Festtagen die Enttäuschung“, bedauert der Hauptgeschäftsführer des Verbands, Stefan Genth.
Nun gehört Jammern bekanntermaßen zum Handwerk – und auch zum Handel. Allerdings sind die Ergebnisse der diesjährigen Adventsumfrage tatsächlich stärker von Ernüchterung geprägt als in den zurückliegenden Jahren. Außerdem spiegelt sich auch in den Zahlen wider, dass das laufende Weihnachtsgeschäft keinen Anlass zur Euphorie gibt, weil sich die Konsumenten abwartend verhalten. Der Handelsverband prognostiziert für das – für die Jahresbilanz der Unternehmen so wichtige – Geschäft im November und Dezember in Deutschland einen Gesamtumsatz von 120 Mrd. Euro. Das entspricht zwar einem nominalen Zuwachs um 1,5%. "Berücksichtigt man den positiven Einfluss von inflationsbedingten Preissteigerungen auf den Umsatz, ergibt sich jedoch ein Minus von 5,5%", rechnen die Volkswirte der ING vor.
Reale Umsätze sinken
Nicht erst seit der Adventszeit, sondern bereits im gesamten Jahr 2023 ist zu beobachten gewesen, dass viele Verbraucher sich beim Einkauf zurückgehalten haben. Das spiegelt sich in den Einzelhandelsumsätzen wieder, die das Statistische Bundesamt (Destatis) veröffentlicht hat. In den ersten zehn Monaten lagen die um Saison- und Kalendereffekte bereinigten Erlöse in realer Rechnung unter den Vorjahreswerten – zu Jahresbeginn sogar sehr deutlich, im Herbst dann zumindest noch leicht. Dabei muss natürlich der Hinweis "in realer Rechnung" doppelt betont werden, denn in Zeiten hoher Teuerungsraten sieht das Bild nominal ganz anders aus.
Gebremste Kaufneigung
Eine gewisse Kaufzurückhaltung lässt sich ebenfalls in den Zahlenreihen des GfK-Konsumklimas ablesen. Auch wenn sich die Verbraucherstimmung zum Jahresende hin etwas aufhellt, wie den am Mittwoch veröffentlichten neuen Monatsdaten zu entnehmen ist, sind die Verbraucher nach wie vor zögerlich, ihre Portemonnaies zu zücken. "Trotz der deutlichen Zuwächse liegt das Niveau der Anschaffungsneigung derzeit noch unter dem Niveau der beiden Lockdowns während der Corona-Pandemie 2020/2021", schreiben die GfK-Ökonomen in ihrer aktuellen Auswertung. Auch diese Tatsache belege "die momentan stark ausgeprägte Verunsicherung der Verbraucher durch die multiplen Krisen".
Neben der Verunsicherung in Zeiten weltweiter geopolitischer Spannungen und klimapolitischer Herkulesaufgaben spielen dabei der jähe Anstieg der Lebenshaltungskosten im vergangenen Jahr und der nur schrittweise Rückgang der Inflationsrate in diesem Jahr die wesentliche Rolle. Viele Verbraucher haben, erschrocken von in die Höhe geschossenen Preisen, zunächst einmal auf die Bremse getreten. So zeigt sich beispielsweise in der Gastronomie das Auseinanderklaffen von realer und nominaler Umsatzentwicklung. Für die ersten zehn Monate dieses Jahres berichtet Destatis zwar über ein nominales Plus von 6,9% in Gaststätten und Restaurants. Real steht allerdings ein Minus von 1,5% zu Buche.
Bierabsatz fällt erneut
Angesichts der Trends in Gastronomie und Einzelhandel kann es nicht überraschen, dass auch die Bierbrauer von der Konsumflaute betroffen sind. Ihr Absatz lag in der ersten Hälfte dieses Jahres fast 3% niedriger als zwölf Monate zuvor – und diese Tendenz hat sich nach Angaben aus der Branche auch im weiteren Jahresverlauf fortgesetzt. Langfristig betrachtet büßt Bier weiter an Stellenwert ein. Wurden in den neunziger Jahren noch mehr als jährlich 130 Liter pro Kopf getrunken, so waren es im vergangenen Jahr nur noch 92 Liter.
