Italiens Regierungschefin bläst der Wind stärker ins Gesicht
Im Blickfeld
Die Grenzen von Melonis Vermittlertraum
Die italienische Premierministerin Giorgia Meloni will Brücken schlagen zwischen Europa und den USA, doch das ist wohl unrealistisch.
Von Gerhard Bläske, Mailand
bl Mailand
Giorgia Melonis Honeymoon ist vorbei. Die im Herbst 2022 mit großer Mehrheit gewählte italienische Premierministerin weist zwar nach wie vor sehr hohe Beliebtheitswerte auf. Und Italien ist dank der umfangreichen Hilfen des Europäischen Wiederaufbauprogramms „Next Generation“, der extrem großzügigen Förderung der ökologischen Sanierung von Gebäuden sowie eines großen Touristenbooms zumindest bis Mitte 2024 stärker gewachsen als der europäische Durchschnitt. Doch seit dem zweiten Halbjahr 2024 stagniert die Wirtschaft. Die Industrieproduktion geht schon seit zwei Jahren zurück und ist 2024 gegenüber 2023 um 3,5% gefallen. Nur der Dienstleistungssektor sorgte für einen gewissen Ausgleich. Und die Schulden steigen in diesem Jahr auf voraussichtlich 136% vom Bruttoinlandsprodukt. „Das geringe Wachstum ist besorgniserregend“, mahnt Carlo Cottarelli, früherer IWF-Ökonom und Professor an der Katholischen Universität in Mailand.
Und nun drohen Strafzölle der US-Regierung, die die sehr exportstarke Wirtschaft Italiens besonders träfen. Denn die USA sind nach Deutschland und vor Frankreich mit einem Anteil von 10,4% der Ausfuhren der zweitwichtigste Exportmarkt für italienische Waren wie Lebensmittel, Maschinen, Textilien, Luxusgüter, Möbel, Jachten oder Pharmaprodukte. Das Problem: Italien weist einen Handelsbilanzüberschuss von 38,9 Mrd. Euro gegenüber den Vereinigten Staaten aus. Das sind fast drei Viertel des gesamten italienischen Handelsbilanzüberschusses. Defizite im Außenhandel gegenüber anderen Ländern aber sind US-Präsident Donald Trump ein Dorn im Auge. Das gilt trotz wiederholter Wertschätzungsbekundungen Trumps gegenüber Meloni auch für den Handel mit Italien.
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Meloni laviert in opportunistischer Weise, auch weil es in ihrer eigenen Partei und Koalition starke Kräfte gibt, die prorussisch und pro Trump sind. Ihre Unterstützung für die Ukraine wird zunehmend mau. Die geleisteten Hilfen sind im Vergleich etwa zu Deutschland ohnehin minimal. Meloni will eine Brückenrolle zwischen den USA und Europa spielen. Sie lobt die Rede von US-Vize-Präsident JD Vance bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Sie meldete sich per Video auf einer Konferenz der rechtskonservativen Parteien (CPAC) in Washington zu Wort und wetterte gegen Linksliberale und „Mainstream-Medien“. Sie betont ihr gutes Verhältnis zu Elon Musk, dem Multimilliardär und engen Trump-Vertrauten, der sie sehr schätzt.
Ritt auf der Rasierklinge
Doch der Spagat zwischen Europa und den USA gleicht für Meloni einem Ritt auf der Rasierklinge. „Trump will Europa spalten und hat kein Interesse an einer Brückenrolle Italiens“, sagt Cottarelli der Börsen-Zeitung: „Handelszölle treffen ganz Europa, auch Italien.“
Eine Sonderbehandlung für Italien durch die USA ist unrealistisch. Die Wirtschaft wird durch weitere Faktoren belastet. „Die Energiepreise in Italien und Deutschland sind viel höher als in anderen europäischen Ländern“, so Cottarelli. Das schwächt das Wachstum weiter, auch wenn Rom an Hilfen für sozial Schwache denkt.
Italien braucht den Handel mit den USA, ist aber noch viel stärker abhängig von Europa: Ob es um die Hilfen des Programms „Next Generation“, EU-Strukturprogramme oder Entgegenkommen bei der Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspakts geht, dessen Reform Rom nur zähneknirschend akzeptiert hat. Voraussetzung für die Gewährung europäischer Hilfen waren Reformen, etwa des Wettbewerbsrechts, der Justiz oder Verwaltung, aber da liefert Meloni nicht. Italien weigert sich als einziges EU-Land, die Reform des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zu unterschreiben, und verhindert damit dessen Inkrafttreten. Melonis Partei Fratelli d’Italia hat gegen die Erneuerung des Mandats von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gestimmt, gehört dem EU-kritischen Parteienbündnis der „Europäischen Konservativen und Reformer“ (EKR) an und trifft sich regelmäßig mit Rechtsaußenpolitikern wie Ungarns Premier Victor Orbán.
Von Europa abhängig
Cottarelli ist skeptisch: „Ohne Reformen in der Bürokratie, der öffentlichen Verwaltung und der Justiz wird das Wachstum nicht anziehen.“ Aber er sieht keine großen Reformvorhaben. Der Journalist Francesco De Palo sagt: „Wenn es in Italien um Verfassungsreformen geht, gehen die Konservativen auf die Barrikaden und unterminieren damit die Möglichkeit dieser Reformen. Italien braucht diese Reformen seit Jahrzehnten. Es wäre schade, wenn diese x-te Chance vertan würde.“
Doch selbst Vorhaben, die Meloni bzw. Regierungsvertretern wie dem Rechtsaußen und Vizepremier Matteo Salvini besonders am Herzen liegen, kommen nicht voran: Zwar wurden Steuern gesenkt, doch die geplante Flat Tax kommt wohl nicht zustande. Desgleichen die verfassungsrechtliche Stärkung der Rolle des Premierministers, mehr Autonomie für die Regionen, eine aktive Arbeitsmarkt- oder die Einwanderungspolitik. Zwar sind die illegalen Einreisen durch Abkommen reduziert worden. Doch die Justiz blockiert die teilweise Auslagerung von Verfahren nach Albanien, wo Rom für fast 1 Mrd. Euro ein Lager für die Behandlung von Asylverfahren aus Ländern errichtet hat, die aus Regierungssicht sicher sind.
Der Aufgabe nicht gewachsen
Mit einer Regierung, die aus vielen langjährigen Parteigenossen besteht, die ihrer Rolle nicht gewachsen sind und sich teilweise vor Gericht verantworten müssen, ist auch nicht viel Staat zu machen. Sollte die Wirtschaft durch US-Zölle weiter abgewürgt werden, könnte es für Meloni eng werden. Denn auch in Europa wird es schwieriger, glaubt Cottarelli: „Mit einer Merz-Regierung in Deutschland ist der Handlungsspielraum in Europa noch kleiner: Merz ist viel weniger bereit als Merkel, eine gemeinsame europäische Verschuldung zu akzeptieren.“
Meloni sucht einen Ausgleich durch einen Ausbau der Handelsbeziehungen zu Saudi-Arabien und zu den Vereinigten Arabischen Emiraten. Statt zum G7-Gipfel zu reisen, empfing sie lieber Muhammad bin Zayid Al Nahyan, Herrscher von Abu Dhabi und Präsident der Emirate, in Rom zu einem Business Forum. Er will 40 Mrd. Dollar in Italien investieren.