Im BlickfeldEuropäische Verteidigung

Macrons Hoffnungsträger

Frankreichs Präsident treibt Initiativen für eine europäische Verteidigung voran. Dabei baut er auf die Belebung der deutsch-französischen Beziehungen unter einem möglichen Bundeskanzler Merz.

Macrons Hoffnungsträger

Macrons Hoffnungsträger

Frankreichs Präsident treibt Initiativen für eine europäische Verteidigung voran. Dabei baut er auf die Belebung der deutsch-französischen Beziehungen unter einem möglichen Bundeskanzler Merz.

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Von Gesche Wüpper, Paris

Er ist derzeit an allen Fronten, ob in Washington, Lissabon, London oder Paris. Seit dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump versucht Emmanuel Macron, Europas Unabhängigkeit zu verteidigen und eine neue starke europäische Achse zu bilden. Je mehr gerade die alten geopolitischen Gewissheiten zerfallen, desto wichtiger ist es, die deutsch-französische Achse wieder zu stärken. Dabei ruhen jetzt alle Hoffnungen Frankreichs auf Friedrich Merz. Zwischen dem CDU-Parteichef und Macron stimme die Chemie, heißt es in Paris. Im Gegensatz zu Bundeskanzler Olaf Scholz, mit dessen introvertierter, zögernder Art Macron nicht unbedingt zurechtkam.

Annäherung der Standpunkte

Merz dagegen ist nicht nur überzeugter Transatlantiker, sondern auch frankophil. Mit ihm werde Paris besser auskommen, meint Sébastien Maillard, Spezialberater beim Institut Jacques Delors. Vor allem inhaltlich. Denn Merz als Christdemokrat mit Wolfgang Schäuble als Mentor habe den europäischen Aufbau in seiner DNA. Er vertrete in seinem Programm mehrere Schlüsselpositionen, die mit den französischen Ansichten kompatibel seien. „Mit ihm könnte Macron endlich den Weggefährten finden, der ihm seit 2017 auf der anderen Seite des Rheins gefehlt hat“, urteilt Maillard.

Auch wenn eine frankophilere Person wie Merz ein positives Signal für Frankreich sei, müsse dieser sich jetzt schnell bewähren, meint Paul Maurice vom Institut français des relations internationales (IFRI). Bei den beiden zentralen Fragen, die in den letzten Jahren zum Symbol der Schwierigkeiten zwischen Frankreich und Deutschland geworden seien, scheine März bereit zu sein, Konzessionen einzugehen, was ihn einigen französischen Standpunkten annähere. So signalisiere er in der Verteidigung Bereitschaft für eine gemeinsame Verschuldung der EU. Zudem rufe das Programm der CDU explizit zur Forschung für Atomtechnologien der nächsten Generation auf, kleine modulare Reaktoren (SMR) inbegriffen.

Nuklearabschreckung im Mittelpunkt

Merz und Macron haben sich bereits am 26. Februar und im Dezember 2023 im Élysée-Palast getroffen. „Beide scheinen sich zu schätzen“, so Maurice. Beide würden sich auch von ihrer Art her mehr ähneln als Macron und Scholz, urteilt die Wirtschaftszeitung „Les Echos“. Beide seien begabte Redner, hätten dieselbe Risikobereitschaft und denselben Wunsch, in die Geschichte einzugehen.

Die Pläne von Merz, mit Frankreich, Großbritannien und anderen Verbündeten über ein europäisches System nuklearer Abschreckung sprechen zu wollen, kommen Frankreichs Standpunkten entgegen. Denn Macron treibt jetzt erneut die von ihm bereits seit längerem verfochtene Idee einer gemeinsamen, von der EU mit 200 Mrd. Euro finanzierten europäischen Verteidigung mit der französischen Nuklearabschreckung im Mittelpunkt voran. „Wollen wir ertragen oder handeln?“, fragt er. Für Europa sei der Zeitpunkt des strategischen Aufwachens gekommen, ist er überzeugt.

Umfragewerte Macrons legen zu

Das gerade von der CDU zusammen mit der SPD beschlossene Finanzierungspaket in dreistelliger Milliardenhöhe für Verteidigung und Infrastruktur dürfte Paris ebenfalls gefallen. In französischen Ökonomenkreisen war vor der Bundestagswahl immer wieder die Hoffnung zu hören, dass die deutsche Wirtschaft mit Merz als möglichem Bundeskanzler endlich wieder investieren könnte.

Während Macron auf die Unterstützung des voraussichtlichen künftigen Bundeskanzlers bauen kann, sieht seine Situation in Frankreich anders aus. Zumindest in der Bevölkerung kommt das außenpolitische Engagement des Präsidenten an. So sprachen ihm in dem am 28. Februar von dem Sender LCI veröffentlichten monatlichen Stimmungsbarometer von Toluna Harris Interactive 37% der Befragten ihr Vertrauen aus, 6% mehr als einen Monat zuvor.

Geschwächte Position

Doch in der Nationalversammlung verfügen Macrons Partei Renaissance und ihre Regierungspartner nicht über eine Mehrheit. Sind Außen- und Verteidigungspolitik in Frankreich laut Verfassung die Domäne des Präsidenten, so ist Macrons Position seit den Neuwahlen geschwächt. Auch wenn der Haushalt 2025 endlich auf den Weg gebracht worden ist, bleibt die innenpolitische Situation in Frankreich instabil. Die Parteien von den extremen Rändern hoffen, vorgezogene Präsidentschaftswahlen erzwingen zu können. Innerhalb der Opposition kann Macron deshalb trotz der komplett veränderten außenpolitischen Situation längst nicht auf die Unterstützung aller bauen. Angefangen beim rechtsextremen Rassemblement National (RN), der in der Nationalversammlung als Einzelpartei über die meisten Sitze verfügt.

