Schwächelnder Export

Deutscher Wachstumsmotor in Gefahr

Eine Politisierung im Welthandel wird für die deutsche Exportwirtschaft zum Problem. Ökonomen sorgen sich um den Wirtschaftsstandort Deutschland.

Deutscher Wachstumsmotor in Gefahr

Deutscher Wachstumsmotor in Gefahr

Eine politische Blockbildung im Welthandel bremst den Exportsektor hierzulande aus. Unternehmen verlagern bereits Produktionen ins Ausland.

mpi Frankfurt
Von Martin Pirkl, Frankfurt

Nicht nur im Fußball, auch im Export ist Deutschland seinen Weltmeistertitel los. Den weltweit höchsten Handelsbilanzüberschuss hat längst China angehäuft. Während sich darüber streiten lässt, ob das wirklich eine so schlimme Entwicklung ist, sind die aktuellen Daten zum deutschen Exportsektor eindeutig negativ. „Deutschland droht den Export als Wachstumsmotor für das Bruttoinlandsprodukt zu verlieren“, sagt Jürgen Matthes, Außenhandelsexperte des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW).

Deutsche Exporte schwächeln 2023

Seit April sinken die Ausfuhren im Jahresvergleich – mit Ausnahme des Juni – Monat für Monat. „Bei der aktuellen Nachfrageschwäche kommt vieles zusammen“, urteilt Gabriel Felbermayr, Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo). Die derzeit schwache globale Konjunktur, unter anderem aufgrund der weltweit stark gestiegenen Zinsen, sei nur ein Grund. Auch strukturell habe Deutschland Probleme. Eines davon sei die Entwicklung im Welthandel. Felbermayr spielt dabei auf die Politisierung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen an.

Mit dieser Diagnose ist er nicht alleine. Unter anderem die Welthandelsorganisation WTO und der Internationale Währungsfonds IWF warnen vor einer Blockbildung im Welthandel, auch Fragmentierung genannt. Staaten und Unternehmen seien dabei, Handelsströme und Produktionen von politisch unliebsamen Ländern zu Wertepartnern zu verlagern. So wollen sie ihre wirtschaftlichen Abhängigkeiten von Staaten reduzieren, mit denen es politische Konflikte gibt. Aus deutscher und europäischer Sicht steht vor allem China im Zentrum dieser Überlegungen.

Hohe Wohlstandsverluste drohen

Die Verlagerung von Handelsströmen und Lieferketten ist jedoch mit hohen ökonomischen Kosten verbunden. „Reshoring sollte man sich gut überlegen“, sagt daher Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts. Das Ifo hat ein Modell aufgestellt, um die Wohlstandsverluste zu berechnen, sollte sich der Trend zum Reshoring verschärfen oder es zu einer vollständigen Blockbildung im Welthandel kommen.

In einem Szenario, in dem die EU, die USA und China sich gegenseitig mit hohen Zöllen belegen und die Unternehmen daher zu Reshoring greifen, sinkt das europäische Wohlstandsniveau laut den Ifo-Berechnungen dauerhaft um 5%. Deutschland wäre mit einem Minus von 5,1% sogar noch etwas stärker betroffen. In China entstünde gar ein Wohlstandsverlust von 5,5% des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Die Verluste der USA fallen mit 3,6% am geringsten aus.

Verluste in Billionenhöhe

Bei einer politischen Blockbildung im Welthandel in einer von den USA geführten „westlichen Allianz“ und einer von China angeführten „östlichen Allianz“ summieren sich die ökonomischen Kosten ebenfalls auf Billionenbeträge. Für die Aufteilung der Länder in die verschiedenen Blöcke – Westen, Osten und neutral – hat das Ifo das Abstimmungsverhalten der Staaten bei der UN-Generalversammlung am 7. April 2022 verwendet. Damals ging es um die Frage, ob Russland aus dem UN-Menschenrechtsrat ausgeschlossen werden soll.

Bei der Europa-Konferenz 2023 von Econpol ging es auch um die Zunahme geopolitischer Risiken.

Auch der IWF hat die Länder in einer Studie anhand des UN-Abstimmungsverhaltens in Blöcke eingeteilt. Dass der Handel innerhalb der Blöcke 2023 stärker gewachsen ist als zwischen ihnen, wertet der Währungsfonds als Zeichen, dass es bereits zu einer ersten Zersplitterung im Welthandel kommt. Eine vollständige Fragmentierung könnte das globale BIP laut IWF langfristig um 7% senken. EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis beziffert den drohenden Verlust auf 5 bis 7%. Gemessen an der weltweiten Wirtschaftsleistung im Jahr 2022 wäre das ein Wohlstandsverlust von 5 bis 7 Bill. Dollar.

