„Der Schifffahrtsmarkt ist kein Bullenmarkt mehr“
Im Interview: Philipp Wünschmann
„Der Schifffahrtsmarkt ist kein Bullenmarkt mehr“
Der Shipping-Chef von Berenberg über goldgeränderte Bilanzen der Containerschifffahrt, US-Zollpolitik und Branchenkonjunktur
Containerreedereien präsentieren gerade Ergebnisse, die ursprüngliche Erwartungen für 2024 deutlich übertreffen. Neben dem weiteren Verlauf des Nahost-Konflikts und der Sicherheitskrise im Roten Meer könnten die Zahlen in diesem Jahr von der Politik des neuen US-Präsidenten Donald Trump beeinflusst werden.
Herr Wünschmann, die neue US-Regierung geht mit Zusatzzöllen gegen Handelsbilanzdefizite vor. Wie beurteilen Sie die Aussichten für den Welthandel?
Wir erleben gerade einen spannenden Moment. Maßnahmen der neuen US-Regierung wie Strafzölle auf Importe aus bestimmten Ländern könnten den Welthandel in den kommenden Jahren erheblich beeinträchtigen. Noch ist es aber etwas zu früh, um Auswirkungen konkreter abzuschätzen.
Der Handel zwischen den wichtigsten Wirtschaftsregionen der Welt – Ostasien, Europa und Nordamerika – wird zum großen Teil per Schiff abgewickelt. Ohne Seefracht würde der Welthandel zusammenbrechen. Wie ist der Protektionismus der USA vor diesem Hintergrund zu erklären?
Die USA spielen in der direkten Schifffahrts-Logistik für den Welthandel so gut wie keine Rolle. Der Anteil der USA am Containerschiffbau liegt weltweit bei 0,1%. Keine der zehn führenden Linienreedereien stammt aus den USA oder ist an einer US-Börse gelistet. Nur 4,4% der Weltflotte werden von US-Amerikanern kontrolliert oder gehalten. In der Containerschifffahrt eine führende Position einzunehmen, hatte nie Priorität in den USA. Auch spielen US-Banken in der Schiffsfinanzierung keine Rolle.
Schifffahrt ist für die USA nicht relevant, aber die US-Politik ist relevant für die Branche.
Ja, die Schifffahrt im engeren Sinne steht nicht im Fokus der US-Präsidenten. Die US-Politik nimmt mit ihrer Handelspolitik aber indirekt großen Einfluss auf die Schifffahrt. Strafzölle auf US-Importe aus Europa und China, die über den Seeweg abgewickelt werden, sind für die Reedereien und für den Handel relevant. Kurzfristig wird man möglicherweise keine großen negativen Effekte sehen, etwa dann, wenn Schifffahrtskunden versuchen, Zölle, ehe sie in Kraft treten, zu umgehen, indem sie Waren auf Reise schicken und ihre Lager auffüllen. Von solchen Vorzieheffekten könnten Containerreedereien in diesem Jahr profitieren. Aber mittelfristig werden die Maßnahmen Wirkung zeigen.
Inwiefern ist die Schifffahrt betroffen?
Die Zölle betreffen vor allem die global tätigen Containerreedereien, weil sie das Transportvolumen beeinflussen. Auch die Autotransporter werden die Maßnahmen spüren, wenn Importe aus China oder Europa in die USA teurer werden. Die Schifffahrt ist aber noch anderweitig betroffen. Der neue US-Präsident hat Projekte der Vorgängerregierung wie die Förderung klimafreundlicher Technologien gestoppt. Die Entwicklung von grünem Wasserstoff sowie Offshore-Wind stehen nicht auf der Agenda von Donald Trump. Das könnte zur Folge haben, dass sich der Übergang zu klimaschonenden Antriebstechnologien und Treibstoffen für die Schifffahrt verlangsamt.
In anderen Regionen, in denen die Schifffahrt politisch eine größere Rolle spielt, steht „green transition“ weiter auf der Tagesordnung.
