Deutsche Unternehmen müssen Anti-ESG-Trend in USA ernster nehmen
US-Trend gegen ESG
Grün als rotes Tuch
Deutsche Firmen müssen sich stärker mit der ESG-Feindlichkeit in den Vereinigten Staaten auseinandersetzen.
Von Alex Wehnert
Der politische Konflikt um Nachhaltigkeit in den USA stellt Unternehmen und Investoren vor Herausforderungen, die ausländische Marktteilnehmer noch zu häufig unterschätzen. Gerade in der laufenden Hauptversammlungssaison zeigt sich, wie stark sich die Debatte um Umweltschutz, Soziales und gute Unternehmensführung (ESG) aufgeheizt hat. Als „ideologische Übernahme der Wall Street" kritisieren Wirtschaftsköpfe wie Paul H. Tice, Vertragsprofessor an der Stern School of Business der New York University, nachhaltige Anlagekriterien und unterstützen eine Gegenbewegung, die sich auf Aktionärstreffen Bahn bricht. Laut dem Stimmrechtsberater Institutional Shareholder Services (ISS) haben Anteilseigner in den USA bis Ende Mai über 70 Anträge abgestimmt, die sich gegen ESG-Initiativen richten – vor zwei Jahren waren es noch 30. Damit ist Anti-Nachhaltigkeit schneller gewachsen als jede andere Kategorie.
Dass die Zustimmungsquote dabei gering ausfiel, bietet wenig Anlass zur Beruhigung. Denn die Anträge sind Teil einer eng koordinierten Kampagne republikanischer Politiker, konservativer Thinktanks und rechtsgerichteter Interessengruppen. Und diese sehen sich eher durch die wachsende Aufmerksamkeit bestärkt, die ihnen rund um die Aktionärstreffen zuteil wird. Statt die Zahl der Anträge zu erhöhen, dürften sie künftig daran arbeiten, stärker fokussierte Initiativen einzubringen.
Assetmanager knicken ein
Mit ihrem gezielten Engagement gegen ESG-Anlagen haben republikanisch dominierte Bundesstaaten schließlich schon große Vermögensverwalter zum Einknicken gebracht. Texas legte bereits 2022 eine Liste von 350 Fonds vor, die angeblich Energieunternehmen boykottieren. Der dortige Rechnungsprüfer forderte staatliche Pensionsfonds auf, ihre Beteiligungen an den Vehikeln abzubauen. Florida kündigte mit Verweis auf die ESG-Praktiken von Blackrock an, 2 Mrd. Dollar aus Produkten des Assetmanagers abzuziehen.
Blackrock hat unter diesem Druck das Engagement in Initiativen wie „Climate Action 100+“ zurückgefahren, Konkurrenten wie State Street, Invesco oder die Allianz-Tochter Pimco haben sich sogar ganz zurückgezogen. Und obwohl der weltgrößte Vermögensverwalter Lobbyisten mit guten Verbindungen zur republikanischen Partei beauftragt hat, ringt er mit einem politisch motivierten Anlegerexodus aus seinen Fonds. Ende April zog der Texas Permanent School Fund 8,5 Mrd. Dollar aus Blackrock-Vehikeln ab. Aus Nachhaltigkeitsfonds amerikanischer Vermögensverwalter flossen laut Morningstar bereits 2023 per saldo 13 Mrd. Dollar ab – ein historischer Negativwert.
Deutsche Firmen planen mehr ESG-Investitionen
Dass Nachhaltigkeit für republikanische Entscheidungsträger und Anleger zum roten Tuch wird, ist einerseits für amerikanische Unternehmen problematisch. So muss sich der Einzelhändler Target mit einer Investorenklage zu seiner „Pride Month“-Kollektion aus dem vergangenen Jahr herumschlagen. Das Unternehmen sah sich damals gezwungen, Teile des für die Unterstützung homo- und transsexueller Menschen gedachten Merchandise aus den Regalen zu nehmen, nachdem dieses in den Filialen für Konflikte gesorgt hatte. Dies zog öffentliche Kritik nach sich und lastete auf dem Absatz – Investoren werfen Target deshalb vor, politische Risiken entgegen Unternehmensangaben nicht geprüft zu haben.
Andererseits wird das aufgeheizte Klima auch für ausländische Unternehmen problematisch, die in den USA Geschäft machen oder den amerikanischen Kapitalmarkt anzuzapfen suchen. Auch deutsche Firmen wagen sich häufig naiv mit im Heimatmarkt beklatschten, breiten Nachhaltigkeitsparolen in die Vereinigten Staaten vor. Laut der Deutschen Außenhandelskammer wollen 61% der in den USA aktiven Unternehmen aus der Bundesrepublik mehr Mittel in die Stärkung des Umweltschutzes, sozialer Aspekte und der Governance stecken. Nachhaltigkeitssubventionen aus dem „Inflation Reduction Act“ wirken dabei als Lockmittel. Gerade mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen im November täten sie aber gut daran, sich stärker mit Risiken einer feindlichen Regulierung und potenzieller Investorenklagen auseinanderzusetzen.