Bank of England

Andrew Bailey macht sich unbeliebt

Der Chef der Bank of England, Andrew Bailey, ist mit der Forderung nach Lohnzurückhaltung nicht nur bei Gewerkschaften angeeckt, sondern auch bei Boris Johnson. Auch ein früherer Rivale meldet sich.

Andrew Bailey macht sich unbeliebt

Von Andreas Hippin, London

Der Gouverneur der Bank of England, Andrew Bailey (62), hat es geschafft, gleich von mehreren Seiten heftig kritisiert zu werden. Es begann damit, dass er von den Ar­beitnehmern „ziemlich deutliche Zurückhaltung“ in den Lohnverhandlungen forderte, um eine Lohn-Preis-Spirale zu vermeiden. Das kam bei den Gewerkschaften ebenso schlecht an wie in 10 Downing Street. Gerard Lyons, der ehemalige Chefvolkswirt von Standard Chartered, warf ihm kurz darauf vor, das lange Zögern der Bank of England vor der ersten Leitzinserhöhung habe die Teuerungsrate erst richtig in die Höhe getrieben.

„Warum verlangen reiche Männer immer dann, wenn es eine Krise gibt, dass die normalen Menschen dafür bezahlen?“, fragte Sharon Graham, die Generalsekretärin der Gewerkschaft Unite. Bailey erhielt im vergangenen Jahr inklusive seiner Altersvorsorgeleistungen 575 538 Pfund, mehr als das 18-Fache des durchschnittlichen Verdiensts eines britischen Vollzeitbeschäftigten. „Ge­nug ist genug“, sagte Graham. „Wir werden verlangen, dass Arbeitgeber, die zahlen können, auch bezahlen.“ Lohnzurückhaltung zu verlangen, sei gleichbedeutend mit Lohnsenkungen. Es sei kaum zu glauben, was Bailey sich herausnehme, sagte Gary Smith, der Generalsekretär der Gewerkschaft GMB. „Es ist unverschämt, den hart arbeitenden Menschen, die das Land durch die Pandemie gebracht haben, zu sagen, dass sie keine Lohnerhöhung verdienen“, sagte Smith. „Das ist ein schlechter Witz.“

Hohe Löhne angestrebt

„Wir wollen offensichtlich eine Wirtschaft mit hohen Löhnen und hohem Wachstum“, trat ein Sprecher von Premierminister Boris Johnson den Äußerungen des Notenbankchefs entgegen. „Und wir wollen, dass die Löhne der Menschen steigen.“ Man verstehe zwar die wirtschaftlichen Herausforderungen, die Bailey dargestellt habe. Aber es sei nicht Sache der Regierung, Löhne festzulegen oder privaten Unternehmen nahezulegen, welche strate­gische Richtung sie einschlagen oder wie sie ihre Geschäfte führen sollten.

Die Kritik von Lyons an der Bank of England fiel dagegen wesentlich schärfer aus. „Das ganze vergangene Jahr hindurch waren ihre Inflationsprognosen schlecht und falsch“, sagte der ehemalige Wirtschaftsberater Johnsons, der selbst gerne Notenbankchef geworden wäre, der „Mail on Sunday“. „Als der erste Inflationsschock durch höhere Energiepreise und Angebotsschocks ausgelöst wurde, nahm der Gouverneur gegenüber dem möglichen Inflationsrisiko eine selbstgefällige Haltung ein.“ Die Zentralbank habe mit ihrer Politik des billigen Geldes dem rasanten Anstieg der Wohnimmobilienpreise Vorschub geleistet, der es jungen Menschen unmöglich mache, Wohneigentum zu erwerben. Andrew Sentance, ein ehemaliges Mitglied des geldpolitischen Komitees der Bank of England, kritisierte Baileys Kommunikationsstil. Er habe sich nicht das erste Mal verstolpert. Einer seiner Vorgänger, Mervyn King, habe seine Worte gut im Griff gehabt, lobte Sentance. „Bailey scheint dagegen lediglich durch die Gegend zu trampeln.“

Bailey wurde im Dezember 2019 zum Nachfolger von Mark Carney gemacht. Der langjährige Insider hatte davor ein paar Jahre als Chef der Finanzaufsicht FCA verbracht, die in dieser Zeit gleich mehrere Skandale verschlief. Es war eine mutlose Wahl. Dabei hätte es auch eine ganze Reihe möglicher Kandidatinnen gegeben, von Nemat „Minouche“ Shafik, der Chefin der London School of Economics, bis hin zu Helena Morrissey, der Gründerin des 30-Prozent-Clubs, der sich seit 2010 für einen höheren Frauenanteil in den Boards britischer Unternehmen starkmacht.

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