Das stimmt. Wenn die USA das Pariser Klimaschutzabkommen nicht länger für sich gelten lassen und wenn die US-Delegation in der Branchenorganisation IMO, der International Maritime Organization, bei Verhandlungen über Anforderungen für die Schifffahrt auf die Bremse tritt, dann hat das aber einen Effekt. Auch in der EU könnte der Wandel in Richtung erneuerbaren Energien und Klimaschutz an Tempo verlieren, aber man wird nicht umkehren.
Was heißt das?
Die EU hat entschieden, die Schifffahrt seit 2024 in den Handel von Emissionsschutzzertifikaten einzubeziehen. Die Schifffahrt muss für CO₂-Emissionen bezahlen, wenn die Verkehre die EU betreffen. Das wird nicht mehr zurückgedreht. Zumal eine neue Einnahmequelle entstanden ist, die auch für andere Regionen oder Staaten interessant sein könnte.
Wie ist zu bewerten, wenn der Übergang zu weniger klimaschädlichen Emissionen durch die Schifffahrt abgebremst wird?
Aus meiner Sicht ist ein verlangsamter Übergang zu klimafreundlichen Antrieben und Technologien für die Schifffahrt ein Stück weit gesund, weil die Branche bereits zu fast 50% des weltweiten Auftragsbuches in Schiffe investiert, die auch mit alternativen Treibstoffen fahren können. Was es noch nicht in ausreichender Menge gibt, sind die alternativen Treibstoffe sowie die infrastrukturellen Voraussetzungen in vielen Häfen. Diese Voraussetzungen zu schaffen, hat die Branche nicht selbst in der Hand. Deshalb stand auch vor dem Antritt des neuen US-Präsidenten Trump bereits die Frage im Raum, ob die Schifffahrt den Wandel innerhalb des bislang vorgesehenen Zeitraums schafft.
Werden die Reedereien ihre bisherigen Klimaziele ändern oder verschieben?
Davon gehe ich nicht aus. Der Zug ist aus dem Bahnhof gefahren, was die Regulierung betrifft, und er wird nicht mehr umdrehen. Es kann sein, dass der Zug langsamer fährt. Aber die Reedereien werden sich, etwa bei ihren Schiffsneubestellungen, weiterhin an ihren Klimazielen ausrichten. Und auch die Werften in Asien haben sich in ihrer Produktionsplanung längst auf diesen Trend eingestellt. Unternehmen wie große Bekleidungs- oder Konsumprodukte-Hersteller werden als Kunden der Reedereien für den Nachweis einer grünen Lieferkette weiterhin bereit sein, einen gewissen Aufpreis für klimafreundlichere Schiffstransporte zu bezahlen. Die Reedereien wären auch schlecht beraten, den Transformationskurs zu ändern.
Warum?
Die Schifffahrt, die wie kaum eine andere Branche das Image hat, klimaschädlich zu sein und die Ozeane zu verschmutzen, benötigt für den klimafreundlichen Umbau ihrer Flotten sehr viel Kapital. Zwar verfügen die Reedereien im Zuge des pandemiebedingten Booms derzeit über sehr robuste Bilanzen. Aber die Lage kann sich wieder ändern, und die konjunktur- und handelsabhängige Schifffahrt steht mit ihrem enormen Kapitalbedarf im Wettbewerb mit anderen Branchen, die sich ebenfalls in der Transformation befinden.
Mit welchen Investitionen in neue Schiffe ist kurz- und mittelfristig zu rechnen?
Vor der Finanzkrise gab es eine große Welle an Neubestellungen. Diese damals bestellten Schiffe werden in den kommenden fünf Jahren – salopp gesagt - ihr Rentenalter erreichen. Die Reeder stehen vor der Frage, in welchem Umfang diese alten Schiffe durch neue Tonnage ersetzt wird. Meine Annahme ist, dass die alte Flotte zumindest ersetzt werden muss, auch wenn der Welthandel nicht wächst. Wir erleben auch immer wieder Ineffizienzen in den Lieferketten, die eher für mehr Transportkapazitäten sprechen. Aus heutiger Sicht ist nicht damit zu rechnen, dass es in der Schifffahrt zu massiven Überkapazitäten und einem ruinösen Preiswettbewerb wie in den Jahren nach 2008 kommen wird.
Was macht Sie da so sicher?