Rückendeckung

Vor allem die von Macron ins Spiel gebrachte gemeinsame nukleare Abschreckung ist Marine Le Pen vom RN und ihrem Verbündeten Éric Ciotti, einem ehemaligen Republikaner, ein Dorn im Auge. „Die Abschreckung gemeinsam nutzen heißt, sie abzuschaffen“, meint Le Pen. Eine gemeinsame europäische Verteidigung sei eine Chimäre. „Die Europäische Union profitiert vom Krieg und dem vereinenden Chaos, um den Föderalismus aufzuzwingen“, kritisiert Ciotti. „Ohne Debatte, ohne Abstimmung zwingt sie die supranationale Integration bei der Verteidigung auf.“

Innerhalb des Linksbündnisses Nouveau Front Populaire (NFP) wiederum klaffen die Meinungen stark auseinander, wie diese Woche eine bereits seit längerem angesetzte Debatte im Parlament über den Ukraine-Krieg erneut vor Augen geführt hat. Sozialisten und Grüne unterstützen die Initiativen Macrons, nicht jedoch die linksextreme Partei La France Insoumise (LFI). So plädierte der sozialistische Abgeordnete Boris Vallaud für einen großen Plan der strategischen Wiederbelebung Europas sowohl in der Industrie als auch in der Verteidigung.

Hollandes Vorschlag

Macrons Vorgänger François Hollande hofft ebenfalls, dass die EU-Kommission möglichst schnell eine gemeinsame Anleihe auflegt, damit Europa seine militärische Ausrüstung wieder aufstocken kann. Er plädiert auch für eine militärische Zusammenarbeit in Europa. „Aber sicher nicht zwischen 27, da innerhalb der Europäischen Union Uneinigkeit über diese essenzielle Frage herrscht“, sagte er, „Le Monde“. Denn einige Staaten würden von Rechtsextremen regiert, während andere Angst hätten, dass die Allianz mit den USA zerbrechen könnte. Hollande empfiehlt deshalb eine europäische Zusammenarbeit mit einigen wenigen Ländern wie der Bundesrepublik und Großbritannien.

Der Anstieg der Verteidigungsausgaben in Europa komme vor allem den USA zugute, kritisiert dagegen Jean-Luc Mélenchon von LFI. Kommunistenchef Fabien Roussel wiederum steht einer europäischen Armee feindlich gegenüber. Er plädiert für eine große europäische Friedenskonferenz unter Beteiligung Russlands, um tiefe Verhandlungen zu führen, anstatt einen Frieden zu beschließen, der zur Wiederbewaffnung führe.

Erinnerungen an die EVG

Die Debatte über den Ukraine-Krieg zeigt, wie tief gespalten die politischen Kräfte in Frankreich sind, wenn es um europäische Verteidigungspolitik geht. Das weckt Erinnerungen an das Schicksal der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG), einem frühen Versuch, nach dem Zweiten Weltkrieg auf europäischer Ebene militärisch zusammenzuarbeiten. Das Projekt wurde aus Frankreichs Idee geboren – und an Frankreichs Widerstand scheiterte es schließlich auch 1954.

Seinerzeit forderten nach dem Ausbruch des Korea-Krieges 1950 allen voran die USA eine stärkere Bewaffnung Westeuropas inklusive der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik – also des deutschen Erbfeindes Frankreichs – um auf einen möglichen Angriff der Sowjetunion vorbereitet zu sein. Um eine eigenständige westdeutsche Armee und eine deutsch-amerikanische Interessengemeinschaft zu verhindern, schlug der damalige französische Verteidigungsminister René Pleven 1950 vor, zusammen mit der Bundesrepublik, Belgien, Italien, Luxemburg und den Niederlanden eine europäische Armee zu gründen, in der eine deutsche Armee integriert werden sollte.

Atombewaffnung schon früher entscheidend

Bis auf Frankreich und Italien begannen alle EVG-Staaten ab 1952 mit der Ratifizierung der Verträge. In Frankreich dagegen entwickelte sich die Auseinandersetzung über die EVG zu einem regelrechten Glaubenskrieg. Immer wieder forderte Frankreich von seinen Verbündeten neue Garantien und Nachbesserungen. Der Wunsch nach einer eigenen Atombewaffnung Frankreichs, die die EVG hätte verhindern können, spielte genau wie die Entspannung der geopolitischen Lage eine Rolle für das Scheitern der EVG, die letztendlich an einer Verfahrensfrage im französischen Parlament scheiterte.

Handicap Staatsfinanzen

Wie erfolgreich jetzt Macrons Bemühungen um eine europäische Achse und die deutsch-französischen Beziehungen sein werden, muss sich noch zeigen. Die problematische Situation der öffentlichen Finanzen könnte sich dabei als ernsthaftes Handicap erweisen. Gerade hat S&P den Ausblick für Frankreich wegen der steigenden Verschuldung, des unzureichenden Defizitabbaus und der unsicheren Wachstumsaussichten auf „negativ“ gesenkt. Als Vorteil könnte sich dagegen erweisen, dass Macrons Mandat 2027 endet. Wenn er noch etwas bewegen will, muss es ihm jetzt gelingen.

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