Zulieferer in der Klemme
Die Halbleiterknappheit hat die Automobilindustrie auf den ersten Blick schwer getroffen. Hersteller müssen ihre Produktion immer wieder pausieren, Händler präsentieren leere Ausstellungsräume, und Zulieferer bleiben wegen der Produktionsflaute auf ihren Teilen sitzen. Bei genauerem Hinsehen trifft die Krise indes nur zwei der drei Branchenpfeiler schwer. Die Hersteller haben aus der Not eine Tugend gemacht, indem sie die wenigen verfügbaren Chips bevorzugt margenstärkeren Premiumfahrzeugen zuschlagen. Der Gewinn entwickelt sich so trotz sinkender Erlöse prächtig. Auch der Handel, der in der ersten Phase der Pandemie wegen des harten Lockdowns zu den Hauptleidtragenden zählte, kann kaum klagen. Zwar wünscht sich praktisch jeder Händler mehr Neuwagenlieferungen. Der akute Mangel hat aber auch positive Effekte. Seit Jahresbeginn haben die Gebrauchtwagenpreise rasant zugelegt, und bei Neuwagen kann angesichts des Nachfrageüberhangs auf die üblichen Rabatte verzichtet werden.
Während Hersteller und Händler sich also recht gut arrangieren konnten, ringen viele Zulieferer nach Luft. Einer Studie von Euler Hermes zufolge sieht sich fast jeder vierte Zulieferer hierzulande von der Insolvenz bedroht. Im Oktober wies das Ifo-Branchenbarometer eine extreme Diskrepanz in der Lagebeurteilung auf. Während der Indikator für die Hersteller mit gut 46 Punkten im Plus lag, verharrte der Lageindikator für die Zulieferer mit –10 Punkten im negativen Bereich. Oliver Falck, der das Ifo-Zentrum für Industrieökonomik und neue Technologien leitet, führt die schlechte Lageeinschätzung auf die Sorge der Zulieferer zurück, beim Strukturwandel nicht mithalten zu können. Das ist sicher ein wesentlicher Faktor. Allerdings spielt hier auch die akute Sorge aufgrund finanzieller Probleme eine Rolle. Während Händler und Hersteller den Nachfrageüberhang auf der Kundenseite für eine Anhebung der Preisniveaus und damit der Margen nutzen konnten, stehen die meisten Zulieferer vor dem Problem eines Angebotsüberhangs. Ihre Werke sind nicht ausgelastet. Ihre Preismacht schrumpft.
Hinzu kommt, dass Kunden und Autobauer aufgrund der Halbleiterflaute schneller elektrifizieren als noch vor wenigen Quartalen erwartet. Das liegt einerseits daran, dass im zu Ende gehenden Jahr bei geringerer Produktionsmenge vor allem weniger Diesel und Benziner gebaut wurden. Zudem ist die Preisstabilität bei gebrauchten Elektroautos höher als bei gebrauchten Verbrennern. Das deutet darauf hin, dass bei einer wachsenden Kundenzahl die Bereitschaft schwindet, noch einmal ein Auto mit traditioneller Antriebstechnologie zu kaufen. Dazu dürften auch die wegen der Halbleiterkrise langen Wartezeiten beitragen. Je weiter in der Zukunft die Autoübergabe liegen soll, desto eher dürfte ein Kunde ein Elektroauto dem Verbrenner vorziehen.
Für Zulieferer, die sich mit Erlösen aus am Verbrenner hängenden Technologien die Transformation ins E-Auto-Zeitalter finanzieren wollten, geht die alte Kalkulation zunehmend nicht auf. Große, diversifiziert aufgestellte Konzerne können das immerhin abfedern. So läuft es für Schaeffler beispielsweise im Automobilgeschäft zwar erwartbar schlechter. Dafür ist der Industriebereich, in dem Schaeffler etwa Lager für Windkraftanlagen herstellt, stark gewachsen. Spezialisierte Unternehmen wie die Continental-Abspaltung Vitesco trifft es da schon härter mit einem Umsatzschwund von zuletzt 15% und einem Ergebnisabsturz um vier Fünftel. Zwar wächst der Anteil der Elektroantriebe bei dem Antriebsspezialisten rasant. Noch wird das Gros der Erlöse aber im Verbrennergeschäft erzielt. Das gilt in noch größerem Ausmaß für den französischen Zulieferer Faurecia, der deshalb in einem Milliardendeal Hella übernehmen will, um sich E-Antriebstechnologien ins Haus zu holen.
Mindestens so bedrohlich wie die Elektrifizierung des Antriebsstrangs ist für die Branche indes der parallel laufende Einzug künstlicher Intelligenz ins Fahrzeug. Nachdem Mercedes bei diesem Zukunftsthema schon länger auf eine enge Partnerschaft mit dem US-Chipgiganten Nvidia setzt, hat sich nun auch Wettbewerber BMW mit einem US-Technologiekonzern verbündet. Die Münchener bauen ihre Partnerschaft mit dem Nvidia-Rivalen Qualcomm aus. Die traditionellen Zulieferer drohen vor diesem Hintergrund an Bedeutung für die Hersteller einzubüßen. Sie stecken zunehmend in der Klemme – und das nicht nur wegen der aktuell chipkrisenbedingten Produktionspausen.