Die Reedereien haben ihren Fokus geändert. Heute geht es ihnen vor allem um Qualität, um Pünktlichkeit. Um einen verlässlichen Service bieten zu können, braucht es eine gewisse Anzahl von Schiffen, am besten auch eine Reserve. Allianzen innerhalb der Branche formieren sich neu, um den Qualitätsanspruch zu erfüllen. Zudem hat sich der Anteil der Schiffe, die die Linienreedereien in ihrem Eigentum führen, von rund 50% auf über 60% erhöht. Im Zuge der Branchenkonsolidierung vor rund einem Jahrzehnt kontrollieren die zehn größten Containerreedereien mehr als 80% des Orderbuchs.
Was heißt das?
Anders als in den Jahren nach der Finanzkrise, als eine große Anzahl von Anlegern in Schiffen investiert und interessiert daran war, jedes Schiff so lange wie möglich in Fahrt zu halten, halten Linienreeder Schiffe heute viel stärker in Eigenkontrolle. Sie können leichter entscheiden, Tonnage für eine Weile zu parken, in Wartung zu nehmen oder Schiffe stillzulegen. Und der Trend zu mehr Kontrolle über die Tonnage nimmt zu. Das spricht dafür, dass wir keinen neuen ruinösen Preiswettbewerb zwischen den Linienreedereien erleben werden.
Die Containerreedereien haben 2024 wieder sehr gut verdient, weil eine bessere Transportnachfrage als erwartet mit limitierten Transportkapazitäten einherging. Welche Aussichten sehen Sie für die Branchenkonjunktur?
Sollte der Konflikt im Nahen Osten enden und die Schifffahrtsroute durch das Rote Meer und den Suez-Kanal wieder sicher befahrbar sein, wird sich eine Normalisierung im Europa-Asien-Verkehr auch auf Transportpreise und auf die Ertragslage der Reedereien auswirken. Aber eine wirklich prekäre Entwicklung wie nach 2008 ist nicht abzusehen, und die Unternehmen sind heute finanziell robust aufgestellt. Im Übrigen gilt es eine Lanze zu brechen für unseren Kontinent: Vier der fünf weltweit führenden Containerreedereien kommen aus Europa.
Warum braucht es Schifffahrtsallianzen wie die neue Gemini-Kooperation zwischen Maersk und Hapag-Lloyd?
Mit Blick auf die Kosten spielt eine Rolle, wie Schiffe ausgelastet sind, wie effizient sie unterwegs sind. Allianzen erleichtern die effiziente Beschäftigung der Schiffe und die verlässliche Beförderung von Gütern. Mit Blick auf die Kosten der Transformation und auf die Qualitätsversprechen der Reedereien sind Kooperationen zwischen Reedereien, die keine Preisabsprachen untereinander treffen dürfen, sinnvoll. Auch die vermehrten Beteiligungen an Hafenterminals sollen für mehr Verlässlichkeit und Kosteneffizienz der Schiffstransporte sorgen.
Wie sehen Sie als Banker die Finanzierungsperspektiven der Reedereien?
Nach vier Boom-Jahren gibt es in der Branche so viele goldgeränderte Bilanzen wie seit langem nicht. Die Unternehmen sind weitestgehend entschuldet, in vielen Fällen ist ein hohes Maß an Liquidität vorhanden. Die Nachfrage nach Finanzierungen ist deutlich gesunken. Derzeit ist der Reeder vor allem ein Anlage- und kein Finanzierungskunde.
Ist ein Trend in Richtung Finanzierung zu erkennen, weil Liquiditätspolster abschmelzen und Reedereien sich auf eine Normalisierung ihrer Erträge einstellen?
Das können wir derzeit nicht erkennen. Wir führen über 4.000 Konten für rund 400 Schifffahrtskunden, und die aggregierte Liquidität auf diesen Konten hat 2024 nicht abgenommen. Wir können aber von einem Abschmelzen in diesem Jahr ausgehen, weil sich der Schifffahrtsmarkt normalisiert. Chartereinnahmen sinken, der Schifffahrtsmarkt ist kein Bullenmarkt mehr. Derzeit bezahlen Reedereien neu bestellte Schiffe noch vorwiegend aus eigener Kraft, aber Finanzierungen durch Banken werden wieder wichtiger, auch um die aktuell vorhandenen und für eine volatile Branche wichtigen Liquiditätspolster möglichst lange zu erhalten.
