EU-Taxonomie forciert Portfolioumbau von Konzernen
Herr Kühnle, in der Industrie setzen Konzerne immer stärker auf grün orientierte Sparten und spalten nicht nachhaltiges Geschäft ab. Was hat diese Entwicklung befördert?
Mit den neuen Regeln der Europäischen Union zur Taxonomie sind die Unternehmen stark unter Druck geraten. Denn die Finanzierung steht künftig unter dem Vorbehalt der Nachhaltigkeit. Angetrieben von den europaweit geltenden Vorgaben stellen die führenden Finanzinstitute Klimaziele für ihr Kreditgeschäft auf. So wird etwa die Deutsche Bank ab dem Jahr 2050 keine Treibhausgas-Emissionen mehr finanzieren. Ebenso suchen Investoren vermehrt nach grünem Geschäft und institutionelle Investoren verzichten auf nicht nachhaltige Investments. Darauf müssen die Konzerne reagieren.
Was können Unternehmen tun, um sich weitere Kredite zu sichern?
Mittel der Wahl ist häufig der Verkauf von Sparten mit nicht nachhaltigem Geschäft. Mit solchen sogenannten Carve-out-Transaktionen können sich die Konzerne neu aufstellen und die ESG-Anforderungen erfüllen. Die Initiative der Europäischen Kommission zur Eindämmung des Klimawandels forciert eine strategische Transformation der Geschäftsmodelle vieler Konzerne.
Wie funktionieren solche Spartenverkäufe?
In der Praxis sind Carve-outs hoch komplex. Denn wie der Begriff sagt, müssen Sparten herausgeschält werden, die typischerweise eng miteinander verflochten sind. „Grünes“ Geschäft lässt sich nicht ohne weiteres von „braunen“ Bereichen trennen. Nehmen Sie einen Fahrzeughersteller, der sowohl elektrische Antriebe als auch Verbrenner einsetzt. Oft arbeiten Ingenieure an beiden Motoren; Maschinen oder Produktionsstätten stellen beide Typen her. Beschäftigte, Anlagen und die dahinterstehenden Prozesse müssen also getrennt werden, um dann als Betriebseinheit veräußert werden zu können. Das ist eine Herkulesaufgabe.
Welche Branchen sind von der Taxonomie betroffen?
Die Thematik trifft im Prinzip jede Branche, bei der fossile Energieträger bei der Herstellung oder beim Betrieb der Produkte zum Einsatz kommen, insbesondere die Automobilindustrie, Energieerzeuger, die Chemiebranche und den Maschinenbau. Denken Sie nur an die vielen Produkte, bei denen Erdöl eingesetzt wird oder in der Produktion Unmengen an Erdgas verbrannt werden.
Gibt es denn genügend Käufer?
Die Zahl der Interessenten für das nicht nachhaltige Geschäft ist sehr begrenzt. Einige Private-Equity-Häuser haben sich darauf spezialisiert, die Sparten aufzukaufen, weiterzuentwickeln und dann etwa an die Börse zu bringen. Denn es handelt sich ja oftmals um hoch profitables Geschäft. Wichtig ist aber, dass im Zuge des Verkaufs die bestehenden Kundenbeziehungen als Wertanteil bewahrt und das Management und die Beschäftigten an Bord gehalten werden. Zerbricht die Einheit beim Carve-out, scheitert meist auch die Transaktion – zum Nachteil beider Seiten.
Wie reagieren die Banken auf diese Deals?
Die Finanzinstitute stehen natürlich selbst unter Druck, bei der Kreditvergabe ihre Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Unsere Erfahrung ist, dass sie sich unterstützend mit einbringen und Carve-outs positiv begleiten. Denn für sie steht nicht nur die Kundenbeziehung auf dem Spiel. Sie wollen dazu beitragen, nachhaltiges Wachstum zu fördern. Das ist auf lange Sicht für beide Seiten profitabler.
Wie wirkt die Entwicklung auf die Beschäftigten der Unternehmen?
Das ist der entscheidende Knackpunkt. Man muss sehr behutsam vorgehen und für beide Einheiten eine tragfähige Strategie entwickeln. Nur wenn die Perspektive für die grün orientierte und die nicht nachhaltige Einheit passt, können sie die Fachkräfte und die Führungsmannschaft halten. Das ist arbeitsrechtlich ein Drahtseilakt. Die Balance muss stimmen.
Beleben diese Transaktionen am Ende das derzeit flaue M&A-Geschäft?
Die Carve-out-Welle läuft gerade erst an und ist auch nicht aufzuhalten. Die Konzerne müssen handeln, wenn sie mit dem Transformationsdruck Schritt halten und künftig eine Finanzierung erhalten wollen. Die Hebelwirkung, die die EU über die Taxonomie entfaltet, ist gewaltig.
Karsten Kühnle ist Partner von Norton Rose Fulbright in Frankfurt. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.