Pipeline-Projekt

Deutsch-iberische Front gegen Macron

Eine Pipeline durch die Pyrenäen soll Europas Energieversorgung sichern. Die Regierungen Deutschlands, Spaniens und Portugals wollen sie. Doch Frankreich stellt sich quer.

Deutsch-iberische Front gegen Macron

Der internationale Terminkalender ist in diesem Krisenherbst so vollgepackt mit Gipfeln und bilateralen Treffen wie selten. Freitag und Samstag kommen in Berlin die Spitzen der Europäischen Sozialdemokraten (SPE) zusammen. Bundeskanzler Olaf Scholz und seine Kollegen aus Spanien und Portugal, Pedro Sánchez und António Costa, haben sich zu einem Dreiergespräch am Rande des Gipfels verabredet, um den Europäischen Rat kommende Woche in Brüssel vorzubereiten. Dabei geht es selbstverständlich um den Krieg in der Ukraine und Fragen der Energieversorgung.

Im Mittelpunkt steht der Bau einer neuen Erdgasverbindung von Spanien über die Pyrenäen nach Frankreich, das sogenannte Midcat-Projekt. Sánchez und Costa machen sich seit geraumer Zeit dafür stark und haben Scholz auf ihre Seite gezogen, um den Widerstand von Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron zu brechen. Der Plan für diese Pipeline, die eine Kapazität von 7000 Kubikmeter Erdgas pro Jahr hätte, würde das Volumen der zwei bestehenden Leitungen fast verdoppeln.

Doch 2019 wurde der Ausbau abgebrochen, da die spanischen und französischen Regulierer wie auch die EU-Kommission Zweifel an der Wirtschaftlichkeit von Midcat äußerten. Damals war es deutlich günstiger, Erdgas aus Russland zu beziehen. Durch den Überfall Russlands auf die Ukraine und den Lieferstopp nach Mitteleuropa steht Midcat nun in einem ganz anderen Licht.

„Ich glaube, wir brauchen in Europa mehr Verbindungen“, sagte Scholz kürzlich auf den spanisch-deutschen Regierungskoalitionen in der galicischen Hafenstadt A Coruña. „Manche Verbindungen sind vielleicht nicht jeden Tag wirtschaftlich, aber sie können es jeden Tag werden.“ Sánchez unterstrich bei der Gelegenheit einmal mehr die Kapazitäten der Iberischen Halbinsel als alternativer Gaslieferant für Europa. Spanien verfügt über sechs funktionierende Aufbereitungsterminals für Flüssiggas, das aus verschiedenen Ländern importiert wird, und Portugal über eine weitere. Das ist ein Drittel der Flüssiggaskapazitäten Europas. Außerdem bezieht Spanien seit Jahren Erdgas aus Algerien durch eine Pipeline im Mittelmeer.

Die beiden sozialdemokratischen Regierungschefs bestanden darauf, dass Midcat in Zukunft grünen Wasserstoff transportieren soll und somit zur Energiewende und den Klimazielen beitragen wird. In Madrid sieht man sich dank des sonnigen Klimas und der weiten Flächen für Windparks bestens positioniert für die Rolle als Ökostromproduzent. 2021 machten erneuerbare Energien 47% der Stromproduktion des Landes aus. „2030 wollen wir eine Wasserstoffmacht sein und 10% des gesamten Verbrauchs in der Europäischen Union bereitstellen“, verkündete Sánchez in A Coruña. Gemeinsam mit Scholz und Costa haben die drei Sozialdemokraten zuletzt den Druck auf Frankreich und die EU-Kommission erhöht. Brüssel hat sich bislang aus dem Streit herausgehalten.

Auf dem informellen Treffen der EU-Chefs in Prag wiederholte Macron seine Vorbehalte gegen Midcat. Immerhin verabredete er ein Treffen mit Sánchez und Costa in den nächsten Tagen. In Madrid und Lissabon besteht man jedoch darauf, dass es sich bei dem Ausbau der Energieinfrastruktur um ein europäisches Projekt handelt und nicht um eine bilaterale oder trilaterale Angelegenheit. Nach dem Willen der Spanier sollte die EU die Finanzierung für die Pipeline übernehmen.