Wie hat sich der Markt der Schiffsfinanzierer verändert?
In Europa gibt es noch sechs bis acht Großbanken, die auf Basis der jeweiligen Unternehmensbonität Finanzierungen anbieten. Die Zahl hat sich in den vergangenen Jahren nicht verändert. Hinzu kommen Banken, die wie Berenberg als Asset Manager im Shipping-Segment vertreten sind. Diese Institute betreiben ihr Geschäft auf Basis von Schiffshypotheken, die als Sicherheit dienen und damit in der Regel zu sehr guten Kreditratings aus Banksicht beitragen. Diese Art von Finanzierungen bieten zehn bis zwölf Häuser in Europa an. Insgesamt handelt es sich um einen stabilen Club von Banken, der aber seit Jahren nicht wesentlich wächst. Wachstum im Bereich der Schiffsfinanzierungsmärkte gab es zuletzt vor allem durch Leasingfirmen in Asien und durch alternative Quellen wie Private Equity oder Debt Fonds.
Welche Aussichten haben die europäischen Schiffsfinanzierer?
Europäische Banken spielen als Schiffsfinanzierer nach wie vor eine Rolle. Aber asiatische Leasingfirmen haben in dem Segment in den vergangenen Jahren deutlich aufgeholt. China dominiert inzwischen den Schiffbau und die Absatzfinanzierung. Der Anteil des Landes am weltweiten Orderbuch ist im Zuge des WTO-Beitritts Chinas in den vergangenen zwei Jahrzehnten von rund 10 auf knapp 60% gestiegen. Die Anteile von Japan und Südkorea sind im gleichen Zeitraum von 30 auf 11% bzw. von 40 auf 25% gesunken. Dieser Trend wird sich kaum umkehren lassen, zumal es heute weder in Europa noch in den USA oder in einem anderen westlich orientierten Land nennenswerte Kapazitäten für den Bau größerer Handelsschiffe gibt.
Wie kritisch ist dieser Aufschwung Chinas in Anbetracht geopolitischer Spannungen?
Ich sehe eine gefährliche Abhängigkeit im Schiffbau von China, die politisch unterschätzt wird und die China bei einem sich verschärfenden Handelsstreit mit den USA und Europa für sich nutzten könnte. Große Containerschiffe, die im Europa-Asien-Verkehr zum Einsatz kommen, sind deutlich teurer, wenn sie bei einer Werft in Südkorea anstatt in China gebaut werden. Viele Kunden sorgen sich wegen eines sich möglicherweise verschärfenden Handelsstreits, wegen möglicher China-Sanktionen. Deshalb bemühen sich Unternehmen aus Europa auch um andere attraktive Finanzierungsquellen in Asien, etwa aus Japan, wohin wir als Berenberg viele Kunden bei der Suche inzwischen aktiv begleiten.
Was wäre denn, wenn Werften in China für den Containerschiffbau nicht mehr zur Verfügung stünden?
Unmittelbar müsste man sich um Seetransporte keine Sorgen machen. Die Flotten bestehen und müssen nicht von heute auf morgen erneuert werden Zudem kontrollieren europäische Reedereien mehr als die Hälfte der weltweiten Tonnage. Aber wenn es darum geht, langfristig den Schiffbau für Europa zu sichern, dann braucht es dafür alternative Kapazitäten.
Sehen Sie Chancen für den Aufbau einer konkurrenzfähigen Containerschiffwerft in Europa bzw. der EU, etwa in Griechenland?
Nein, das ist nicht zu erkennen. Die Politik in Europa und den USA kommt, wenn es um die Abhängigkeit im Schiffbau von China geht, bisher über Sonntagsreden nicht hinaus. Das ist bedauerlich und mit Blick auf unsere europäischen Handelsinteressen nicht ohne Risiko.
Das Interview führte Carsten Steevens. Das vollständige Interview lesen Sie unter www.boersen-zeitung.de