Firmen verlassen Deutschland

Eine Fragmentierung des Welthandels und eine Verlagerung von Lieferketten zu politischen Wertepartnern hätte nicht nur Folgen auf das globale Wirtschaftswachstum. Auch die Inflation dürfte strukturell steigen. Denn die neuen, politisch motivierten Lieferketten würden zu höheren Produktionskosten für Unternehmen führen, die diese an die Kunden weiterreichen. „China ist nun einmal durchaus einer der effizientesten Produzenten der Welt“, sagt Holger Görg, Leiter des Forschungszentrums Internationaler Handel und Investitionen am Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel). Eine Abkehr von China hätte daher Auswirkungen auf die Teuerung.

Gabriel Felbermayr macht noch einen weiteren Effekt aus, den die Politisierung in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen verursacht. „Ich sehe einen Trend bei deutschen Unternehmen, stärker im Ausland zu produzieren, als dorthin zu exportieren.“ Auf diese Weise würden die Firmen ihre geopolitischen Risiken, etwa bezogen auf Zölle und andere Handelshemmnisse, reduzieren. „Während das für die Unternehmen aufgehen kann, ist es für das deutsche BIP ein Problem, weil sich Wirtschaftsleistung ins Ausland verlagert“, sagt Felbermayr. Um die Zukunft deutscher Unternehmen macht er sich daher weniger Sorgen als um den Wirtschaftsstandort Deutschland.

Arbeitsplätze in Gefahr

„Wenn wir nur noch mit Wertepartnern handeln, ist das ein Problem“, sagt Außenhandelsexperte Matthes, Leiter des Clusters Internationale Wirtschaftspolitik, Finanz- und Immobilienmärkte des IW. „Die Risiken durch politische Handelskonflikte haben zugenommen.“ Gerade für Deutschland, ein relativ rohstoffarmes Land, das gleichzeitig einen starken Exportsektor hat, ist es ein Problem, wenn es bei Ein- und Ausfuhren zu Störungen kommt – etwa aus politischen Gründen.

Beispiel China: Rund 3% der deutschen Arbeitsplätze hängen vom Exportgeschäft mit der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt ab, das sind fast 1,4 Millionen Stellen. Für den Import spielt das asiatische Land sogar eine noch größere Rolle. „Das Exportgeschäft mit China konzentriert sich auf eine überschaubare Gruppe von eher größeren Unternehmen, beim Import zieht sich das viel breiter in die deutsche Wirtschaft rein“, sagt Matthes. Wenn einzelne Produkte fehlen, wie Kabelbäume, stünden ganze Lieferketten still.

Debatte um China

Eine Debatte um mehr Unabhängigkeit von China halten viele Ökonomen für sinnvoll, eine Abkehr von China als wichtigen Handelspartner dagegen nicht. „Viele Unternehmen haben in der Vergangenheit zu wenig diversifiziert“, sagt Felbermayr. „Dabei hat Resilienz einen ökonomischen Wert.“ Insofern könnte der Trend zur Blockbildung im Welthandel auch positive Effekte haben, wenn er dazu führt, dass sich Deutschland und die EU neue Märkte erschließen.

Noch läuft das sogenannte De-Risking von China laut IW indes schleppend. Nur ein Teil der Firmen mit hohen China-Abhängigkeiten strebe eine Verringerung an. „Das De-Risking ist in Gang gekommen“, sagt Matthes. „Aber wir dürfen uns keine Illusionen machen: Es passiert noch zu wenig, obwohl die Zeit drängt.“

Freihandelsabkommen essenziell

Gerade Indien, die südostasiatischen Asean-Staaten und die lateinamerikanischen Mercosur-Staaten könnten in Folge des De-Riskings von China als Absatzmärkte und Produktionsstandorte für europäische Unternehmen an Bedeutung gewinnen. Doch in allen drei Fällen gibt es weiterhin kein Freihandelsabkommen mit der EU. „Erfolge bei den Freihandelsgesprächen sind äußerst entscheidend für die Zukunft der deutschen Exportwirtschaft“, sagt Matthes. Stärker in den Fokus deutscher Firmen rückt auch Afrika. Bei einer Befragung der Unternehmensberatung KPMG und des Afrikavereins der deutschen Wirtschaft gaben 59% an, ihr Geschäft in Afrika angesichts geopolitischer Krisen ausweiten zu wollen. Auch wenn die Zahl nicht für die gesamte deutsche Wirtschaft repräsentativ ist, zeigt sie die steigende wirtschaftliche Bedeutung des Kontinents für deutsche Unternehmen.

Ein positiver Impuls für die deutsche Exportwirtschaft könnte laut Felbermayr auch von Dienstleistungen kommen. „Hier liegt ein ordentlicher Hebel.“ So mache Technik Services global besser handelbar. Ein deutscher Arzt könne etwa per Video-Call Patienten im Ausland beraten und KI das Gespräch parallel übersetzen.

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