Notiert inBerlin

Hochgebirgstour im Bürokratiemassiv

Bürokratie und Regulierung hemmen Investitionen. Wirtschaft, Wissenschaft und jetzt auch der Bundesrat fordern eine Umkehr.

Hochgebirgstour im Bürokratiemassiv

Notiert in Berlin

Hochgebirgstour im Bürokratiemassiv

Von Angela Wefers

Man könnte meinen, über den Abbau von Bürokratie wird so viel gesprochen, dass längst etwas hätte geschehen können. Doch der Abbau von Regulierung scheint wie eine Hochgebirgstour im Bürokratiemassiv – der Berg ist kaum zu bezwingen. Dabei ist das Problem überbordender Regulierung längst erkannt. Ganz frisch in diesen Tagen forderte die Wirtschaftsweise Veronika Grimm mit ihren Vorgängern im Sachverständigenrat, Lars Feld und Volker Wieland, in ihrem Gutachten „für eine echte Wirtschaftswende“ den Abbau übermäßiger Regulierung und von Bürokratieaufwand. Als kostenträchtigste Bereiche werden das Steuerrecht, Dokumentationspflichten beim Mindestlohn, Vorgaben im Umwelt- und Artenschutz, im Baurecht oder im Datenschutz angeführt. Mehr ließe sich ergänzen, etwa im Finanzsektor. Als Abhilfe empfehlen die Wissenschaftler KI-gestützte Verwaltungslösungen.

Das Forschungsinstitut IW Köln fordert in seinem jüngsten Themenheft zur Bundestagswahl strukturelle Reformen für schlanke bürokratische Prozesse sowie beschleunigte Planungs- und Genehmigungsverfahren. Auch das IW mahnt, Digitalisierung stärker zu nutzen. In Brüssel ist der Anti-Bürokratie-Ruf nicht verhallt. Viele der national anzuwendenden Vorgaben stammen aus dem Recht der europäischen Gemeinschaft. Den Abbau eines Viertels der Bürokratie-Vorschriften hat sich die EU-Kommission zur Aufgabe gemacht. Noch im Februar will sie dafür einen konkreten Plan vorlegen.

Blockierte Investitionen

Einer Studie der Europäischen Investitionsbank zufolge hemmt die starke Regulierung für 83% der Unternehmen hierzulande Investitionen. Aber nur 66% der Firmen in der EU empfinden dies so. In Frankreich sind es mit 75% mehr als in der EU, aber spürbar weniger als in Deutschland. Dies spricht für eine deutsche Sondersituation. Nicht von ungefähr stand der Bürokratieabbau auf der Forderungsliste der Verbände beim „Wirtschaftswarntag“ Ende Januar ganz oben. Die Wirtschaft hatte „SOS“ in Richtung Regierung gefunkt. Veronika Grimm zufolge hat die deutsche Sonderlage zwei Gründe: Die Deutschen vergolden EU-Recht mit zusätzlichen nationalen Regeln – das sogenannte Goldplating. Zudem werde es im europäischen Vergleich hierzulande mit der Durchsetzung der Regeln sehr genau genommen. Andere Länder, andere Sitten.

Ein herausfordernder Gipfel erklimmt sich leichter in der Seilschaft. Unterstützung kommt jetzt von den Ländern. Der Bundesrat billigte am Freitag auf Initiative von Hessen eine Entschließung, in der er von der Bundesregierung fordert, auf „Goldplating“ zu verzichten. Der EU-Binnenmarkt sei ein einzigartiges Erfolgsmodell, von dem die deutsche Wirtschaft besonders profitiere, schreiben die Länder. Werde aber aus politischen Gründen national mehr geregelt, als die EU vorgebe, sei die Wirksamkeit dieses Instruments gefährdet. Der Aufruf kommt zur rechten Zeit, um nach der Bundestagswahl in Koalitionsverhandlungen einzufließen.

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