Autoindustrie

Für Mercedes-Benz gilt Marge vor Größe

Der Vorstand des Stuttgarter Konzerns konzentriert sich stärker auf Luxusfahrzeuge. Das finden nicht alle gut: Kritik kommt von der Politik und Experten, auch in der Belegschaft gibt es Bedenken.

Für Mercedes-Benz gilt Marge vor Größe

Der Ort der Präsentation war mit Bedacht gewählt. Als Mercedes-Benz im Mai Investoren Details der Luxusstrategie vorstellte, lud das Unternehmen an die Côte d’Azur ein. Die Region an der französischen Mittelmeerküste – Wahlheimat von Millionären und Stars – steht für Reichtum, Mondänität und ein unbeschwertes Leben mit Genuss. Dieses Gefühl, kombiniert mit Innovations- und Motorenkraft der wertvollsten deutschen Marke, versucht Mercedes-Benz den Kunden zu vermitteln.

Der Vorstandsvorsitzende Ola Källenius nimmt an erster Stelle die Spitze des Marktes in den Blick. Mit 300000 verkauften Autos im Jahr ist Mercedes-Benz führend in der obersten Luxusklasse mit Modellen von Maybach, AMG und der S-Klasse. Deren Anteil am Konzernabsatz will das Unternehmen in den nächsten Jahren kräftig steigern. Dagegen wird die Bedeutung des Einstiegssegments sinken: Die Zahl von heute sieben Modellen wird auf vier reduziert, das Absatzvolumen dieser Kategorie soll aber konstant bleiben. Mit einem Auslaufen der A- und B-Klasse wird in der Branche schon seit längerem gerechnet. Källenius belässt es bisher bei Andeutungen. Es wird aber auf jeden Fall teurer, sich einen Mercedes zu leisten. Denn der Vorstand verspricht für die Modelle der unteren Kategorie mehr Innovationen, zum Beispiel das neue Betriebssystem MB.OS, das 2024 erstmals in Autos dieses Segments auf den Markt kommen soll.

Es erstaunt wenig, dass Källenius mit seiner Strategie aneckt. Autos sind in Deutschland nun mal ein besonders emotionales Thema. Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann von den Grünen warnt vor Akzeptanzproblemen, wenn das Unternehmen nur noch Autos für Reiche und Superreiche baue. Profitieren könnten davon asiatische Hersteller mit ihren günstigeren Fahrzeugen, die aber inzwischen einen ähnlichen Standard böten. Ingenieure von Mercedes-Benz schütteln da vermutlich nur milde lächelnd den Kopf.

Allerdings haben auch Mitarbeiter des Unternehmens und die Vertreter ihrer Interessen Bedenken wegen der Luxusstrategie. Manche befürchten, wenn es weniger Modelle in der Einstiegsklasse gibt, könnten die Werke nicht mehr ausgelastet sein. Das Gegenargument von Källenius: Da das Absatzvolumen dieses Segments nicht reduziert werde, ändere sich an der Auslastung nichts. Der Wandel zur Elektromobilität bringt jedenfalls bisher für die Beschäftigten in den Fabriken mehr Veränderungen mit sich als die Luxusstrategie.

Dazu gibt es eine Diskussion über Skaleneffekte. Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer ist der Ansicht, Größenvorteile würden für die Autoindustrie noch viel wichtiger als bisher: wegen der Batterie als größtem Kostenblock in den E-Fahrzeugen und noch mehr wegen der zunehmenden Bedeutung von Software. Mit der Festlegung auf Superluxus bringe sich Mercedes-Benz um Skalierungsvorteile, so Dudenhöffers Argument. Källenius macht den Eindruck, dass ihn diese Kritik nervt. Man müsse schon genau zuhören, sagte er vor kurzem. Sein Gegenargument: Mercedes-Benz will in den nächsten Jahren den Absatz um jeweils 5 bis 10 % steigern. Damit nähmen auch die Skaleneffekte zu.

Letztlich ist es ein Abwägen: Mit mehr und günstigeren Einstiegsmodellen hätte das Unternehmen die Chance, den Absatz noch kräftiger als jetzt angepeilt zu steigern und so zusätzliche Größenvorteile zu erzielen. Jedoch zeigt die seit einigen Quartalen erheblich höhere Profitabilität, dass sich die stärkere Konzentration auf das oberste Segment auszahlt – zumindest bisher, wenn auch vom Halbleitermangel zum Teil erzwungen. Die Strategie von Källenius geht auf, solange dieser Margenvorteil den Skalierungsnachteil mindestens ausgleicht.

Voraussetzung ist, dass der Wohlstand in der Welt weiter zunimmt und sich in Asien, Europa und den USA immer mehr Menschen Luxusautos leisten können. Allein die Stichworte Russland/Ukraine und China/Taiwan machen jedoch klar, dass die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung und des Welthandels im Zuge der Globalisierung nun an harte Grenzen stoßen. Die geopolitische Realität verbreitert den Graben zwischen Demokratie und Freiheit einerseits sowie Autokratie und Unterdrückung andererseits. Das hat Folgen für die Weltökonomie und den globalen Wohlstand. Vor allem aber erzielt Mercedes-Benz etwas mehr als ein Drittel des Pkw-Absatzes in China. In dieser Abhängigkeit lauert die größte Gefahr für die Luxusstrategie und das Unternehmen überhaupt. Das trifft auch auf seine deutschen Konkurrenten zu.

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