Kryptomarkt

Illusion und Delusion

Nach dem Kollaps der Kryptobörse FTX steht die Zukunft des gesamten Markts für digitale Anlagen auf dem Spiel. Der Traum von einer breiteren institutionellen Adoption dürfte vorerst geplatzt sein.

Illusion und Delusion

Nach dem Kollaps der Kryptobörse FTX steht die Zukunft des gesamten Markts für digitale Anlagen auf dem Spiel. Denn die Handelsplattform galt vor ihrer Insolvenz als eine der wenigen stabilen Bastionen in einem Segment, das sich durch extreme Volatilität und eine hohe Anzahl unseriöser Teilnehmer auszeichnet. FTX und Gründer Sam Bankman-Fried rühmten sich nicht nur eines starken Risikomanagements, sondern griffen auch in Not geratenen Digital-Assets-Dienstleistern unter die Arme. Doch die Solidität von FTX, so stellt sich heraus, war nur eine Illusion. Berichte über Solvenzprobleme bei der Schwesterfirma Alameda Research und eine Verkaufsankündigung durch den Chef der Konkurrentin Binance reichten aus, um den nativen Token von FTX einbrechen zu lassen und die Kryptobörse in die Liquiditätskrise zu stürzen. Damit stellt sich die Frage, warum die Zukunftsaussichten anderer Handelsplattformen für Cyberdevisen positiver ausfallen sollten.

Binance, deren CEO Changpeng Zhao am Montag einen „Erholungsfonds“ für die Branche ankündigte und damit offenbar den Status von Bankman-Fried als wichtigster Hoffnungsträger im Digital-Assets-Segment übernehmen will, steht selbst vor nicht zu unterschätzenden Risiken. So soll die Plattform seit 2018 trotz bestehender US-Sanktionen iranische Transaktionen im Volumen von 8 Mrd. Dollar abgewickelt haben. Binance räumt ein, mit Handelsplattformen aus der islamischen Republik interagiert zu haben – sobald der Börse dies aufgefallen sei, habe sie betroffene Transfers eingefroren und Accounts gesperrt. Letztlich renne das Management aber der Geschwindigkeit und Anonymität der Blockchain hinterher, wirbt der als „Global Head of Sanctions“ von Binance firmierende Chagri Poyraz um Verständnis. Die Branche müsse eben besser zusammenarbeiten, um technologische Lösungen für die Vermeidung von Transaktionsverstößen zu entwickeln.

Für Regulatoren dürfte dies kaum eine befriedigende Antwort auf die Probleme darstellen – zumal Binance im gleichen Atemzug betont, kein US-Unternehmen und damit auch nicht amerikanischem Recht unterworfen zu sein. Tatsächlich hat Binance nach eigenen Angaben überhaupt keinen Firmenhauptsitz und akzeptiert keine Kunden aus den USA. Stattdessen verweist die Börse auf die separate Plattform Binance.US – hinter der letztlich doch der umtriebige Zhao steht. Es kursiert der Vorwurf, dass Binance sich durch diese Struktur gegen direkte US-Sanktionen schützen wolle. Sekundärsanktionen, die Binance vom amerikanischen Finanzmarkt abschneiden, sind aber durchaus möglich. Auch dürften die Iran-Vorwürfe es der Kryptobörse erschweren, Lizenzen in anderen wichtigen Märkten zu erlangen. Eine solche Entwicklung ist weder gut für das Image noch für das Anlegersentiment – und wie schnell Vertrauensverluste eine Kryptobörse in Bedrängnis bringen können, hat der Fall FTX zur Genüge gezeigt.

Das Debakel um Bankman-Fried und seine Plattform dürfte jedenfalls zu einem härteren Vorgehen von Aufsichtsbehörden weltweit gegen halbseidene Digital-Assets-Projekte führen. BaFin-Präsident Mark Branson warnte Kreditinstitute im Rahmen der Euro Finance Week in Frankfurt am Montag davor, die Anlageklasse zu verharmlosen. Zwar sieht der Chef der Finanzaufsicht noch keine systemischen Risiken durch die FTX-Pleite, doch müsse das Bankensystem einen Schutzwall vor dem Kryptomarkt errichten. Ganz ähnlich tönen Kommentare des stellvertretenden Fed-Vorsitzenden Michael Barr. Die Furcht der Aufseher vor Gefahren künftiger Kryptokrisen für die Finanzstabilität dürfte auch den Druck auf die vermeintlich seriöseren Vertreter des Digital-Assets-Marktes erhöhen – egal, wie sehr diese sich einreden, dass Regulierung höhere Rechtssicherheit für institutionelle Investoren mit sich bringt.

Mit welchem Misstrauen etablierte Finanzmarktteilnehmer den Kryptokosmos derzeit betrachten, zeigt sich auch an der erneuten Kritik von Charlie Munger. Der zweite Mann von Warren Buffetts Investmentfirma Berkshire Hathaway bekräftigte am Dienstag seine Ansicht, das Segment baue teils auf Betrug und teils auf „delusion“, also Wahnvorstellungen, auf. Die Krypto-Enthusiasten mögen die Kritik des 98-Jährigen als aus der Zeit gefallenes Gerede eines alten Mannes abtun. Allerdings hat Munger sein Verständnis der Finanzmärkte häufig genug unter Beweis gestellt. Dementsprechend dürften mehr Investoren der Börsenlegende folgen als unbeirrbaren Digital-Assets-Verfechtern, deren Glaubwürdigkeit gerade stark in Zweifel steht. Nach der FTX-Illusion dürfte nun auch der Traum von der breiteren institutionellen Adoption digitaler Anlagen platzen.