ESG-Orientierung stößt in den USA auf Gegenbewegung
Von Olaf Gärtner und Carla Wiedeck*)
Die Betätigung aktiver Aktionäre und Investoren gehört in Deutschland seit Jahren zur wirtschaftlichen Normalität. Lange Zeit haben die entsprechenden Investoren primär aus wirtschaftlichen Motiven versucht, Einfluss auf die Unternehmensstrategie zu nehmen. In jüngerer Zeit kam eine weitere Gruppe hinzu: engagierte Aktionäre und Investoren, die ESG-Ziele stärker in den Fokus der Unternehmen rücken wollen – wie das nachhaltige Wirtschaften oder den Schutz der Menschenrechte.
Die Gründe für derartiges Engagement sind vielfältig. Da Nachhaltigkeitsgesichtspunkte in der Gesellschaft eine große Bedeutung haben, kann es den Investoren auf die finanziellen Auswirkungen der Nachhaltigkeitsstrategie des Unternehmens ankommen. Unternehmen, die nicht oder nicht ausreichend auf Nachhaltigkeit setzen, müssen zum Teil Verluste von Kundschaft und finanzielle Einbußen hinnehmen.
Daneben gibt es Aktionäre, die vorwiegend altruistische Ziele verfolgen. Sie versuchen, auf die Unternehmensstrategie Einfluss zu nehmen, beispielsweise über eine Neubesetzung der Unternehmensführung, nachhaltige Arbeitsweisen oder darüber, die Beendigung einzelner, als umweltschädlich angesehener Geschäftsbereiche durchzusetzen.
Die Anzahl entsprechender ESG-Kampagnen ist in den letzten Jahren enorm gestiegen. In Europa waren insbesondere Energie-, Mineralöl- und Erdgasunternehmen betroffen. In Deutschland sind die öffentlich gemachten Kampagnen bislang allerdings erfolglos geblieben. Diese richteten sich vorwiegend darauf, das Geschäftsmodell schneller als geplant auf klimafreundliche Aktivitäten umzustellen, die Finanzstrategie stärker auf Nachhaltigkeitsaspekte auszurichten und die Forderung nach vollständiger Transparenz für klimabezogene Lobbyaktivitäten zu platzieren.
Parallel dazu hat sich – vor allem in den USA – eine gegenläufige Tendenz entwickelt: In mehreren Fällen formierte sich aktiv Widerstand gegen unternehmerisches Handeln, das sich an ESG-Kriterien ausrichtet.
Hiervon waren Unternehmen betroffen, die sich stark in den Bereichen ESG und D&I (Diversität und Inklusion) engagieren. Kritiker von ESG-Investitionen forderten jüngst mehrere Unternehmen öffentlichkeitswirksam auf, sich wieder allein auf wirtschaftliche Gesichtspunkte zu besinnen.
Die Unternehmensführung habe sich nicht an politischen Diskussionen über Nachhaltigkeit zu beteiligen und ihre Personalpolitik nicht auf Diversitätsaspekten aufzubauen. Der öffentliche Druck auf die Unternehmen sei umso höher, je mehr sie an öffentlichen Diskussionen teilnehmen und sich den ESG-Standards fügen. Dies wirke sich wiederum nachteilig auf das Geschäft aus, da es nicht mehr vorrangig profitorientiert betrieben werde. Dabei handelt es sich nicht um eine Einzelposition – vielmehr gibt es zahlreiches gleichläufiges Vorbringen bei diversen US-Unternehmen.
Unternehmen im Zangengriff
Bislang sind entsprechende Anti-ESG-Kampagnen in Deutschland nicht bekannt geworden. Sollte der Trend aus den USA aber nach Europa schwappen, hätte dies erhebliche Auswirkungen. Wenn auf der einen Seite engagierte Aktionäre eine stärkere Verfolgung von ESG-Grundsätzen fordern und auf der anderen Seite gerade dadurch Anti-ESG-Akteure provoziert werden, ist Streit programmiert. Allerdings ist anzumerken, dass die Ausgangslage in Europa und Deutschland für Anti-ESG-Kampagnen schwieriger als in den USA ist. Es gibt zahlreiche Bereiche, in denen die (EU-)Gesetzgebung die Verfolgung von ESG-Zielen explizit vorschreibt, so dass in Europa weniger Angriffspunkte als in den USA bestehen dürften.
Entsprechend lässt sich auf dem deutschen Markt bislang nicht beobachten, dass die Möglichkeit von Anti-ESG-Kampagnen zu einer Abkehr von eingeschlagenen Nachhaltigkeitsstrategien geführt hat. Stattdessen beschäftigen sich Unternehmen weiterhin verstärkt mit ESG-Themen und verlangen dies auch von ihren Zulieferern und Dienstleistern.
Insgesamt erinnert die Konstellation an altbekannte Fragestellungen: Darf ein Unternehmen auch nicht gewinnbezogene Interessen verfolgen? Wie ist zu verfahren, wenn ein ideelles Interesse zunächst zu einer erhöhten finanziellen Belastung führt?
Zugunsten der Vereinbarkeit klimabezogener Zielsetzungen mit dem Unternehmensinteresse wird oft angeführt, dass sich der finanzielle Aufwand positiv auf das Unternehmensimage auswirken und sich damit auf lange Sicht rechnen werde. Die Verfolgung von Nachhaltigkeitsthemen steigere langfristig den Unternehmenswert („shareholder value-oriented ESG“).
Insoweit ist die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes von Bedeutung, nach der ein wirtschaftlich unmittelbar nachteiliges Geschäft vom Unternehmensinteresse gedeckt ist, wenn auf lange Sicht Vorteile für das Unternehmen zu erwarten sind. Soweit dies ausreichend dargelegt werden kann, werden sich deutsche Unternehmen voraussichtlich zumindest juristisch aus dem Zangengriff befreien können. Die (auch außergerichtliche) Auseinandersetzung mit aktiven Aktionären und Investoren wird sie jedoch voraussichtlich zunehmend beschäftigen.
*) Dr. Olaf Gärtner ist Partner und Dr. Carla Wiedeck Counsel von Hogan Lovells.