Einen ähnlichen Trend meldet das Informationszentrum Fisch für den Fischverzehr von Otto Normalverbraucher. Die Bundesbürger haben sich im bisherigen Jahresverlauf insofern zurückgehalten, als sie nur noch knapp 11 Kilogramm Fisch eingekauft haben und nicht mehr gut 12 Kilo wie im entsprechenden Vorjahreszeitraum. Gleichzeitig haben die Verbraucher aber insgesamt gut 4% mehr für Hering, Thunfisch & Co. ausgegeben. Dabei hat übrigens der weißfleischige Alaskalachs seinen Vorsprung in der Beliebtheitsskala gegenüber dem rotfleischigen Lachs ausgebaut.
Weniger Fleischverzehr
Beim Fleischkonsum dürfte sich der Abwärtstrend der vergangenen Jahre fortgesetzt haben. Denn vor wenigen Wochen berichtete die Agrarmarkt-Informationsgesellschaft (AMI) , dass sie von einer auch im nächsten Jahr rückläufigen Erzeugung von Rindfleisch, flankiert von einer stabilen Schweinefleischproduktion, ausgehe. Der langfristige Trend beim menschlichen Fleischverzehr ist klar abwärts gerichtet, von 61 Kilogramm Schwein, Rind und Geflügel pro Jahr vor fünf Jahren auf 52 Kilo im vergangenen Jahr. Das wiederum hat weniger mit Preisentwicklungen zu tun als mit Ernährungsentscheidungen der Konsumenten. Denn zugleich ist die Zahl derer, die sich als Vegetarier oder Veganer einstufen, in den zurückliegenden fünf Jahren von 6,3 Millionen Bundesbürgern auf mehr als 8 Millionen geklettert. Die Zahl der Flexitarier, also der Verbraucher, die regelmäßig, aber eben nicht generell auf Fleisch verzichten, liegt mittlerweile bei 41% der erwachsenen Deutschen.
Bemerkenswert ist die Entwicklung in der Touristik. Die Anbieter von Pauschalreisen können im Grunde nicht maulen, denn für die bevorstehende Wintersaison zeichnet sich auf Grundlage bereits getätigter Buchungen ein Umsatzvolumen ab, das wieder über dem Niveau vor Ausbruch der Pandemie liegt. Andererseits legen die Auswertungen von Travel Data and Analytics (TDA) nahe, dass die Reisepreise zweistellig gestiegen sind, was im Umkehrschluss bedeutet, dass viele Deutsche diesen Winter von der Buchung eines Pauschalurlaubs Abstand genommen haben. "Auch wenn das bislang eingebuchte Umsatzvolumen deutlich über dem vergangenen Winter und über dem Rekordergebnis vom Winter 2018/19 liegt, haben bislang rund 20% weniger Urlauber eine mit Veranstaltern organisierte Reise gebucht als im Winter vor der Pandemie", vermerkt der Deutsche Reiseverband.
Zuversicht für 2024
Was den Konsum insgesamt angeht, so herrscht beim Blick nach vorn unter Ökonomen ein vorsichtiger Optimismus vor, dass der Konsum 2024 wieder anzieht. Insgesamt, so schreibt etwa das Bundeswirtschaftsministerium im jüngsten Monatsbericht, sprächen die Frühindikatoren am aktuellen Rand zwar für eine weiter verhaltene Entwicklung der privaten Konsumausgaben. "Bei steigenden Löhnen und rückläufigen Inflationsraten dürfte aber mit einer Stabilisierung des privaten Verbrauchs in den kommenden Monaten zu rechnen sein."