Skandinavien als Trendsetter bei Bankfilialen
Lange war die Raiffeisenbank Struvenhütten mit einer Bilanzsumme von zuletzt gut 20 Mill. Euro die kleinste Bank Deutschlands. Ihre Eigenständigkeit hat die 1905 gegründete Genossenschaftsbank aus dem Kreis Segeberg nördlich von Hamburg im August durch Zusammenführung mit der Vereinigten VR Bank aufgegeben. Für den in den Ruhestand wechselnden langjährigen Vorstand ließ sich kein Nachfolger finden, weshalb die Raiffeisenbank auf das Nachbarinstitut mit Hauptsitz auf der Nordseeinsel Föhr zuging.
Aus der Hauptstelle des Instituts im 1000-Einwohner-Ort Struvenhütten ist mit der Fusion eine Filiale geworden. Die von rund 5000 Mitgliedern getragene Vereinigte VR Bank, die Ende 2021 auf eine Bilanzsumme von 492 Mill. Euro kam und 94 Mitarbeiter beschäftigte, bietet ihre Dienstleistungen künftig an drei personenbesetzten Standorten auf den Inseln und an fünf Standorten auf dem Festland an. „Wir haben unsere Geschäftsgebiete in zwei wirtschaftlich interessanten Regionen vor den Toren Hamburgs und den touristischen Nordseeinseln“, so Marktvorstand Sven Peters. Durch die Diversität der Geschäftsgebiete verfüge die Vereinigte VR Bank über „einen gewissen Grad an Immunität gegenüber unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklungen“.
Fusionstempo hält an
Die jüngste Fusion unter den Genossenschaftsbanken in Schleswig-Holstein setzt einen langjährigen Trend im deutschen Bankenmarkt fort. Beim Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) geht man davon aus, dass das Konsolidierungstempo der vergangenen Jahre vorerst kaum abnehmen wird. Zählten die Kreditgenossen 1970 fast 7100 Banken und 30 Jahre später noch fast 1800, so steuert der Verbund inzwischen auf die Marke von 700 Häusern zu. Für 2022 wird mit einem fusionsbedingten Rückgang der Mitgliedsbanken um erneut etwa 40 Häuser gerechnet, wie der BVR mitteilt. Im vergangenen Jahr ging die Anzahl um 42 auf 772 zurück, die durchschnittliche Bilanzsumme pro Institut erreichte gut 1,5 Mrd. Euro. 2017 lag sie noch unter der Milliardengrenze.
Im Sparkassensektor spiegelt sich diese Entwicklung – auf geringerer Basis. Ende 2021 waren 139 Volks- und Raiffeisenbanken kleiner als die kleinste Sparkasse in Deutschland – die hessische Stadtsparkasse Borken kommt auf eine Bilanzsumme von rund 208 Mill. Euro. Die Gruppe mit ihren überwiegend öffentlich-rechtlichen Instituten schrumpfte zwischen 2000 und 2021 um gut ein Drittel von 562 auf 370 Sparkassen. Nach einem Rückgang um sechs Institute im vergangenen Jahr erwartet der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV) 2022 eine um insgesamt neun auf 361 sinkende Häuserzahl – per Ende Juli gab es noch 363 Sparkassen in Deutschland.
Die Zusammenschlüsse werden mit unterschiedlichen Motiven begründet. Sparkassen fusionierten in aller Regel aus regulatorischen Gründen, da der aufsichtsrechtliche Aufwand insbesondere für kleinere Institute kaum noch zu bewältigen sei, heißt es beim Dachverband in Berlin. Eher selten gehe es beim Zusammenschluss mehrerer Institute um die Bereinigung von Wettbewerbslagen, wenn unterschiedliche Institute in einem Wirtschaftsraum tätig sind. Gelegentlich spielten auch Überlegungen, aus zwei Instituten eine schlagkräftigere Einheit zu formen, eine Rolle. Auf umfassende Regulierungsvorgaben, die gerade kleine und mittlere Banken unverhältnismäßig treffen würden, verweist auch der BVR. Zudem zählten Faktoren wie die zunehmende Digitalisierung, verändertes Kundenverhalten, der demografische Wandel und die Niedrigzinsphase zu den Gründen für einen Zusammenschluss. Vielfach würden mit Fusionen auch höhere Chancen in der Marktbearbeitung verbunden.
Für den deutschen Bankenmarkt insgesamt kommt die Bundesbank zum Ergebnis, dass die Konsolidierung sich im vergangenen Jahr beschleunigt habe. Ihren Berechnungen zufolge schrumpfte die Gesamtzahl der Kreditinstitute um rund 9,5% auf 1519 Häuser. Als wesentlichen Grund für den Rückgang gibt die Bundesbank an, dass 71 ehemalige Wertpapierhandelsbanken sowie Zweigniederlassungen ausländischer Wertpapierhandelsunternehmen nach Inkrafttreten des Wertpapierinstitutsgesetzes im Juni 2021 als Wertpapier- und nicht mehr als Kreditinstitute gemäß Kreditwesengesetz gelten würden. Aber auch ohne diesen Effekt sei eine stärkere Verringerung der Bankenzahl als 2020 festzustellen – um 5,3% nach zuvor 2,2%. Dazu hätten vornehmlich Fusionen im Genossenschaftssektor sowie Abgänge vor allem von Zweigniederlassungen britischer Wertpapierhandelsbanken infolge des Brexits zum 1. Januar 2021 beigetragen.