Die Kosten sind eines der Argumente, die Macron gegen das Projekt anführt. Für den Bau der fehlenden 226 Kilometer Leitungen von Hostalric in Katalonien nach Barbaira in Südfrankreich werden 470 Mill. Euro veranschlagt. Die Franzosen behaupten, dass der Ausbau durch die Pyrenäen Jahre dauern würde und daher für die aktuelle, von Russlands Krieg gegen die Ukraine verursachte Energiekrise zu spät am Netz wäre. Die Spanier versichern dagegen, dass die Pipeline schon vor dem Winter nächsten Jahres in Betrieb gehen könne, wenn die Versorgungssituation aller Voraussicht nach weiterhin angespannt sein dürfte.

Von diesen eher technischen Fragen abgesehen, warnt Macron vor den Folgen für die Umweltpolitik: „Wir brauchen keine neuen Gasverbindungen.“ Umweltschutzgruppen stimmen ihm da zu. Zum einen hätte der Bau der Leitung Auswirkungen auf die Naturgebiete, die sie durchqueren muss. Zum anderen meinen Aktivisten, dass der Bau neuer Infrastruktur für fossile Energien ein falsches Zeichen im Kampf gegen die Erderwärmung setze. Deswegen pochen Scholz, Sánchez und Costa darauf, dass die Leitung bald grünen Wasserstoff transportieren werde.

Macron kontert auch dieses Argument. Spanier und Portugiesen sollten mit dem grünen Wasserstoff doch lieber Strom produzieren und diesen dann nach Frankreich liefern. Aber die Stromnetze zwischen den Nachbarländern sind derzeit noch unzureichender als die Gasleitungen. Sánchez erinnert bei jeder Gelegenheit daran, dass er, Macron und Costa sich auf einem Gipfel in Lissabon im Juli 2018 zum Ausbau der Verbindungen zwischen Frankreich und der Iberischen Halbinsel verpflichtet hatten. „2020 sollten wir bereits Interkonnektoren haben, die 10% darstellen, und 2030 15%. Wir sind noch nicht bei 10% angekommen, wir sind auch noch nicht bei 8% angekommen und auch noch nicht bei 7% – wir sind noch darunter, und zwar unter 5% – eher bei 3 als bei 4% sogar“, klagte Sánchez in A Coruña.

Alternative nach Italien

In Berlin, Madrid und Lissabon vermutet man hinter Macrons Sorge um die Umwelt und den technischen Einwänden gegen Midcat einfach nationale Interessen. Frankreich wolle seine mächtige Atomindustrie vor unerwünschter Konkurrenz aus dem Süden schützen und weiter Strom an die europäischen Nachbarn exportieren. Noch haben die Iberer die Flinte nicht ins Korn geworfen. Doch arbeitet man schon ernsthaft an einem alternativen Projekt, einer Pipeline durchs Mittelmeer ins italienische Livorno. Italien hatte wie Deutschland eine extrem hohe Abhängigkeit von Erdgas aus Russland. Daher operiert seit Wochen eine Art Flüssiggasbrücke per Schiff von Barcelona in verschiedene italienische Häfen. Der Hafen der katalanischen Hauptstadt ist für große Tankschiffe aus Übersee geeignet, von denen das Flüssiggas (LNG) auf kleinere Schiffe verlagert und nach Italien gebracht wird. Italien bezieht, wie Spanien, Erdgas aus Algerien durch eine Unterwasserpipeline.

Auch in Deutschland werden nach dem bösen Erwachen nach dem Ende der Nordstream-Leitungen eilig LNG-Terminals gebaut. Scholz blickt daher über die aktuellen Versorgungsengpässe in die Zukunft. Die neuen Wiederaufbereitungsanlagen an Nord- und Ostsee „werden nicht nur dazu dienen, dass Deutschland Gas für sich selbst importiert, sondern sie werden uns auch in die Lage versetzen, über das deutsche Pipelinenetz viele unserer Nachbarn mitzuversorgen, zum Beispiel die Tschechische Republik, die Slowakei, Österreich und noch viele mehr, die weiter entfernt davon liegen, aber diesen Transportweg benötigen und anders als wir gar keine Küsten haben“, sagte er auf dem Gipfel mit Sánchez. Die Neuausrichtung der Energienetzwerke in Europa ist durch den Krieg unaufhaltsam. Midcat soll nach dem Willen der drei Sozialdemokraten dabei ein wichtiger Baustein sein.

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