Gefährlicher Leichtsinn
Der Jahresauftakt an der Wall Street zeigt einmal mehr, dass die fortschreitende Demokratisierung der Geldanlage gefährliche Nebeneffekte hat. Denn kaum liegt das harte Börsenjahr 2022 im Rückspiegel, treibt die „Fear of missing out“ – die Furcht, Kursgewinne zu verpassen – zahlreiche Privatanleger in riskante Wetten. Dies ist insbesondere an der Kursentwicklung von „Meme Stocks“ wie Bed Bath & Beyond, Gamestop oder AMC Entertainment abzulesen, die Erinnerungen an den Beginn des Jahres 2021 weckt. Damals verbündeten sich Retail-Investoren in Internetforen zu konzertierten Käufen von Aktien mit hohem Short Interest. Dies brachte Hedgefonds, die umfangreiche Leerverkäufe dieser Titel getätigt hatten, milliardenschwere Verluste ein. Im Zuge der anschließenden Volatilitätsanstiege mussten aber vor allem die Privatanleger, die über Neobroker auf den fahrenden „Meme Stock“-Zug aufgesprungen waren, bluten.
Seither ist die Geldpolitik insbesondere in den USA deutlich restriktiver, die Liquidität an den Finanzmärkten deutlich knapper geworden – und dennoch standen „Meme Stocks“ in den ersten Jahresmonaten 2023 wieder im Mittelpunkt des Retail-Interesses. An einem durchschnittlichen Tag in den ersten beiden Jahresmonaten wurden beispielsweise 500000 Optionen gehandelt, die ein Recht zum Kauf der Aktie von Bed Bath & Beyond beinhalteten. Die Beteiligung von Privatanlegern, auch an Call-Wetten auf andere Einzelwerte, erreichte dabei laut einem Indikator von J.P. Morgan das höchste Niveau seit der zwischenzeitlichen Erholungsphase der US-Börsen im August 2022.
Das Ausmaß des Leichtsinns zeigt sich daran, dass sich Anleger bei Bed Bath & Beyond für kurzfristige Kursanstiege auf über 45 Dollar positionierten, als die Aktie bei Niveaus von um die 2 Dollar notierte. Dabei besteht bei dem Haushaltswarenhändler latente Insolvenzgefahr, im Februar konnte das Unternehmen die drohende Zahlungsunfähigkeit nur durch eine Kapitalerhöhung im Gesamtvolumen von mehr als 1 Mrd. Dollar abwenden – vorerst. Wie auch immer die Notlage bei Bed Bath & Beyond endet, die Privatanleger, die sich zu Wetten auf den Titel haben bewegen lassen, dürften am Ende wieder die Dummen sein. Entweder der Einzelhändler muss den Gang in die Insolvenz antreten – in diesem Fall stehen die Aktionäre hinter den Gläubigern des hoch verschuldeten Unternehmens zurück. Oder die Rettung gelingt – dann sind die Anteilscheine von Bed Bath & Beyond durch die starke Verwässerung aber wohl ebenfalls wertlos. Im Rahmen der Kapitalerhöhung warf das Unternehmen Wertpapiere im Volumen von 225 Mill. Dollar direkt an den Markt, weitere 800 Mill. Dollar sollen gestaffelt platziert werden. Erreicht der Deal seinen vollen Umfang, könnte die Zahl der ausstehenden Aktien von Bed Bath & Beyond auf 900 Millionen steigen, zu Jahresbeginn lag sie noch bei ungefähr 100 Millionen.
Doch selbst wenn sich der Kurs erholt: Profitieren dürften davon nicht Privatanleger, die direkt über Stammaktien oder indirekt über weithin verfügbare Call-Optionen in Bed Bath & Beyond investieren, sondern der Hedgefonds Hudson Bay Capital. Denn dieser hat sich mittels wandelbarer Vorzugsaktien und Optionsscheine die Möglichkeit gesichert, Anteile an dem Haushaltswarenhändler zu Discounts gegenüber dem Marktpreis zu erwerben.
Das Beispiel verdeutlicht ein zentrales Problem: Während die Zugänglichkeit der Finanzmärkte für Retail-Investoren durch das Aufkommen von Neobrokern wie Robinhood und die Verbreiterung des Angebots großer Handelsdienstleister wie Citadel Securities gestiegen ist, herrscht immer noch ein gewaltiges Informations- und Opportunitätsgefälle zwischen Institutionellen und Privatanlegern. Einerseits ist es richtig, dass Retail-Investoren, die sich noch zu Investitionen in Bed Bath & Beyond bewegen lassen, auch durch eindringliche Warnungen von Finanzdienstleistern und Regulatoren nur schwer zu helfen ist. Andererseits ist es aber an Produktanbietern und Behörden wie der US-Börsenaufsicht SEC, sicherzustellen, dass Privatanleger in volatilen Marktphasen wenigstens handlungsfähig bleiben.
Nach der Rally der „Meme Stocks“ Anfang 2021 türmten sich die Verluste der Kleinanleger umso höher auf, weil sowohl Broker als auch Handelsdienstleister massive Schwierigkeiten hatten, der Fülle an Verkaufsorders überhaupt noch nachzukommen. An den grundlegenden technischen Gegebenheiten hat sich seither wenig geändert, das Marktumfeld ist infolge des Straffungskurses der Fed aber potenziell schwankungsanfälliger geworden. Damit drohen die Privatanleger ihren Leichtsinn in den kommenden Monaten noch teurer zu bezahlen als 2021.