LeitartikelStandort-Wettbewerb

Deutschland züchtet mehr Happen als Haie

Europa ist längst kein Wachstumsmarkt mehr. Konsolidierung ist daher das Motto der Stunde. Dabei fällt auf, dass andere konsolidieren – wie Stellantis oder Unicredit –, während deutsche Firmen konsolidiert werden. Das hat auch politische Gründe.

Deutschland züchtet mehr Happen als Haie

Standortpolitik

Mehr Happen als Haie

Von Sebastian Schmid

Europa ist längst kein Wachstumsmarkt mehr. In diesem Umfeld fällt die fehlende industriepolitische Strategie Deutschlands besonders auf.

Der Versuch von Unicredit, die Commerzbank zu schlucken, ist in diesen Tagen nicht nur in Frankfurter Bürotürmen ein Aufreger. Auch in Berlin wird heftig gestritten, wie Deutschlands zweitgrößte Privatbank mit dem Rückzug des Staates so leicht in die Fänge der Unicredit geraten konnte. Denn was der Deal für den Finanzstandort heißen würde, hat schließlich der Kauf der HVB deutlich gemacht. Es wurden Milliarden über die Alpen nach Süden transferiert. Zuletzt hatte sich die italienische Mutter 2017 eine gut 3 Mrd. Euro schwere Sonderdividende von der bayrischen Tochter gegönnt. Zudem sind natürlich Kompetenzen und Zuständigkeiten nach Bella Italia abgezogen. Man muss kein Prophet sein, um bei einer Commerzbank-Vereinnahmung ganz ähnliche Entwicklungen zu prognostizieren.

Konsolidieren können sie im Club Méditerranée eben besser als hierzulande. Auch weil es eine politische Unterstützung für die Schaffung internationaler Champions gibt. Was die Unicredit im europäischen Bankensektor anstrebt, ist Stellantis im Automobilsektor bereits geglückt. Auch hier ist das kompromisslose Auftreten der Konzernführung vielen Stakeholdern ein Dorn im Auge. Handelspartner werden zu aufwendigen Umbauten genötigt, um der neuen Corporate Identity gerecht zu werden. Wer nicht mitmacht, ist raus. Submarken wie Opel werden sukzessive Kompetenzen entzogen. Doch der Konfrontationskurs bringt wirtschaftlichen Erfolg. Stellantis kommt auf eine operative Marge von 13%, VW auf 7%. Und bei Unicredit fällt die Eigenkapitalrendite mit knapp 20% mehr als doppelt so hoch aus wie bei Commerzbank oder Deutscher Bank.

Berlin mag Italien und Frankreich wegen ihrer Verschuldung belächeln. Industriepolitisch gibt es aber keinen Grund, sich überlegen zu fühlen. Im Gegenteil: Die Planlosigkeit, mit der hier agiert wird, ist Ursache vieler Standortprobleme. Ein aktuelles Beispiel ist die Chipindustrie. Die Regierung war bereit, ganze 10 Mrd. Euro auf den Tisch zu legen, um Intel nach Magdeburg zu locken und die Abhängigkeit von der taiwanesischen Halbleiterproduktion zu reduzieren. Nun, da Intel aufgrund massiver eigener Probleme den Baubeginn weit nach hinten geschoben hat, entbrennt ein Streit darüber, ob das Geld nicht besser zum Stopfen von Haushaltslöchern genutzt werden sollte. Als ob dies das drängendste Problem für ein Land ist, das beim Wachstum hinterherhinkt, aber bei der Verschuldung besser dasteht als andere Industrienationen. Besteht die Abhängigkeit im Halbleitersektor etwa nicht mehr? Bräuchte es nicht neue Anstrengungen, nachdem der Intel-Plan gescheitert ist?

Zudem ist weder der aktuellen noch war der vergangenen Bundesregierung die Bedeutung der Finanzindustrie bewusst. So hat man in der Finanzkrise erst die Commerzbank genötigt, die Dresdner zu schlucken, und dann gerade mal mit genug Kapital zum Überleben ausgestattet. Aus Angst, dass zu große Banken ein systemisches Risiko darstellen, wurde hier im Gegensatz zu anderen Ländern gekleckert statt geklotzt. Doch in den eineinhalb Jahrzehnten seit der Finanzkrise ist viel passiert. Größe als Wettbewerbsvorteil ist längst wieder en vogue. Andere Länder haben Haie gezüchtet, denen unsere kleineren Fische allenfalls als Happen dienen. Die Bundesregierung scheint das erst in den vergangenen Tagen realisiert zu haben, als Unicredit auf den Plan trat. Dass die mit Abstand größte Volkswirtschaft im Euroraum bei der Bankenkonsolidierung bestenfalls Zuschauer ist, liegt auch daran.

Darüber hinaus sorgt eine stetig wachsende Bürokratie dafür, dass sich Firmen immer mehr mit sich selbst befassen. Das nimmt Aufmerksamkeit von Wettbewerb, Transformations- und Expansionschancen. Letztere nehmen dann Private Equity oder internationale Strategen wahr. Solange das in Berlin nicht erkannt wird, dürfte der Ausverkauf weitergehen. Unabhängig davon, ob Unicredit bei der Commerzbank Erfolg hat, braucht es endlich eine Strategie für den Finanzsektor. Die Prämisse sollte allen klar sein: Ein international kompetitiver Finanzsektor ist eine Grundvoraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg und kein „nice to have“.