Geldpolitik

Lackmustest für Fed und EZB

Die Inflation in den USA und in Euroland schwächt sich ab. Im Euroraum ging es jetzt im Dezember sogar viel stärker als erwartet nach unten – von 10,1% auf 9,2%. Fed und EZB dürfen aber noch nicht nachlassen. Es geht auch um ihre Glaubwürdigkeit.

Lackmustest für Fed und EZB

Zum Jahresauftakt dominiert vor allem bei Marktteilnehmern die Zuversicht, dass die Inflation in den USA und in Euroland ihren Hochpunkt überschritten hat – verbunden mit der Hoffnung, dass die US-Notenbank Fed und die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Leitzinsen künftig weit weniger aggressiv anheben als anno 2022 oder sogar absehbar eine Kehrtwende („pivot“) vollziehen. Tatsächlich besteht in Sachen Inflation Grund für einen gewissen Optimismus – aber sicher nicht für Überschwang. Mithin kann sich die Hoffnung auf eine baldige Zinspause oder gar rasche Zinssenkungen als trügerisch erweisen. Fed und EZB haben noch viel Arbeit vor sich, bevor es heißen kann: mission accomplished.

Nach zwei Jahren fortgesetzter negativer Inflationsüberraschungen ist es ohne Wenn und Aber positiv, dass sich die Teuerung in den USA und im Euroraum zuletzt deutlich und sogar stärker als erwartet abgeschwächt hat. Gleiches gilt für den Rückgang der Energiepreise. Es ist aber viel zu früh, den Sieg zu verkünden. Erstens: Die Inflation ist immer noch viel zu hoch und weit vom Ziel von 2% entfernt. Zweitens: Vor allem in der Eurozone geht der Rückgang auch auf staatliche Gegenmaßnahmen zurück. Preiskontrollen lösen das Inflationsproblem aber nicht auf Dauer und drohen die Inflation sogar zu verlängern – wenn auch auf niedrigerem Niveau. Drittens: Die Kerninflation ohne Energie und Lebensmittel, die als besserer Gradmesser für den zugrundeliegenden Preisdruck gilt, liegt ebenfalls deutlich oberhalb von 2% und zieht teils sogar an. Das alles heißt: Die Inflationsraten mögen nun zwar weiter sinken. Der Weg zu 2% wird aber lang und äußerst beschwerlich.

Natürlich müssen Fed und EZB den Kampf gegen die Inflation austarieren angesichts der Gefahr einer zu starken Konjunkturabschwächung. Niemandem ist gedient, wenn die Notenbanken den Abschwung oder eine Rezession unnötig verschärfen. Aktuell aber ist die Hoffnung berechtigt, dass eine Rezession in den USA wie im Euroraum milder ausfällt als noch vor wenigen Wochen befürchtet. Die US-Wirtschaft kommt womöglich sogar darum herum. In dieser Gemengelage muss es Priorität haben, die Inflation weiter zu drücken. Ohne Rückkehr zu Preisstabilität ist kein nachhaltiges Wachstum möglich. Die Zentralbanken müssen nun Kurs halten und die Leitzinsen weiter anheben.

Das gilt zuvorderst für die Fed. In den USA ist die Verbraucherpreisinflation zwar noch stärker im Rückwärtsgang und sie liegt mit zuletzt 7,1% sogar unterhalb jener im Euroraum. Sorgen machen aber etwa die sehr hartnäckigen Komponenten wie etwa die Dienstleistungsinflation. Zudem boomt der Arbeitsmarkt weiter, was ein Lohnwachstum zur Folge hat, das viel zu hoch ist für eine Rückkehr zu 2% Inflation. Deswegen sollte die Fed ihren Leitzins weiter anheben. Über das Tempo kann man nun diskutieren. Die Richtung aber muss klar sein. Die Wette an den Finanzmärkten auf erste Zinssenkungen bereits in der zweiten Jahreshälfte 2023 erscheint deshalb überzogen und primär Wunschdenken. Das kann schnell nach hinten losgehen: Die zuversichtliche Sichtweise an den Märkten führt zu lockeren Finanzierungskonditionen, was die Zinsstraffung konterkariert und einen noch härteren Kurs verlangt. Die Fed darf in jedem Fall nicht zu früh einknicken – sonst wiederholt sie nur ihre Fehler aus den 1970er Jahren.

Im Fall der EZB ist die Lage sicher noch einmal diffiziler. Die Inflation ist weniger nachfragegetrieben als in den USA, was die Wirkung der Geldpolitik schmälert. Der Ausblick ist wegen der stärkeren Betroffenheit durch den Ukraine-Krieg noch unsicherer. Aber auch im Euroraum breitet sich die Inflation immer weiter aus, und die Inflationserwartungen drohen sich endgültig vom 2-Prozent-Ziel zu entfernen. Da darf die EZB nicht tatenlos zusehen. Erschwerend kommt hinzu, dass die teils sehr expansive Fiskalpolitik das Risiko einer stärker von der Nachfrage getriebenen Inflation erhöht. Das betrifft auch den 200-Mrd.-Euro-„Doppelwumms“ in Deutschland. Auch die EZB muss ihre Zinsen nun weiter erhöhen. Sie darf sich davon auch nicht vom zunehmenden politischen Gegenwind, samt italienischer Attacken auf ihre Unabhängigkeit, abbringen lassen.

Fed und EZB stehen 2023 vor einer Gratwanderung, die absehbar noch schwieriger wird als 2022. Zugleich stehen sie aber vor einem Lackmustest – was ihr Commitment zur Preisstabilität betrifft. Deswegen kommt jetzt auch jede De­batte über höhere Inflationsziele zur Unzeit. Sie müssen durch Worte und Taten verloren gegangenes Vertrauen zu­rückgewinnen. Sonst wird die rasche und dauerhafte Rückkehr zu stabilen Preisen ganz schnell zur mission impossible.