Netzrückbau trotz Zinswende
Überaus deutlich, wie die Bundesbank weiter analysiert, ist auch im vergangenen Jahr die Zahl der Filialen in Deutschland gesunken – nach ihren Berechnungen um 9,9% oder 2388 auf 21712 Standorte. Als Gründe werden der Einfluss der Digitalisierung auf die Vertriebswege infolge einer verstärkten Nutzung des Online-Bankings sowie Maßnahmen zur Kostenreduzierung aufgrund des Wettbewerbs angeführt. Der Immobiliendienstleister CBRE geht davon aus, dass sich das Filialsterben trotz Zinswende weiter fortsetzen wird. Im Zuge der Corona-Pandemie sei ein Rückgang der Besucherzahlen in den Zweigstellen um über 30% zu beobachten, heißt es in einer Studie, die auf Zahlen der Bundesbank rekurriert. Mit Blick auf den langfristigen Trend wird auf Faktoren wie die jahrelange Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB), hohe Miet- und Personalkosten sowie die Konkurrenz der Filialbanken aus der digitalen Welt der Fintechs und Direktbanken verwiesen.
Gemessen an rund 38000 Bankfilialen im Jahr 2010 fiel die Zahl bis zum vergangenen Jahr um rund 43%. CBRE hebt hervor, dass sich die Entwicklung der abnehmenden Filialdichte bei gleichzeitigem Zuwachs im Online-Banking europaweit beobachten lasse. Weit fortgeschritten sei der Wandel in den nordischen Ländern. In Dänemark, Finnland und Schweden stünden inzwischen weniger als zwei Filialen pro 10000 Einwohner zur Verfügung – in Deutschland seien es derzeit noch fast drei. „Das lässt erwarten, dass sich der Filialrückgang auch in Deutschland weiter fortsetzen wird“, so Jan Linsin, Leiter des Marktanalysebereichs Deutschland bei CBRE. Um die Kosten einer durchschnittlichen Bankfiliale zu erwirtschaften, würden mehr als 10000 Kunden benötigt. Der Immobiliendienstleister erwartet bis 2030 einen Rückgang der Filialzahl in Deutschland auf gut 15000. Dabei geht man bei CBRE davon aus, dass es künftig räumlich wie auch funktionell stärkere Unterschiede zwischen den verbleibenden Filialen geben dürfte.
Während die Bundesbank den Rückgang der Filialzahlen bei den Großbanken um mehr als ein Fünftel (−21,6%) als besonders deutlich charakterisiert, verdeutlichen diese ihre Haltung zu den Standorten. Filialen blieben auch künftig sehr wichtig, so ein Sprecher der Deutschen Bank, die für die Kundenberatung in Deutschland heute noch rund 400 Filialen unterhält – nach 680 vor fünf Jahren. Für Finanzentscheidungen größerer Tragweite bleibe die Filiale der Ort für das vertrauliche Gespräch mit dem Bankberater. Kundennähe spiele sich 2022 aber genauso über immer leistungsfähigere persönliche Beratungsangebote via Video und Telefon ab. Die Commerzbank verweist darauf, dass die Filiale für tägliche Bankgeschäfte bei Kunden immer mehr an Bedeutung verliere und über 80% der Kundenkontakte inzwischen digital stattfänden. Weniger Filialen bedeute aber nicht, dass sie für Kunden komplett an Bedeutung verlieren. Es gebe Produkte und Situationen, für die Filialen weiterhin genutzt würden.
Auf die größte Anzahl von Filialen kommen nach wie vor Sparkassen und Genossenschaftsbanken mit einem Anteil von zusammen rund 70%. Gleichwohl sind auch bei den beiden Finanzgruppen die Einschnitte ins Netz gravierend: So sank etwa im Gebiet des Genossenschaftsverbandes, der bis zuletzt die Jahresabschlüsse der Raiffeisenbank Struvenhütten prüfte, die Zweigstellenzahl zwischen 2000 und 2021 um 57% auf 3531 Standorte. Beim Genossenschaftsverband Weser-Ems, der als Prüfer für die Vereinigte VR Bank zuständig ist, schrumpfte die Zahl der Mitgliedsbanken seit 2000 um 30 auf 55 Institute, die Zahl der personenbesetzten Bankstellen um 40 auf 306. Bei der Nummer 447 im Genossenschaftslager zeigt man sich willens, in den nächsten Jahren ohne Filialschließungen auszukommen.
Von Carsten Steevens, Hamburg
Von Carsten Steevens, Hamburg